Jan Eik

Der Ehrenmord


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dem Arm erscheint?!», fragte die Mutter voller Empörung. «Angeblich das Balg einer nichtsnutzigen Nachbarin.»

      August stieß nur einen brummenden Laut aus, der ebenso gut Zustimmung wie Ablehnung - und nur die war gemeint - bedeuten konnte.

      «Weißt du, was ich glaube?», fuhr die Mutter ungerührt fort und sandte einen schnellen Blick herüber zu ihrem Ehemann, der hilflos mit der Gabel auf dem Teller herumfuhr. Sie senkte die Stimme, als sei der Vater nicht nur halb gelähmt, sondern auch schwerhörig. «Es ist der Bankert ihrer Tochter! Die bringt sie nämlich nie mehr mit. Angeblich hat sie eine Stellung angetreten. ..»

      Verächtlich stieß sie die Luft aus.

      August horchte auf. «Von wem redest du eigentlich?», erkundigte er sich unfreundlich.

      «Na, von wem wohl? Von der Waschfrau, der Jungnickeln aus der Adalbertstraße!»

      August hustete und hielt sich die Serviette vor den Mund.

      «Ach, die. ..», sagte er langgezogen. «Kommt denn die immer noch ins Haus?»

      «Ja, was glaubst du denn, wer deine Wäsche besorgen soll? Und seine. ..» Die abfällige Handbewegung zum Vater hin war deutlich genug. «Was der verbraucht, wird immer mehr.»

      August verzichtete auf einen Kommentar. Mitunter tat ihm der Alte zwar leid, aber was der sich als Familienoberhaupt den Söhnen gegenüber an Drohworten und Tiraden, ja an Wutausbrüchen und niederträchtigen Strafen geleistet hatte, konnte und wollte er nicht vergessen. Unwillkürlich fuhr seine Zungenspitze zum oberen falschen Schneidezahn, den er einer solchen Attacke verdankte. Und Gustav war es noch schlimmer ergangen.

      «Du erinnerst dich gewiss an das süße blonde Ding, das sie früher immer mitbrachte. Gustav hatte wohl ein Auge auf sie geworfen. .. Er hatte ja schon immer so einen gewissen Hang zum Ordinären. ..» Lauernd sah sie ihn an. «Weißt du etwas von Gustav? Lebt er etwa - mit irgendeiner Person zusammen. ..?

      Der Vater stieß ein paar Laute aus, die wohl seine tiefe Abneigung gegen den Geschmack seines jüngeren Sohn ausdrücken sollten. Weder August noch die Mutter reagierten darauf. Resigniert verstummte der Alte und machte sich über das Kompott her.

      Gewiss, August erinnerte sich an das dralle blonde Mädchen, verspürte aber nicht die geringste Lust, ausgerechnet mit seiner Mutter über diese Person oder über seinen Bruder Gustav zu sprechen.

      Sie hingegen ließ sich nicht in ihrem Redefluss aufhalten.

      «Die beiden Söhne von der Jungnickeln - das heißt, die sind von ihrem ersten Mann –, die sollen ja auch recht missraten sein, sagt man allgemein. Frau Professor Nothnagel. ..»

      Unwillkürlich hob August den Kopf, was die Mutter als ein warnendes Zeichen auffasste, nicht auch noch Mechthild, die schon etwas altbackene Tochter der Familie Nothnagel zu erwähnen, von der sie lange Zeit gehofft hatte, sie einmal als Schwiegertochter in die Arme schließen zu dürfen.

      Zu ihrer Überraschung jedoch fragte August mit einer Spur von echtem Interesse: «Sind denn die Nothnagels schon von der See zurück?»

      «Heute Mittag eingetroffen. Die politische Lage, meint der Herr Professor. Die Frau Professor wäre mit Mechthild gerne noch geblieben.»

      «Hmm. ..», machte August nur und zwirbelte selbstvergessen die linke Spitze seines martialischen Schnauzbarts.

      Die Mutter, Augusts Empfindlichkeit bezüglich der Nothnagelschen Familie eingedenk, kehrte lieber zu ihrem ursprünglichen Thema zurück. «Frau Professor ist jedenfalls der Meinung, sie ließe eine solche Person wie die Jungnickeln sicherheitshalber gar nicht erst in ihre Wohnung, weil die vielleicht bloß alles. .. ausbaldowere, und die Herren Söhne dann später. ..»

      August unterbrach sie. «Mach dir keine unnötigen Sorgen. Demnächst rücken die Kerle sowieso ins Feld, da vergehen ihnen die Flausen!»

      «Es gibt Krieg, nicht wahr?»

      «Selbstverständlich. Glaubst du, wir ließen unsere österreichischen Brüder im Stich?»

      «Ja, ja. Aber was wird aus eurer Firma? Liefert ihr nicht viel nach Petersburg?»

      «Darum muss sich der Cohn gefälligst selber kümmern», entgegnete August. «Dem geht jetzt schon der Hintern auf Grundeis, weil Porzellan und Krieg ihm nicht so recht zusammenpassen wollen. Dabei vergisst er, dass man das Zerschlagene hinterher wieder ersetzen muss. Das wird ein Bombengeschäft, vor allem in Frankreich und in den neuen Kolonien, die wir dann beherrschen werden.»

      «Na, wenn du meinst. ..»

      Endlich stand ihr Mundwerk mal ein Weilchen still, und er fand Zeit, ein wenig nachzudenken. Wie sich doch alles fügte! Nun war es endgültig an ihm, noch etwas Grundlegendes zu erledigen, das er nicht länger vor sich her schieben durfte. Ein deutscher Mann, der kurz davor stand, ruhmreich in den Krieg zu ziehen, hatte gefälligst auch seine häuslichen und familiären Verhältnisse in jeglicher Beziehung zu ordnen, und das gedachte er zu tun.

      Als er sich erhob, fragte die Mutter beinahe zaghaft: «Wirst du denn auch in den Krieg ziehen?», und er antwortete markig: «Wie es die Pflicht jedes echten deutschen Mannes ist!»

      «Und Gustav?»

      August hob die Achseln. Der Bruder war schon immer ein bisschen schwach auf der Brust gewesen. «Mach dir um den keine Sorgen. In spätestens acht Wochen sind wir sowieso alle wieder aus Paris zurück!»

      Er blickte ein letztes Mal zu seinem Vater. «Und dann trinken wir alle gemeinsam echten französischen Champagner!», rief er dem gestrengen Antialkoholiker zu.

      Der Alte ließ nur ein unverständliches Gurgeln hören.

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