Es sind ja alles renitente Kerle, diese Adligen, kommen sich vor, als seien sie wunder was!“ Hannahs lakonischer Kommentar: „Sehr ermunternd wirkt das Beispiel ja nicht!“
Nicht zu klären ist, ob die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck angesichts ihres ausgeprägten Interesses an Hitler dessen generelle Einstellung zum Adel in „Mein Kampf“ zur Kenntnis nahmen. Im Kapitel über die „Herrschaft des Geldes“ bedauert Hitler, dass der Kaiser und „leider selbst Bismarck“ die drohende Gefahr des Finanzkapitals verkennen würden. Die ideellen Tugenden des Adels sah Hitler hinter den „Wert des Geldes“, den „Schwertadel in kurzer Zeit schon hinter dem Finanzadel zurücktreten“ und den „nächstbesten Bankjuden“ ausgeliefert. Konsequenz dieser Entwicklung war für ihn: „Der Adel verlor immer mehr die rassische Voraussetzung zu seinem Dasein, und zu einem großen Teil wäre viel eher die Bezeichnung ‚Unadel‘ für ihn am Platze gewesen.“4
Aber auch in seinem regenerativen Verhalten schnitt der Adel bei Hitler durch „eine dauernde Missachtung der natürlichen Voraussetzungen für die Ehe“ schlecht ab: „Hier hat man die Ergebnisse einer Fortpflanzung vor sich, die zu einem Teil auf rein gesellschaftlichem Zwang, zum anderen auf finanziellen Gründen beruhte. Das eine führte zur Schwächung überhaupt, das andere zur Blutvergiftung, da jede Warenhausjüdin als geeignet gilt, die Nachkommenschaft Seiner Durchlaucht zu ergänzen. In beiden Fällen ist vollkommene Degeneration die Folge.“5
Den Diplomaten Otto von Bismarck schließlich hätte Hitlers Ansicht beunruhigen können, wonach die Nationalsozialisten kein Verständnis dafür haben dürfen, „dass irgendein altersschwach gewordener Adelsstamm seinem meist schon sehr dürr gewordenen Reis durch Bekleidung des Gesandtenpostens neuen Nährboden gibt. Unsere diplomatischen Vertretungen im Ausland waren schon zur Zeit des alten Reiches so jämmerlich, dass weitere Ergänzungen der damals gemachten Erfahrungen höchst überflüssig sind.“6
Während die Brüder Otto und Gottfried von Bismarck einen Tag nach ihrem Treffen mit Hitler im Kaiserhof am 12. Januar 1932 bei Hermann Göring frühstückten, verfolgte Hannah von Bredow zu Jahresbeginn 1932 die weiteren Entwicklungen zunächst distanzierter. Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am 19. Februar beschäftigten sie indessen, und sie sieht das Ergebnis voraus: „Hitler kandidiert; das Ganze ist so ungeschickt. Ich sagte heute beim Lunch dem Prinzen Philipp von Hessen, dass ich mir maximal für Hitler 12 Millionen, für Hindenburg glatt 16–18 vorstellen könne. Er glaubt umgekehrt. Das ist unmöglich.“ Hannah lag richtig, denn Hindenburg gewann, wenn auch erst im zweiten Wahlgang am 10. April. Auf ihn entfielen sogar 19 Millionen, auf Hitler 13 Millionen Stimmen.
Besorgt und rigide beurteilt Hannah von Bredow Mitte April 1932 die Folgen der von Reichskanzler Brüning verfügten Auflösung der S.A., der paramilitärischen Kampfgruppe der NSDAP: „Wenn je ein Tag als ‚böses Omen‘ aufgefasst werden könnte, so ist es dieser 13.! Denn nun wird die Situation, die ohnehin verfahren genug ist, ganz und gar auf die Spitze getrieben. Ich gebe diesem miesen Brüning nicht mehr als 4 Wochen. Aber leider wird der Alte sicher noch wursteln anstatt die Nazis hereinzunehmen. Schleicher glaubt natürlich, dass er Kanzler wird. Davor bewahre uns Gott.”
Brüning war zwar noch sechs Wochen im Amt und Hannahs Hoffnung zu Schleichers Zukunft bestätigte sich nicht, denn am 3. Dezember übernahm dieser die Kanzlerschaft, wenn auch nur für knapp zwei Monate. Am 20. April 1932 lag Hannah indessen mit ihrer Prognose richtig: „Heute ist Hitler 43 Jahre alt – ob er in einem Jahr schon Reichspräsident oder Kanzler ist? Eins von beiden sicher.“
Knapp einen Monat zuvor, am 24. März 1932, waren Hannah und Leopold von Bredow sowie ihr Bruder Otto und dessen Frau Ann Mari zu Gast bei Hermann Göring, Hitlers Vertrauter und „politischer Beauftragter in der Reichshauptstadt“. Dessen wesentlicher Auftrag in Berlin bestand darin, die Nationalsozialisten in der besseren Gesellschaft hoffähig zu machen. Den Industriellen Fritz Thyssen hatte Göring bereits ein Jahr zuvor gewonnen, und dieser verhalf ihm in der Folge finanziell zu einem adäquaten Lebens- und Wohnstil.
Minutiös, mit wörtlichen Dialogen und auf mehr als einem Dutzend Seiten, schildert Hannah ihrem Briefpartner Jessen das Ambiente und die Gespräche im Hause Göring, beim „Witwer nach einer schwedischen Gräfin“, wie sie dessen Status nach dem Tod seiner 1931 verstorbenen schwedischen Frau Carin bezeichnet.7 Schon die Einrichtung des ersten Zimmers ließ sie staunen: „Schwere altvenezianische, rote Samtbehänge an den Wänden, in der Mitte des Zimmers ein großer Kamin. Über diesem ein Riesenmosaik: auf königsblauem, glasierten Grunde das riesige goldene Hakenkreuz.“
Nach ein paar Minuten des Wartens „kam ein kleiner, fetter Mann herein: Blonde, leicht gewellte Haare, blaue, ausdruckslose, aber ‚herrische‘ Augen, ein enormes Kinn, das die Nase ganz in den Schatten stellte, ein breites, rötliches Gesicht, ein genießerischer ‚loose-lipped‘ Mund, erstaunlich kurze Arme, fette, weiße Hände. Am Ringfinger ein Lapislazuli von so ungewöhnlicher Größe, dass eine Biegung des Gelenkes unmöglich war. Auf dem Stein das Wappen. Im Knopfloch das Hakenkreuz.“
Beim Mittagessen saß Hannah von Bredow rechts vom Hausherrn und eröffnete die Konversation: „Wunderbar sind die Farben Ihrer blauen Teppiche und Ihrer blauen Samte.“ Er: „Ja, blau ist die Farbe der göttlichen Runen, Blau und Gold die Sonnenrunen, und darum beherrscht Blau mein Leben. Blau ist arisch, kein Jude kann Blau sehen, daher auch mein Ring!“ Ich: „Sehr interessant, ich habe auch eine große Vorliebe für blau, die aber angeboren ist.“ Nach weiteren Dialogen zur Farbenlehre und Berichten Görings über seine Herkunft gab es „Erbsensuppe mit kleinen Stücken Schweinefleisch“, die Göring schmunzelnd mit: „Schwedisches Donnerstagsessen, wir leben einfach“ kommentierte.
Nach dem Essen führte Göring seine Gäste in den „Braunen Salon“, an dessen einer Wand „auf Gobelinstoff gemalt eine enorme Landkarte“ hing, „den Wunschtraum Deutschland (ein bisschen kleiner nur als das Hl. Röm. Reich deutscher Nation) darstellend.“ Eine Goldbronzebüste von Mussolini stand in einer Ecke. Vor dem Weggehen drängte Göring seine Tischdame etwas von den anderen ab, und Hannah von Bredow schreibt in wörtlicher Wiedergabe: „G.: ‚Also, ich komme bald nach Potsdam, Sie müssen zu uns.‘ Ich: ‚Ich glaube nicht, dass eine vielbeschäftigte Hausfrau für Ihre Partei Zeit hat. 7 Kinder füllen den Tag aus.‘ G.: ‚Sieben Kinder! Das ist ja fast wie ein Märchen! Ich kann das nicht verstehen!‘ Er wandte sich hilfesuchend an meinen Mann, der ihn nicht trösten konnte. G.: ‚Nur eins! Bei uns gibt es keine Rangunterschiede, bei uns gibt es keine Snobs.‘ ‚Was Sie nicht sagen!‘ erwiderte ich.“
Es war nicht die knappe Zeit, die Hannah von Bredow an einer Mitgliedschaft in der NSDAP hinderte; sie hatte eine grundsätzliche Abneigung gegen deren Personal, Methoden und Ziele. Die Haltung ihrer beiden Brüder Otto und Gottfried von Bismarck zur Partei war dagegen früh und bis ins Jahr 1943 hinein positiv.
Der jüngere Gottfried nahm bereits am 1. September 1932 das Parteibuch entgegen. Bruder Otto ließ sich mit der Mitgliedschaft in der NSDAP etwas mehr Zeit als der Bruder. Am 1. Mai 1933, dem ersten mit großem Aufwand gefeierten „Tag der nationalen Arbeit“ trat er in die Partei ein. Es war in der letzten Minute, bevor die Parteileitung noch am selben Tag bis Mitte 1937 einen Aufnahmestopp verhängte, um „Konjunkturritter“ abzuhalten. Die Mitgliederzahl war nämlich von rund 860.000 im Januar auf über 2 Millionen im April 1933 angewachsen.8
Drei Tage vor der Machtübergabe hatte Otto von Bismarck seiner Mutter am 27. Januar 1933 geschrieben, dass das NS-Regime durchaus auch Karrierechancen für ihn und Bruder Gottfried bieten könne.9 Für seinen Bruder traf dies zweifellos zu: Gottfried von Bismarck vertrat die NSDAP von 1933 bis 1945 im Reichstag, gehörte dem Freundeskreis Reichsführer SS an und wurde später SS- Oberführer und SS-Brigadeführer. Auf Rügen übernahm er 1933 das Amt des Landrats und NSDAP-Kreisleiters, im Jahre 1935 wechselte er als Regierungspräsident nach Stettin und 1938 in gleicher Funktion nach Potsdam.
Dagegen sprechen Otto von Bismarcks langjährige Zeit als Botschaftsrat in London und seine spätere Gesandtentätigkeit in Rom nicht für eine steile Karriere im NS-Staat. Wohl zeigte er aber früh Sympathie für die Nationalsozialisten. So notierte Joseph Goebbels am 1. Februar 1933, einen Tag nach der Machtübernahme Hitlers und eineinhalb Monate vor seiner eigenen Ernennung zum Reichsminister für