Matthias Falke

Planetenschleuder


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Masse des Explorers hindurch. Es war zu hören, wie seine Systeme anliefen. Die Triebwerke strahlten bereits Hitze ab, die Korrekturdüsen glühten dunkelrot, die Leuchtsignale, die überall in die Stelzen und die Aufbauten eingelassen waren, sprangen flackernd an. Ohne stehen zu bleiben, nahm ich die Meldung des Leitenden Technikers ab.

      »Hat sie genügend Sprit?«, rief ich dem Mann, einem blutjungen Officer, zu.

      »Tausend Tonnen Plasma«, gab er zurück. »Wir hatten nur zwei Minuten, aber das Baby ist voll bis unters Dach.«

      »Das werden wir jetzt nämlich brauchen«, rief ich und bedeutete dann ihm und seiner Crew, sich in Sicherheit zu bringen. Das Deck musste vollständig evakuiert werden. In drei Minuten durfte sich kein Mann und kein leerer Blechkanister mehr hier befinden.

      Wir kletterten die Rampe hinauf und rannten den zentralen Korridor hinunter, der an der Messe vorbei zur Brücke führte. Hier waren wir zuhause. In völliger Finsternis, bei ausgeschalteter Schwerkraft und volltrunken hätte ich mich in diesen Gängen zurechtgefunden. Zusammengenommen hatten wir viele Jahre hier verbracht, davon die eine oder andere abenteuerliche Stunde, die uns innerhalb der Crew und mit dem Schiff untrennbar zusammengeschweißt hatte.

      Jennifer saß schon auf ihrem angestammten Platz, dem gravimetrischen Sessel am Hautbedienplatz der Ersten Pilotin. Jill warf sich neben sie auf den Platz der Zweiten Pilotin und machte sich sofort an ihren Anzeigen zu schaffen, während Reynolds und ich unsere Plätze im rückwärtigen Bereich der Brücke einnahmen und die Gravitationsgurte unserer sensoriellen Sitze aktivierten. Der WO holte sich den Online-Abgleich mit dem Hauptrechner der MARQUIS DE LAPLACE auf den Schirm. Neben Jennifer hatte er die wichtigsten Aufgabe bei der bevorstehenden Millimeterarbeit.

      »Quick Time Boot«, rief Jennifer der Automatik zu. »Nur primäre Systeme. Statusbericht kannst du dir sparen.«

      Vertraute und anheimelnde Geräusche waren zu hören. Die Eingangsluken schlossen sich. Zischend entleerten sich die Schleusenkammern. Überall im Schiff glitten die Schotte zu und rasteten mit hartem metallischen Krachen ein. Das langsam ansteigende Brummen war zu hören, mit dem die Feldgeneratoren die Außenabschirmung aufbauten. Ein leichtes Vibrieren zeigte an, dass die Maschinen Leistung aufnahmen und bereit waren, die gewaltigen Kräfte zu entfalten, zu denen diese bulligen Ackergäule fähig waren.

      »In Ordnung, Kinder«, sagte sie und schaute sich in der Runde um. »Drei Minuten ...«

      Gewohnheitsmäßig gab ich ihr das GO!, und gewohnheitsmäßig nickte sie es lächelnd ab. Gut dass Rogers in diesem Augenblick nicht sehen konnte, wie wir die neuverteilten Hierarchien missachteten.

      »Achtung«, stieß sie zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor – und das war gut so, denn wenn wir uns nicht festgehalten hätten, wären wir von den Gravitationsgurten stranguliert worden. In einer einzigen 500 Meter langen Ausscherbewegung jagte sie die Enthymesis rückwärts aus dem Hangar und in den Raum hinaus. Ich hielt die Luft an und versuchte meinen Magen unter Kontrolle zu behalten. Plötzlich lag wieder die Außenfront der MARQUIS DE LAPLACE vor uns. Zwei Hangars neben uns parkte gerade noch die Endeavour aus, ein wenig behutsamer, als wir das getan hatten. Das Große Drohnendeck war vollständig geräumt. Einige Serviceteams rannten noch zu den Ausgängen, sonst war niemand mehr zu sehen.

      In einem salto mortale rückwärts warf Jennifer den Explorer über Kopf nach hinten, holte dann ein wenig aus und flog von der Unterseite her wieder die MARQUIS DE LAPLACE an. Sie steuerte auf Sicht, bremste erst in letzter Sekunde ab und suchte dann die Notfallkupplung der unteren Ausstiegsschleuse.

      »Jennifer, Liebes«, sagte ich sanft. »Denk bitte daran, dass du jetzt einen Explorer fliegst und keine EVA mehr. Du hast 300 Meter hinter dir und 20 000 Tonnen, keine zwei Sitzreihen wie in einem Taxi ...«

      »Bullshit!«

      Sie spuckte das Wort verächtlich neben sich. Dann steuerte sie die Enthymesis manuell an die fünf Meter große halbkugelförmige Schleusenöffnung heran.

      »Ankuppeln«, befahl sie und übergab an die Automatik.

      Während sie die Hände von der Konsole nahm, sie im Nacken verschränkte und sich zurücklehnte, schob das Schiff sich selbsttätig die letzten paar Meter an den Nabel des Mutterschiffes heran, umfasste die Schleuse mit der Bugspange und ließ den tonnenschweren Stahlring einrasten. Ein hohles Knacken war zu hören, als die beiden Schiffe fest miteinander verbunden waren. Zischend wurde der Druckausgleich hergestellt. Auch die Kommunikation lief jetzt wieder über die Kontakte, die in die Schleusenkammer integriert waren.

      »Okay, Reynolds«, sagte Jennifer, die sich mit einem Seitenblick zugleich der Hilfe Lamberts vergewisserte, »dann geben Sie mir mal den Kurs.«

      Ich löste die Gravitationsgurte und stand auf. Am Handkommunikator öffnete ich einen Kanal.

      »Rogers«, rief ich. »Wir wären so weit! Reichen Sie uns die Daten rüber!«

      Nach einer Verzögerung, die mein Herz um einen Schlag aussetzen ließ, war der Ex-General in der Leitung.

      »Wurde auch langsam Zeit«, brummte er. »Sie haben noch zwei Minuten zwanzig. Die Bahndaten sind unverändert. Die exakten Informationen spielt Frankel Ihnen in dieser Sekunde rüber.« Er hielt inne, aber es war zu spüren, dass er noch etwas sagen wollte. »Mh«, räusperte er sich dann, »ich bin zwar immer noch nicht überzeugt, dass das funktioniert, was Sie sich da ausgedacht haben, mhm, aber ...« er brachte den Satz nicht zuende.

      Auf der Hauptleitung war Frankel zu hören, der den beiden Pilotinnen die Daten, die er ihnen gleichzeitig überspielte, erläuterte.

      »So weit, so gut«, sagte er gerade. »Das ist unsere aktuelle Bahnprognose. Ich bitte sie mit Vorsicht zu genießen.«

      »Woll'n mal sehen«, machte Jennifer und beugte sich über ihr Bedienfeld. »So wie er reinkommt, schlägt er in die 30er und 40er Decks. Da sind die Plasmatanks.«

      Ich spürte, wie mein Zwerchfell sich verkrampfte. Daran hatten wir noch überhaupt nicht gedacht! Ein Treffer in die Tanks würde zu einer Megatonnen-Explosion führen, die von den mittleren Segmenten nur Strahlung übriglassen würde. War es nicht vernünftiger, abzukoppeln und sich in Sicherheit zu bringen? Aber Frankel war noch nicht fertig.

      »Außerdem ist unser Deepfield nach wie vor auf einem Auge blind, was das räumliche Sehen bekanntlich einigermaßen erschwert.«

      »Wie ist die Vorhersagegenauigkeit?«, fragte Jennifer.

      »Plus, minus zehn Meter«, meldete Reynolds sich in ihrem Rücken zu Wort, »und das Ding trudelt wie ein Melkeimer, der eine holprige Wiese herunterrollt.«

      »In Ordnung«, sagte Jennifer so ruhig, als ginge es um einen Dreisatz bei der Aufnahmeprüfung zur Akademie. »Heben wir das Baby also ein wenig an.«

      »Rogers!«, schrie ich in den Kommunikator. »Sie müssen die Tanks abpumpen!«

      Ich benutzte nur den Audiokanal, aber trotzdem sah ich sein verächtliches Grinsen vor mir, als er antwortete: »Damit haben wir schon begonnen, Commander.« Das letzte Wort dehnte er in einer Süffisanz, die mir fehl am Platze schien. »Allerdings dauert es noch eine Weile, bis die Containments leer sind. Sie können sich ja vorstellen, wieviel Plasma da oben lagert ...«

      Wir saßen auf einer gewaltigen Bombe! Nein, wir waren unter ihrem Bauch festgepinnt. Rogers hatte recht gehabt: die Detonation, die es gleich geben würde, würde man noch auf der Erde sehen können.

      Ich zwang mich, mich nicht von Panik überwältigen zu lassen.

      »Dann blasen Sie das Zeug in den Orbit«, herrschte ich Rogers an. »Oder glauben Sie, dieses Risiko vertreten zu können?«

      Quälende Sekunden schwieg der tote Kanal mich an. Vermutlich überlegte er, ob er auf diesen Tonfall reagieren sollte.

      Ich atmete einige Male tief durch. Dann wandte ich mich an Jennifer, die gerade die Zündungssequenz für das Haupttriebwerk einleitete.

      »Darling«, sagte ich mit bezähmter Unruhe. »Das ist Wahnsinn. Wir können die