Isolde Kakoschky

Herbstblatt


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noch einen Schreibtisch, Platz ist ja genug. Und dann wäre doch auch das Problem mit der Telefonleitung geklärt.«

      Cosimas Herz schlug wie wild. Ablehnen konnte sie diesen Vorschlag sowieso nicht, bald würde er ganz offiziell der Chef sein. So nickte sie und versuchte, nicht in seine Augen zu sehen. Da war etwas, was sie mehr faszinierte, als ihr lieb war.

      »Auf gute Zusammenarbeit!« Robert Weihtmann reichte ihr die Hand. Sekunden später stand sie wieder vor der Tür und hoffte, nicht

      ohnmächtig zu werden, während drinnen Robert überlegte, wo er dieses Gesicht mit den blauen Augen und den blonden Haaren schon mal gesehen hatte.

      Ein paar Tage später war es so weit, Cosima zog mit Sack und Pack in Roberts Büro ein. Und langsam legte sich auch die Aufregung und ganz für sich stellte sie fest, dass an den Gerüchten doch nicht so viel dran sein konnte. Er war eigentlich ein ganz netter Mensch, fragte sie viel nach der Arbeit, nach der Organisation, nach den übrigen Kollegen, alles wollte er ganz genau wissen.

      Sie hingegen wusste schon bald, dass er Kaffee mit Milch, ohne Zucker, trank, dass der Opel, der im Hof parkte, seiner war, dass er einen Sohn und eine Tochter hatte und dass er drei Orte weiter wohnte.

      Sie erzählte ihm von Reiner, von Tim und Tom, und von ihrer bisherigen Arbeit und eines Tages stellten sie fest, dass sie in der gleichen Stadt geboren worden und sogar in dieselbe Schule gegangen waren, nur nicht zur selben Zeit. Und als Cosima vom Unfall ihrer Mutter erzählte, wusste Robert Weihtmann plötzlich, wer sie war. Vor Jahren hatte es für ziemliche Aufregung in der Stadt gesorgt, als Cosimas Mutter von einem LKW überrollt worden war.

      »Ralf Weinperger ist ihr Vater?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. »Das war schon schlimm damals mit dem Unfall«, bekannte er ungewohnt mitfühlend.

      »Hat Ralf Ihnen diesen ungewöhnlichen Namen verpasst?« wollte er nun wissen.

      Cosima lachte. Sie wurde ab und zu darauf angesprochen.

      »Ja, mein Vater liebt die Musik von Richard Wagner und hat mich deshalb so genannt wie Wagners Frau.«

      Robert grinste: »Der alte Ralf!«

      Cosimas Vater war bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund.

      Und es freute sie, dass ihr neuer Chef auch ihren Vati kannte. Irgendwie hoffte sie, damit einen besseren Stand bei ihm zu haben.

      Robert ließ Cosima erst einmal weiter ihre gewohnte Arbeit machen, sah aber immer öfter nach dem Rechten, registrierte, welche Veränderungen notwendig sein würden, um am freien Markt bestehen zu können. So vergingen die letzten Wochen im alten Jahr.

      Dann war es offiziell, Robert Weihtmann war der neue Geschäftsführer. Gleich in der ersten Woche hieß es wieder Sachen packen. Gemeinsam bezogen sie ein anderes, kleineres Büro im hinteren Trakt einer der Lagerhallen. Hatte sie vorher gut den Hof einsehen und beobachten können, wann ihre Kollegen mit den LKWs eintrafen, so fühlte sie sich nun von der Außenwelt wie abgeschnitten. Statt zum Kaffeeautomaten zu gehen, kochte sie nun für sich und den Chef selbst den Kaffee. Statt, dass eine Putzfrau kam, putzte sie das Büro selber. Und ohne

      Erlaubnis wagte sie es schon bald nicht mehr zu verlassen. Selbst die Kontakte zu ihren oft langjährigen Kollegen beschränkte er auf das Nötigste.

      Sie kämpfte mit den Tränen, wenn er sie anfuhr:

      »Wir brauchen hier kein Kaffeekränzchen, spuren müssen die, sonst nichts! Und wenn das nur geht, wenn ich in deren Augen ein Arschloch bin, dann müssen Sie das auch sein!«

      In Cosimas Herzen kämpfte die Freundschaft mit ihren Kollegen gegen die Loyalität zu ihrem Chef, von dem sie sich insgeheim seine Anerkennung wünschte.

      Sie hatte schon mehr als einen Chef in ihrem Berufsleben gehabt und sie war mit allen gut ausgekommen. Mit den meisten war sie nach kurzem zum vertrauten »Du« übergegangen und mit einigen verband sie noch immer ein kameradschaftliches Verhältnis. Nur dieser Robert Weihtmann wahrte eine ungewohnte Distanz.

      Aber Robert konnte auch charmant sein. Anfang März war wie jedes Jahr der internationale Frauentag. In den letzten beiden Jahren hatte kaum jemand daran gedacht. Doch an dem Tag kam er mit einem riesigen Tortenpaket ins Büro und servierte ihr die Torte auch noch persönlich. Danach schickte er Cosima in die umliegenden Firmen, um auch diesen Frauen ein Stück Kuchen zu bringen. Voller Stolz übernahm sie diese Aufgabe. Ihr Chef hatte an diesen Tag gedacht! Er hatte eben auch noch gute Seiten, nur leider viel zu selten.

      Manchmal sprach sie zu Hause mit ihrem Mann darüber. Reiner arbeitete in der Nachbarfirma, die den gleichen Firmenhof nutzte und bekam so einiges mit, was sich tat. Bei ihm hatte es auch drastische Veränderungen gegeben. War es noch vor ein paar Monaten eine große Firma mit hunderten Arbeitern gewesen, so war Reiner nun noch einer von fünf, die übrig waren. Das Ende schien schon vorgezeichnet. Manchmal überlegte Cosima, ob er dann zu ihr in die Firma kommen könnte, doch dann dachte sie daran, wie der Chef mit den Fahrern umsprang und wollte das ihrem Mann nicht zumuten. Es reichte, wenn sie sich die Nerven aufrieb.

      Reiner merkte, wie sehr sich Cosima quälte, als im Frühjahr ihre Pollenallergie einsetzte. Doch weil sie alle Symptome der Allergie zuordnete, merkte sie nicht einmal, dass sich eine böse Erkältung anbahnte, bis sie eines Morgens mit Fieber aufwachte. Trotzdem ging sie zur Arbeit, auf ein wenig Verständnis hoffend. Doch ihr Chef schien nicht zu bemerken, dass sie am Ende ihrer Kräfte war, als sie nach Hause ging.

      »Jetzt reicht es!« Reiner war ungehalten, als er später seine Frau so sah. »Zieh Dich an, wir fahren zur Ärztin!«

      Eine Stunde später war sie für die nächsten Tage erst mal aus dem Verkehr gezogen.

      Sie erholte sich nur langsam. Erst zwei Wochen später konnte sie wieder zur Arbeit gehen.

      Cosima ahnte, dass es kein gutes Wiedersehen werden würde. Auf ihr vorsichtiges »Guten Morgen!« kam keine Antwort. Stattdessen knallte ihr Robert Weihtmann einen Stapel Akten auf den Schreibtisch.

      »Wenn Sie gesagt hätten, dass es so lange dauert, hätte ich eine Vertretung aus der Verwaltung geholt!«

      Ihre Erwiderung »… ich wusste doch auch nicht

      …« hörte er schon nicht mehr, er hatte das Büro bereits verlassen.

      Schweigend machte sie sich daran, die liegen gebliebene Arbeit zu erledigen. Und ein großer Druck lag auf ihr.

      Am nächsten Morgen kam sie früher und wischte das seit zwei Wochen nicht mehr gesäuberte Büro. Zwischen ihr und dem Chef fielen nur die nötigsten Worte und Cosima wurde fast schon wieder krank, vor seelischer Qual. Sie wollte mit ihm zusammen arbeiten und das möglichst gut. Er musste sie ja nicht mögen, aber wenigstens respektieren.

      Noch ein Tag verging schweigend, dann kam er ins Büro:

      »Gibt es hier noch mal Kaffee oder muss ich in die Kneipe gehen?«

      Cosima flog fast zum Wasserhahn. Sie hätte tanzen können vor Freude, er sprach wieder mit ihr! Als der Kaffee durch die Maschine lief, ging sie zur Toilette. Sie musste nicht, nein, sie setzte sich auf den Toilettendeckel und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie war so erleichtert. Irgendwie hatte sie sich schuldig gefühlt. Nun war wieder alles gut.

      Sie wünschte sich so sehr sein Vertrauen. Und manchmal schenkte er es ihr auf seine ganz eigenwillige Weise. An einem Tag wollte er zu einem Geschäftspartner in die Kreisstadt fahren.

      »Nehmen Sie Ihre Sachen und kommen Sie mit!« forderte er Cosima auf. Sie saß neben ihm im Auto und konnte sich nicht vorstellen, wofür er sie brauchte.

      In der Kreisstadt traf er den Geschäftsfreund und ging zu dessen Auto.

      Zu Cosima gewandt sagte er: »So, ich begleite den Herrn und Sie fahren jetzt mit meinem Wagen zurück in die Firma.«

      In diesem Moment brach ihr der kalte Schweiß aus. Sie fuhr schon gerne Auto, war aber noch nicht so wirklich sicher mit den neuen Fahrzeugen. Im letzten Augenblick