Frank Baranowski

Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945


Скачать книгу

der Stresemannschen Außenpolitik verurteilten die Projekte zum Scheitern. Noch im gleichen Jahr wurde die halbfertige Anlage bei Samara den Russen überlassen, die Fabrik in Gräfenhainichen demontiert und an die I.G. Farben verkauft.81

      Im Zuge der 1925 begonnenen Reorganisation der Reichswehr hatte das Militär ein wissenschaftliches Beratergremium für Gasschutz- und Kampfstoff-Fragen ins Leben gerufen. Von Seiten der Reichswehr wirkten in diesem Gremium Vertreter des Heereswaffenamtes, der Sanitätsinspektion, der Marine-Leitung und der für die chemische Kriegsführung zuständigen Inspektion der Artillerie mit. Von Seiten der Wissenschaft war der Beraterkreis interdisziplinär zusammengesetzt, u. a. mit dem Leiter der Forschungsabteilung der Auer-Gesellschaft und Wissenschaftlern staatlicher Forschungsanstalten, Technischer Hochschulen sowie der Universitäten Göttingen, Leipzig und Würzburg.82 Unter ihnen war Gerhart Jander, seit April 1922 Leiter der Anorganischen Abteilung des Chemischen Instituts der Universität Göttingen und Mitbegründer der dortigen NSDAP. Für die Reichswehr arbeitete er an mehreren Forschungsprojekten zur Weiterentwicklung chemischer Kampfstoffe.83

      Der Reichswehrauftrag an die Forscher zielte auf die Schaffung der theoretischen und technischen Grundlagen der Giftgastechnologie; dorthin floss das Gros der von der Reichswehr investierten Mittel. Nur geringe Förderbeträge kamen dem direkten Aufbau von Produktionskapazitäten zu Gute. So sah die Reichswehr Ende 1927 einen im Vergleich zu anderen Vorhaben der fabrikatorischen Vorbereitung vergleichbar geringen Mittelbedarf von knapp 1,5 Millionen vor, der in drei Vorhaben investiert werden sollte. 560.000 RM waren für die Ergänzung der Apparaturen für die Herstellung von 80 t Blaukreuz der „als Keimzelle anzunehmenden Azofarbenfabrikation der Agfa in Wolfen“ bestimmt. Die verbleibenden 900.000 RM sollten in Füllanlagen für Gelb- und Grünkreuz investiert werden.84 Im Frühjahr 1931 stellte die Reichswehr das weitere Vorgehen bei der Giftgasproduktion in großer Runde zur Diskussion. Die Referentenbesprechung vom 16. April 1931 kam zu dem Ergebnis, dass vom militärischen Standpunkt aus die Verwendung von Gas, „namentlich im Hinblick [auf die] fliegerische und artilleristische Lage einen nicht zu unterschätzenden Zuwachs an Kampfkraft“ bedeute. Für den Rüstungsabschnitt 33/​38 schlugen die Beteiligten vor, zumindest für Gelbkreuz fabrikatorische Vorbereitungen, allerdings keine Bevorratung – bis auf Oxol – zu treffen.85

      Dies galt vorbehaltlich der bis dahin ungeklärten Frage, ob überhaupt Kampfstoffe im Kriegsfall eingesetzt werden sollen. Ende Mai 1931 erläuterte das Technische Amt in einer weiteren Stellungnahme, dass „die Freigabe des Einsatzes […] im Frieden nicht im Voraus“ entschieden werden könne. Weiter hieß es: „Voraussichtlich dürfte jeder kriegsführende Staat, der das Genfer Gasabkommen vom 17. 06. 1925 unterzeichnet hat, das Odium des Vertragsbruches vermeiden wollen und versuchen, dem Gegner hiervon die Vorhand zu überlassen“. Daher sei es zweckmäßig, „sich nicht selbst auf die Verwendung von Gaskampfstoffen festzulegen, sondern zunächst abzuwarten, wie sich die Gegenseite verhält“. Außerdem dürfe man nicht von vornherein mit der Anwendung von Gaskampfstoffen rechnen. Die Taktik „muss so ausgebildet sein, dass sie auch ohne diese auskommt“.86

      Die in aller Stille entwickelten neuen Waffensysteme, Flugzeuge und chemischen Kampfstoffe ließ die Reichswehr in der UdSSR testen. So hatte sie in Lipezk, 375 km südöstlich von Moskau gelegen, eine geheime Fliegerschule errichtet, die in den Jahren 1925 bis 1931 als Erprobungszentrum für Bomben und Abwurfgeräte, Maschinengewehre und neue Flugzeuge diente.87 Unter Leitung des Diplom-Ingenieurs Ernst Marquard88 vom Heereswaffenamt wurden z. B. die von Curt Heber und Zeiss Jena entwickelten Bombenwurfgeräte zunächst im April 1930 in Berlin-Staaken vorübergehend in einer in einem Hangar stehenden Junkers W 33 am Boden geprüft, dann auf dem Luftweg zur weiteren Erprobung nach Lipezk geschafft. Heber und Marquard erhielten die Erprobungsergebnisse. „Je nach positivem oder negativem Ergebnis ergaben sich daraus neue konstruktive Entwicklungen. Die Zeichnungen der Geräte wurden in Archiven gespeichert und standen dann beim Aufbau der Luftwaffe zur Verfügung“.89 In Tomka bei Saratow hatte das deutsche Militär eine Anlage zur Erprobung von Giftgas errichtet. Ihre Panzerfachleute bildete die Reichswehr ab 1928 – als Traktorfahrer deklariert – in Kazan an der Wolga aus.90

      Damit die Forderungen des Militärs bei der Aufstellung des Haushaltes 1933 hinreichend Berücksichtigung fänden, hatte Wilhelm Heye91 als Chef der Heeresleitung bereits bei Verabschiedung des 1. Rüstungsprogramms angeordnet, für die anschließende Rüstungsperiode die Vorbereitungen bis spätestens Herbst 1931 abzuschließen. Die Beschaffungsstellen des Waffenamtes gingen schon Mitte 1929 an die neuen Planungen. Vorgabe der Reichswehrführung für dieses 2. Rüstungsprogramm war nunmehr wieder ein 21-Divisionen-Feldheer mit 300.000 Mann.92 Zur Finanzierung dieses auf fünf Jahre ausgelegten 2. Rüstungsprogramms forderte die militärische Führung nicht weniger als eine Milliarde RM. Damit sollte die Ausstattung der Streitkräfte und ihr erster Nachschubbedarf für vier bis sechs Monate garantiert und die fabrikatorischen Vorarbeiten, d. h. die Einrichtung der Fabriken, soweit vorangetrieben werden, dass die Industrie vom vierten Monat an die Weiterversorgung sicherstellt.93 Doch das Milliardenprogramm stieß auf den Widerstand der politischen Führung. Sie begrenzte das Rüstungsprogramm 1933 bis 1938 letztlich auf 484 Millionen RM.94 Schon im August 1929 war vom Technischen Amt die Aufforderung an das Waffenamt ergangen, „als bleibende Unterlage für Operationsentwürfe, Kriegsspiele usw. […] eine Aufstellung der derzeitigen Fertigungsmöglichkeiten für den Nachschub“, gegliedert nach Inner- und Gesamtdeutschland, zu erstellen.95

      Die Zahl der in Vorbereitung des 2. Rüstungsprogramms vom Waffenamt erkundeten und für eine Fabrikation ausgewählten Betriebe hatte sich bis in die frühen 1930er Jahre erheblich erhöht. Im November 1931 legte das Waffenamt mit seinem „Fertigungsprogramm 1000/​31“ erstmals für sämtliche Waffengattungen der Reichswehr konkrete Fabrikationsvorschläge vor. Es verzeichnete etwa 1.000 Unternehmen in ‚Innerdeutschland‘, gegliedert in 14 Regionalbezirke. Neben dem Namen des Werkes und seinem Standort enthielt das Programm genaue Angaben über die im Kriegsfall von den einzelnen Werken herzustellenden Rüstungsgüter.96 Die Reichswehr hatte sich so ein engmaschiges Netz möglicher Zulieferer im Wartestand geschaffen und damit das Fundament für den späteren Ausbau und Aufschwung der Rüstungsindustrie, vor allem aber für ihre eigene Hochrüstung unter anderen politischen Voraussetzungen gelegt. Bereits dieses Konzept von 1931 legte einen deutlichen Schwerpunkt auf Unternehmen in der Region Braunschweig.

      Allein neun Maschinenproduzenten und metallverarbeitende Betriebe werden als Rüstungslieferanten vorgesehen, so die Amme-Luther-Werk AG für die Produktion von monatlich 100 Minenwerfern, 7.500 Feldhaubitzgranaten und bis zu 12.500 8,8-cm-Geschossen. Die Herstellung von Geschossen unterschiedlichster Kaliber wurde bei der Braunschweigischen Maschinenbau-Anstalt, den Brunsviga Maschinenwerken Grimme (2-cm und 3,7-cm), der Dampfkessel- und Gasometerfabrik, vormals A. Wilke & Co. (15-cm), der Vereinigten Eisenbahn-Signalwerke GmbH (15-cm) sowie den Maschinenfabriken Karges-Hammer (7,5-cm) und Selwig & Lange (8,8-cm) angesiedelt.97 Diese Unternehmen hatten in den 1920er Jahren starke Produktionseinbußen hinnehmen müssen; nunmehr erlaubte ihnen ihre Infrastruktur, ohne größere Investitionen Rüstungsaufträge, die ihnen die Reichswehr anbot, zu übernehmen. Fest eingeplant waren auch der Lastkraftwagenhersteller Büssing NAG sowie die Firma Voigtländer & Sohn für die Herstellung von Zielfernrohren und optischem Gerät.98

      Sehr viel mehr noch waren Hannoveraner Betriebe in diese frühen Planungen der Reichswehr einbezogen. Allein im heutigen Stadtgebiet von Hannover hatte die Reichswehr mehr als 20 Firmen zu Herstellern von Kriegsgerät und Zubehör bestimmt,99 allen voran die beiden bereits seit 1927 mit illegalen Aufträgen bedachten und auf weitere „harte Rüstungsgüter“ ausgerichteten Firmen Hannoversche Maschinenbau AG (Hanomag) und Lindener Zündhütchenfabrik Empelde.100 Sie hatten Ende der 1920er Jahre mit großzügiger finanzieller Unterstützung der Reichswehr Pressen angeschafft und ihre Werksanlagen für weitere Rüstungskapazitäten ausgebaut. Eine solche direkte Finanzierung war das Privileg nur weniger Firmen und unterstreicht, wie sehr die Reichswehr auf die beiden Firmen als Hauptlieferanten setzte.101 In den Planungen des Jahres 1931 stand Hanomag als Hersteller von Flugmotoren, Zugmaschinen, Sperrgerät und Granaten verschiedenster Kaliber. Als Hilfsfirma sollte Hanomag zudem Geschütze für die Deutsche Industriewerke AG in Berlin-Spandau sowie 8,8-cm-Flakgeschütze für Borsig herstellen. Die Lindener Zündhütchen- und