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Chris Inken Soppa
RING DER NARREN
Kostüm und Offenbarung
Roman
edition
karo, neue literatur, Band 5Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über www.dnb.ddb.de abrufbar. Chris Inken Soppa
RING DER NARREN. Kostüm und Offenbarung
Verlag Josefine Rosalski, Berlin 2012
1. Auflage
© 2012 edition
karoim Verlag Josefine Rosalski, Berlin
www.edition-karo.de Alle Rechte vorbehalten Umschlagrafik: © Ljiljana Pavkov, iStockphoto.com
1. Digitale Auflage 2012 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783937881850
Chris Inken Soppa arbeitete nach ihrem Studium als Nachrichtenredakteurin, u. a. für den Mitteldeutschen Rundfunk.
Im Jahr 2010 erschien ihr Roman Unter Wasser in der edition karo, 2011 wurde sie Stipendiatin des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg, und 2012 erhielt sie für ihre englische Kurzgeschichte Victor den Daniil-Pashkoff-Prize 2012. Sie lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Konstanz.
Für Ralf
Inhalt
Die Macht der Schlafenden
Ein akademischer Nichtsnutz, ein Müßiggänger, ein eckiger Bolzen, der mit den amorphen Rundungen seiner Welt nicht zurecht kam. Ein Laberkopf, ein Unpünktlicher. Er kehrte Laub auf dem Friedhof. Er verkaufte fettglänzende Leberkässemmeln an übergewichtige Kinder. Er brachte gehbehinderten Großmüttern ihre Fertigmahlzeiten. Doch seine Zeit verging in Schüben, neckte ihn, schlich sich hinterrücks davon, ließ sich nicht einfangen, und dann war er schon wieder zu spät, obwohl er genau wusste, dass es ungehobelt war, einsame alte Damen warten zu lassen.
Milton Meier war zweiundvierzig. Der Ernst des Lebens hatte sich bis heute nicht bei ihm gezeigt. Einstige Gespielinnen heirateten andere Männer. Seine Freunde hatten anspruchsvolle Jobs, urlaubten in streng gestalteten Familienhotels und trafen sich regelmäßig mit ihren Golfpartnern. Milton beantwortete Werbeanrufe und las bunte Reklamebriefe. Die Fast-Food-Restaurants, in denen er aß, waren ebenfalls bunt, mit prahlerisch direkten Farbfotos anstelle von Speisekarten. Das Internet steckte voller leuchtender Bilder, die sich entfalteten, sobald seine elektronische Hand ein Symbol berührte. Selbst die fordernden Briefe vom Arbeitsamt waren von ihrem früheren Beamten-Graugrün abgekommen und mitleidslos knallig geworden.
Morgens lag Milton lange im Bett und redete mit den Astlöchern auf den Holzpaneelen seiner Zimmerdecke. Sie waren seine Mitbewohner, er mochte sie, erzählte Anekdoten und rätselte mit ihnen, was der Sinn seines Lebens sein könnte. Das runde Loch oben sah aus wie ein Puttenkopf, er nannte es Albert Einstein. Das längliche mit dem dunklen Punkt in der Mitte hieß Richard Dawkins und die Hundeschnauze mit der leuchtenden Nase Charles Darwin. Das kleine tiefschwarze Loch ganz links war die Unendlichkeit. Eine Zeit, in der niemand zu spät kam.
Vor zwei Jahren arbeitete Milton als Hausmeister im Feuerwehrmuseum. In der ehemaligen Schlosstorkel standen etwa fünfzehn Spritzenwagen aus anderthalb Jahrhunderten so eng beieinander, dass ein interessierter Besucher kaum genügend Abstand erreichte, um die goldenen Schriften auf den Seiten der Fahrzeuge zu lesen. Der älteste Wagen aus dem Jahr 1858 glich einer Kanone. Der neueste war ein Kübelwagen mit aufgerollten Schläuchen, der den Zweiten Weltkrieg unversehrt überstanden hatte. Im Stockwerk darüber lagen Helme hinter Glas. Einige waren mit brennbaren Federpuscheln bestückt; sie hatten den ranghöchsten Feuerwehrleuten gehört, samt dem Privileg, ihren Untergebenen aus sicherer Entfernung bei den Löscharbeiten zuzusehen. Ein anderer Helm war praktischer, mit dem sogenannten Ziegelspalter aus Stahl, der vertikal nach oben stand wie ein Hahnenkamm.
Es gab auch Uniformen. Eine stammte aus dem Jahr 1944. Sie hing an einem Bügel hinter den Vitrinen, blau mit roten Paspeln, Blechknöpfen und Hakenkreuz am Gürtel. Milton hatte sich gefragt, ob solche Klamotten wohl für die allgemeine Verblendung mitverantwortlich gewesen waren und ob man heute noch etwas davon spüren würde, eine verborgene Schwingung, die sich von der Uniform auf den darin steckenden Menschen übertragen und mörderisches Tun auslösen konnte. Nachdem sich Milton einmal aus Neugier in den kratzigen Anzug hineingewunden hatte, spürte er brennende Verlegenheit. Die Hosenbeine waren unten zu eng. Der Reißverschluss ging nicht zu. Die Jacke war so knapp geschnitten, dass sie ihm die Schultern nach oben zog. Nur der Gürtel ließ sich schließen. Ein Museumsbesucher hörte lautes Schnaufen, spähte durch den Raum und entdeckte einen schwitzenden Feuerwehr-Nazi mit offenem Hosenstall, der mit seiner Uniformjacke kämpfte und sich beinah selbst strangulierte. Gerade noch rechtzeitig gelang es dem Besucher, Milton mit einem kräftigen Ruck aus dem kompromittierenden Kostüm zu befreien. Ein Ärmel riss, es knackte in Miltons Ohren. Als er wieder etwas sehen konnte, nahm er seinen Helfer wahr, einen rosigen älteren Herrn im Trenchcoat, der ihn vorwurfsvoll anblickte und die derangierte Uniformjacke am ausgestreckten Arm weit von sich hielt.
Nach diesem Auftritt war es kaum einzusehen, dass Milton seinen Hausmeisterjob behielt. Immerhin gab es genügend andere, die für Arbeit jeglicher Art dankbar waren und bereit, sich mit Herz und Hand einzusetzen. Das erklärte ihm der Museumsdirektor beim Entlassungsgespräch. Miltons Retter erstattete Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und beklagte Miltons fehlende Achtung vor historischen Exponaten. Als die Polizei vor Miltons Wohnungstür stand, hatte der längst begriffen,