Alfred Michael Andreas Bunzol

Augenzeugenbericht des Häftling Nr. 738 im KZ Buchenwald 1937–1945


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Verbindung nach Hindenburg zu halten. Wir fuhren jetzt öfters zu dritt, in meiner Freizeit, nach Hindenburg. In der Zentrale fanden politische Foren statt. Es wurde die sich anbahnende Entwicklung diskutiert. Richtlinien wurden erlassen. Meist sinnlose. Denn die politische Entwicklung, die auf uns alle wie eine Lawine herabstürzte, war nicht mehr aufzuhalten. Sie überholte uns ständig. Mir machte diese politische Arbeit jedoch viel Spaß und zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass ich ein guter Redner und Agitator war. Dieses Talent blieb auch anderen nicht verborgen und sollte mir auf den spätern Weg zu einer politische Kariere von Nutzen sein. Die Zentrale sollte nach dem Umzug nach Hindenburg, zumindest für einige Zeit, meine politische Heimat werden. Das aus Hindenburg mitgebrachte Wissen, musste ich immer in Bielschowitz an die Jugendlichen weitervermitteln. Genauso wie die Filmberichte. Ich glaube zweiteres kam bei der Jugend meist besser an. Trotzdem war die Entwicklung in Oberschlesien irgendwie traurig, weil sie nicht mehr aufzuhalten war. Wir hatten eingendlich nie Probleme mit Polen, die ja auch in Bielschowitz lebten und arbeiteten. Sie hatten auch keine Probleme mit Deutschen gehabt. Wir lebten bis jetzt friedlich zusammen und das, soweit ich weiß, schon über Jahrhunderte. Mit polnischen Kindern zu spielen war genau so selbstverständlich für uns, wie mit deutschen zu spielen. Im Gegenteil, sie lernten spielerisch Deutsch und wir von ihnen Polnisch. Viele Polen waren auch mit dieser Entwicklung nicht einverstanden. Lebten sie doch genau so friedlich und Glücklich in Bielschowitz wie wir. Man sieht dies auch an dem Ergebnis der Volksabstimmung. Viele Polen stimmten für einen Verbleib zu Deutschland. Sie fühlten sich nicht als Ausländer. Außerdem bestand, bedingt durch die gemeinsame Arbeit im Bergbau, zwischen vielen deutschen und polnischen Familien eine enge Freundschaft. Die Nationalität, denke ich, spielte bis zu dieser Zeit keine entscheidende Rolle. Alle waren Oberschlesier und dies seit Jahrhunderten. Und trotzdem kam es zu dieser Entwicklung. Sie entstand nicht hier, sie wurde von außen eingeschleppt, wie ein tödliches Grippevirus. Es konnte sich keiner diesem Virus entziehen, man wurde von ihm angesteckt. Das Zusammenleben veränderte sich. Wir Deutschen sahen die Polen jetzt misstrauisch an, und die Polen uns Deutsche. Viele Freundschaften zerbrachen an diesem Konflikt. Nur wenige haben ihn unbeschadet überstanden. Für fünf Monate war Bielschowitz noch unser Zuhause, unsere Heimat, dann zogen wir mit Sack und Pack nach Hindenburg, in die Einsiedelstraße 10. Bielschowitz wurde auf einmal Ausland für uns. Nichts war mehr so wie es einmal war. Der Preis für den Größenwahnsinn einiger wenigen. Doch die bauten sich von dem Verkauf ihrer todbringenden Kanonen Luxus Villen auf Hügeln und sollen bald als „Hart wie Krupp Stahl“ gefeiert werden. Andere bauten sich Schlösser von diesen „ihren“ blutgetränktem Kriegsgeldgewinnen. Unsere Häuser in der Einsiedelstr. 10 waren jedoch zwei oder dreistöckige Klickerbauten. Durch die Mitte dieser Häuser ging ein riesen langer Flur mit 2 Wasserhähnen. Links und rechts davon waren die Zimmer angeordnet. Auch sie waren hier, wie in Bielschowitz, das Eigentum der Grube. Die Straße war etwa 2 km lang, vollgepflastert mit diesen Häusern und leicht ansteigend. Sie endete in einen Wald. Er war eine aufgeforstete Halde. Hinter dem Wald war ein kleiner Bach, er war die neue Grenze zum Ausland, zu Polen. Vor nicht all zu langer Zeit war für uns die Grenze zu Polen noch weit, weit weg, jetzt haben wir sie quasi vor der Haustür. Das deutsche Reich mit seinen Grenzen beginnt zu schrumpfen, so wie es ein Apfel im Winter tut. Und der Winter hat für Deutschland erst begonnen. Der Wald wurde der neue Treffpunkt von uns Jugendlichen. Wir bauten uns hier einen Tisch mit ein paar Bänken und fanden es schön. Aber er war kein Ersatz für unseren alten Treffpunkt in Bielschowitz, den es nicht mehr gab. Unsere Familie bekam eine vier Zimmerwohnung in der Einsiedelstraße 10 zugewiesen. Links vom langen Flur Küche und gute Stube, rechts Elternschlafzimmer und Kinderzimmer. In dem sehr kleinen Hof befanden sich für je zwei Mietparteien eine Toilette und ein Schuppen in dem die Kohle für den Küchenherd gelagert wurde. Bei so mancher Familie führten diese Zustände zu heftigen Streitigkeiten. In Bielschowitz wäre so etwas undenkbar gewesen. Der Herd brannte, wie in unserem Haus in Bielschowitz, ebenfalls Tag und Nacht und erfüllte auch hier die gleichen Funktionen. Deputatkohle bekamen wir sofort, weil ich in Hindenburg eine Anstellung als Jugendlicher Bergarbeiter in der Wolfgang-Grube (gleicher Name wie die in Bielschowitz) bekam. Genauso wie Franz. Gegenüber zog Willi Pudlo mit seiner Familie ein. Seine Mutter, und 3 Geschwister, Kurt 6 Jahre, Paul 9 Jahre und Lisa 14 Jahre. Der Vater war im Krieg gefallen. Willi war 16 Jahre und arbeitete mit mir jetzt in der gleichen Grube unter dem Kommando von Obersteiger Schijuk. Der Arbeitsablauf in der Grube war der gleiche wie in Bielschowitz. Ich glaube er ist in allen Gruben dieser Erde gleich. Nur der Obersteiger und die Bergarbeiterkollegen waren andere. So vergingen die Jahre 1922 und 1923 in unserem neuen Zuhause mit Inflation, Kino- und Cafebesuchen und der Arbeit im Bergbau. Bei einem der vielen Besuche in der Zentrale des Selbstschutzes erfuhr ich durch Zufall, dass Paul ebenfalls Mitglied dieser Organisation sei. Er hatte sogar an bewaffneten Verteitigungskämpfen am Annaberg teilgenommen. Das wusste ich bis dahin nicht. Hilde und die Eltern auch nicht. War Paul doch mit Elfriede nach Gleiwitz gezogen, so dass kaum noch Kontakt zu ihm aufkam. Während der Verteitigungskämpfe am Annaberg hat er sich als geschickter und mutiger Anführer einen Namen gemacht. Es machte einen als jungen Spund doch irgendwie stolz, wenn man gefragt wird: „Wie heißt Du, Bunzol, ist der Paul Bunzol mit dir verwand und ich antworten konnte, „nee Paul ist mein Bruder.“ Grüß ihn von mir, war dann meist die Antwort, verbunden mit einem Schlag auf den Rücken. Die Grüße konnte ich aber nie ausrichten. Erstens habe ich mir selten die Namen gemerkt, und Zweitens sah ich Paul nur noch wenige Mal in meinen Leben. Das erste mal, es war kurz vor meinem Einsatz in Küstrin. Etwa im September 1923 wurde der „Selbstschutz Oberschlesien“ aufgelöst und ich wurde zur schwarzen Reichswehr geworben. Ein jugendlicher Held könne ich werden, sagte man mir! Gerade als Jugendlicher ist man dem Rausch des Neuen, des Ungewissen, des Abenteuers verfallen. Wer träumt nicht davon? Man will die Gefahren nicht erkennen, sind sie doch zu verlockend.

      Als ich mit Paul darüber sprach, riet er mir trotz meiner erst 16 Jahre es zu tun. Mir gefiel der „falsche“ Ratschlag meines Bruders zum damaligen Zeitpunkt recht gut. Stand doch eine Entscheidung in meinem jungen Gehirn noch auf der Kippe. Sein Rat hat mir gefehlt. Er war letztendlich der Auslöser es zu tun. Um ihn nachzueifern? So zu werden wie er? Wie bei den Bewaffneten Verteitigungskämpfen am Annaberg? Mutter und Hilde waren strickt dagegen. Auch sauer auf Paul. Hilde fragte mich noch, ob ich einen Vogel hätte. Überlege einmal, wie alt du bist. Überlege einmal, was dir da alles passieren kann, Alfred, das ist kein Spiel! Aber ich war damals, trotz vieler Warnungen, vielleicht auch weil ich in der Pubertät war und dadurch stur, beflügelt durch Pauls Worte, unbelehrbar. Es war die Sehnsucht nach Abenteuer oder man wollte als Jugendlicher ganz einfach mal raus aus seiner Haut. Als Jugendlicher denkt man schnell, man verwirklicht sich einen Traum. Der Traum sich aber genau so schnell zum Albtraum entwickeln kann, schneller als man es sich vorstellen kann. War für den Beitritt zum Selbstschutz, Bielschowitz und unsere Heimat der Auslöser! So kann ich außer Abenteuerlust für den Eintritt in die schwarze Reichswehr keinen vernünftigen Grund für mich erkennen. In nachhinein fällt es mir schwer eine Erklärung für diesen Schritt zu deuten. Ich hakte ihn ab unter „Fehler, die man nur einmal im Leben macht.“ Willi kam nicht mit, er wollte zwar, aber der Einfluss von Hilde, sie waren mittlerweile ein Paar geworden, auf ihn war schon stark genug, um es zu verhindern. Gott sei Dank! Bis zu meinem Abgang zur schwarzen Reichswehr hat sich am Tagesablauf in Hindenburg nicht mehr viel geändert. Außer das wir in der Wolfgang-Grube in Schichten arbeiteten. Von 6.00 – 14.00 Uhr Frühschicht, 14.00 – 22.00 Uhr Spätschicht und von 22.00 – 6.00 Uhr Nachtschicht. Sonst verbrachten wir den Tag im Wald, in der Zentrale oder wir gingen einfach ins Kino oder ins Cafe. Wie schon gesagt, eher durch Zufall nahm ich im Oktober 1923 am niedergeschlagenen Küstriner Putschxi der Schwarzen Reichswehr teil. Aber das war mir alles zum damaligen Zeitpunkt völlig unbekannt. Auch die 7 anderen Hindenburger Jugendlichen, die im September mit mir zusammen im Auto nach Küstrin gefahren wurden, hatten von den politischen Motiven die hinter dem Putsch standen, nicht die geringste Ahnung. Woher sollten wir dieses Wissen auch haben. Für uns war der Putsch nichts Aufregendes. In Grunde genommen haben wir, außer ein paar kleinen Aufregungen, von der ganzen Sache nichts mitbekommen. Wir waren vor Küstrin untergebracht und mussten am 3. Oktober unsere Waffen wieder abgeben, die wir kurzzuvor, bei unserer Ankunft, erhalten hatten. Damit war der Putsch vorbei, ohne dass er für uns überhaupt richtig begonnen hatte. Nach der Entwaffnung sprach ein Feldwebel,