Roland Kaiser

Atempause


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Mal nach Tagen wieder befreit durch. Es war mittlerweile Freitag, der 14. Juli 2000.

      Diagnose COPD

      Sobald ich über den Berg war, teilte mir der behandelnde Professor mit: „Sie haben eine COPD.“ Nun waren das für einen Laien wie mich zunächst nicht mehr als, tja, vier Buchstaben, die mir nicht allzu viel bis gar nichts sagten. Ich folgte den Worten des Arztes und versuchte zu verstehen: Ein Lungenemphysem, davon hatte ich schon einmal gehört. Überblähung der Lunge – was bitteschön sollte das sein? Und in letzter Konsequenz stehe dann, so sagte er, die COPD – die chronisch obstruktive Bronchitis. Das klang auch nicht wirklich bedrohlich. COPD habe zur Folge, fuhr er fort, dass man in dem Augenblick, in dem man die Atemnot zum ersten Mal bewusst verspüre, das Gefühl habe, nicht mehr durchatmen zu können. Genau wie bei mir! Man bekomme nicht mehr genügend Luft und alles, was man tue, selbst die geringste Anstrengung, führe sofort zur Atemlosigkeit.

      Diese Diagnose, diese Erkenntnis bereitet einem alles andere als Freude. Ich suchte direkt den Ausweg und fragte den Professor: „Ja, verstanden. Das ist jetzt einfach so. Aber wie steht es mit der Behandlung der Krankheit? Und was kann man tun, damit sich dieser Zustand wieder verbessert, die Atemnot weggeht?“ Der darauf folgende Satz war ein Wendepunkt meines Lebens. Der ­Professor sah mir in die Augen und sagte: „COPD ist nicht heilbar.“ Dieser eine Satz „Das ist nicht heilbar“ ließ mich mehr als nur schlucken. „Das ist nicht heilbar“ klang in mir nach wie: Es kann nicht wahr sein, dass du jetzt etwas hast, was nicht mehr weggeht. Doch erst tags darauf traf mich diese Einsicht ziemlich massiv. So lange brauchte ich, um die Tragweite der Diagnose zu verstehen. Mit dieser Erkenntnis war ich in meinem Krankenhauszimmer erst einmal alleine. Ich musste mich an den Gedanken gewöhnen, eine trotz des fortgeschrittenen Stands der heutigen Wissenschaft nicht heilbare Krankheit zu haben.

      Nach der Diagnose war da zunächst natürlich viel Verzweiflung. Für Silvia und mich brach eine Welt zusammen. In den ersten Tagen war ich bemüht, mich irgendwie mit dieser Krankheit zu arrangieren. In langen Gesprächen mit Silvia versuchte ich, die Diagnose COPD zu verarbeiten und für mich persönlich und in unser Leben einzuordnen. Wir führten noch im Krankenhaus lange Gespräche mit dem Arzt, wollten in erster Linie verstehen, was COPD eigentlich genau bedeutet. Doch wir konnten keine für uns erschöpfenden Antworten finden. COPD blieb abstrakt, eine wissenschaftliche Bezeichnung. Außer der soeben überstandenen Bedrohung hatte COPD noch keinen Bezug zu unserem Leben. Und mit dem Jenseits wollte ich mich, gerade erst aus der Intensivstation entlassen, in letzter Konsequenz schon gar nicht ernsthaft beschäftigen. Ich stellte mir diese Frage schlicht und einfach nicht. Ich versuchte, meine innere Ruhe zu finden, mich mit der Todesperspektive zwar abzufinden, aber sie nicht als greifbare Option anzunehmen.

      Kurz nachdem ich die erschütternde Diagnose erhalten hatte, besuchte mich der Krankenhausgeistliche. Er wollte mich trösten und mir erklären, dass das Leben trotz und mit der Krankheit weitergehe. Ich erkannte in ihm einen alten Bekannten aus dem Rekreationsraum des Kapuzinerklosters, in dem ich mich schon viele Male aufgehalten hatte. Hier hatte ich mit den Mönchen lange und interessante Diskussionen zu Religion und Philosophie geführt. Ich verband angenehme Erinnerungen mit den Kapuzinermönchen, obwohl meine erste Begegnung mit ihnen nicht unter guten Vorzeichen gestanden hatte. Sie lag zwar schon weit zurück, weit vor meiner Krankheit, aber das Wiedersehen erfreute mich dennoch. Ich hatte die Kapuziner vor Jahren kennengelernt, als meine Tochter und mein Sohn noch klein waren und wegen einer heftigen Magen-Darm-Infektion im dortigen Krankenhaus lagen. Die Mönche hatten schon damals einfühlsam versucht, meiner Frau und mir Trost zu spenden. Denn vor allem Annalena ging es damals nicht so gut. Und schon damals konnte ich meine Gefühle besser mit mir selbst ausmachen. Auch diesmal versuchte ich wieder, alles mit mir selbst zu regeln. Der Krankenhausgeistliche hörte mir freundlich und geduldig zu, als ich ihm meine Einstellung, meine Sichtweise darlegte: Man müsse das einfach nur relativieren. Es gebe von jeder Krankheit, auch von COPD, eine Steigerung. Ich hätte doch genauso gut ein Lungenkarzinom haben können. Das hätte für mich das unmittelbare Todesurteil bedeutet. Ich sei nur chronisch krank. In mein Leben sei also durch COPD lediglich eine Krankheit getreten, die zwar im Moment, nach dem heutigen Stand der Medizin, nicht heilbar sei, die mich aber, wenn ich mein Leben umstellen und darauf ausrichten würde, nicht umbrächte. So jedenfalls hatte mir das der Professor erklärt. Und das hatte ich dankbar als positive Perspektive für mich angenommen.

      Aus diesem Denkansatz heraus versuchte ich nun, mein ganzes Leben neu auszurichten und auf die Reihe zu bringen. Ich bemühte mich, alle Einschränkungen, alle Dinge, die mir im Zusammenhang mit meiner COPD unterkamen und bewusst wurden, positiv zu sehen und einzuordnen. Ich führte mir immer wieder vor Augen, dass es noch schlimmere Dinge gibt, die Menschen widerfahren können, als eine chronische Erkrankung, wie ich sie hatte. Mit dieser Bewertung gelingt es einem, mit einer Situation wie der meinen klarzukommen. Und so sagte ich das auch meiner Frau: „Silvia, wir dürfen das jetzt nicht so dramatisch sehen. Wir müssen vielmehr versuchen, mit der Situation zurechtzukommen, und uns bemühen, auch positive Aspekte zu sehen.“ Ich versuchte, das Ganze sogar mit Humor zu nehmen. „Wir werden in Zukunft viel Geld sparen, denn Rauchen werde ich sicher nicht mehr.“ Nach knapp einer Woche wurde ich mit relativ normalen Blutsauerstoffwerten aus dem Krankenhaus entlassen.

      Wie bereits länger für die Sommerferien geplant, fuhren wir daraufhin erst einmal mit den Kindern nach Österreich in Urlaub. Mit den Bergen verbinden Silvia und mich durch zahlreiche gemeinsame Urlaubsaufenthalte bereits sehr viele angenehme Erinnerungen und wir freuten uns sehr darauf, Zeit für uns und die Kinder zu haben und Abstand zu gewinnen. Nach zwei Wochen kamen wir zurück.

      Meinen ersten Auftritt nach diesem Vorfall hatte ich noch während unseres Urlaubs in Wiesbaden. Ich flog dafür extra von Innsbruck nach Frankfurt und retour. Das war spannend für mich. Wegen meines Krankenhausaufenthaltes mussten in dieser Woche nur eine Radiogala und ein Auftritt beim Fernsehgarten abgesagt werden. Mein Management begründete diese Absage mit einer heftigen Bronchitis und einer akuten Lungenentzündung.

      Die Kunst des Versteckspiels

      Während des Entlassungsgespräches gab mir der Professor noch Folgendes mit auf den Weg: „Sie müssen sich über eines im Klaren sein: Der gesundheitliche Zustand, in dem Sie eingeliefert wurden, kann jederzeit wieder eintreten. Sie sollten künftig unbedingt stark verrauchte Räume meiden, Sie dürfen selbstverständlich nie wieder in Ihrem Leben auch nur eine Zigarette rauchen und Sie müssen vor allem darauf achten, sich keine Infektionen einzufangen, die Ihre Lunge unnötig belasten.“

      Mit diesen so einfach klingenden Hinweisen meines Professors verließ ich das Krankenhaus, richtete mein Leben möglichst unauffällig darauf aus und war fortan peinlich bemüht, meine Krankheit für mich zu behalten. Dass ich als verantwortungsbewusster Familienvater vom passionierten Raucher zum Nichtraucher wurde, war nachvollziehbar und verwunderte niemanden nachhaltig. Darüber hinaus verdonnerte ich jedes Familienmitglied in eindringlichen Gesprächen dazu, meine Erkrankung für sich zu behalten. Es sollte ja nicht herauskommen, dass ich COPD habe. Und niemand sollte denken, ich sei auch nur ansatzweise gesundheitlich angeschlagen und nicht mehr ganz der Alte.

      Rückblickend war es jedoch alles andere als fair und dazu noch kurzsichtig von mir, meiner Frau und meinen Kindern diese Last des Stillschweigens aufzubürden. Sie sollten gemeinsam nach außen hin für mich lügen und weiterhin so tun, als sei alles unverändert und wie immer. Was die Krankheit wirklich bedeutet und wie einschneidend sie unser alltägliches Leben verändern würde, sollten uns allen erst die kommenden Tage, Wochen und Monate zeigen.

      Mir war klar, dass die neue Zeitrechnung, die für mich, meine Frau und meine Familie mit der Diagnose angebrochen war, wie für jeden Menschen nicht auf die Ewigkeit ausgerichtet sein würde. Aber ich war fest entschlossen, jeden einzelnen Tag so lebenswert und bewusst wie möglich mit Leben zu erfüllen. Etwas bricht weg – und etwas Neues entsteht aus dem Nichts. Ich erkannte, dass es die einfachen Dinge des Lebens sind, die anderen, gesunden Menschen vielleicht komplett banal erscheinen mögen, die wirklich zählen. Für mich war es die Familie, meine Frau, die Kinder. Sie waren es, ihre Liebe, die mir das Leben retteten. Und natürlich die Musik. Wenn es nach einigen Publikationen der sogenannten Regenbogen-