in der Zwischenzeit Kontakt zu einer kanadischen Landfunkstelle aufgenommen und um medizinische Beratung gebeten. Der Arzt der gewählten Landfunkstelle empfahl eine medizinische Behandlung in einem Krankenhaus in Halifax, einem kanadischen Hafen.
Der Transport durch einen Hubschrauber oder das Anlaufen eines Hafens war aber aufgrund der großen Entfernung, den Wetterbedingungen und Eisverhältnissen nicht machbar.
Herzdruckmassage und Beatmung wurden lange Zeit weiter fortgesetzt. Ohne Erfolg.
Es wurde kein Lebenszeichen bei Chris mehr festgestellt. Keine Atmung, kein Herzschlag, der Kapitän stellte den Tod fest. Chris war verstorben.
Der Kapitän beauftragte den Netzmacher, bei Chris bis auf Abruf zu verbleiben. Der Kapitän und Martin begaben sich in den Brückenraum, um über das weiteres Vorgehen zu beraten.
Der Funker hatte inzwischen auf Weisung des Kapitäns die Reederei telegrafisch über den Unfalltod von Chris Kleinke informiert.
Es musste eine Entscheidung zur Bestattung getroffen werden. Die meteorologischen Bedingungen, Treibpackeisfelder bis an die Küste, ermöglichten nicht das Anlaufen der kanadischen Häfen Halifax oder St. Johns und damit eine Landbestattung. Der Transport der Leiche in die Heimat über eine Fluggesellschaft war somit nicht möglich. Der Kapitän entschied sich nach Beratung mit seinen Schiffsoffizieren und den Reedereiverantwortlichen für eine Bestattung auf hoher See.
Ein Verantwortlicher aus dem Personalbüro der Reederei fuhr am gleichen Tag zu Frau Kleinke, teilte ihr den Unfalltod ihres Sohnes mit und informierte sie über die geplante Seebestattung.
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Die Nachricht über den Tod des Sohnes verursachte bei Frau Kleinke einen Schockzustand. Sie weinte und schrie. Durch die Nachbarin wurden die Gemeindeschwester und die Pastorin des Ortes benachrichtigt. Beide Frauen standen ihr in den schweren Stunden bei, spendeten Trost und linderten ihr Leid durch ihre persönliche Nähe und Zusprache. Die Vorstellung, Bestattung ihres einzigen Sohnes, weit weg von zu Hause, im kalten und tiefen Wasser des Atlantiks, schmerzte sie bis zur Bewusstlosigkeit. Durch die Nähe und Hilfe beider Frauen fand sie nach Stunden langsam in die Realität zurück.
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„Wir gehen heute noch auf Heimreise und werden morgen Chris auf hoher See bestatten. Die Eisverhältnisse ermöglichen nicht das Anlaufen eines Hafens“, informierte der Kapitän die in der Messe versammelte Besatzung.
„Hans, Du hast den Beruf eines Tischlers erlernt. Fertige einen Sarg aus den neuen Raumschotten und eine Sarghülle aus Segeltuch. Morgen früh musst Du damit fertig sein.“
„Fritz, du hilfst Hans dabei. Martin du übernimmst mit den Brüdern Kessel die Einsargung, sobald Hans den Sarg gefertigt hat. Ab heute Abend gehen wir wieder geregelten Brücken- und Tagesdienst. Die Totenwache erfolgt heute durch den Tagesdienst“, bestimmte der Kapitän weiter und verlies die Messe.
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Der Trawler trieb quer zur See, der Wind und die See kamen von Steuerbord. Der Bestmann organisierte das Auskippen des noch nicht geleerten Stertes und die Bearbeitung des Fanges. Der „Unfallblock“, einschließlich Läufer, wurden in der Lampenlast für die Ermittlung der Ursache des Bruches durch die Klassifikationsgesellschaft und Arbeitsschutzbehörde im Heimathafen zwischengelagert.
Die großen Seitenscherbretter und „Ponnybretter“ wurden zwischen den Galgen und das Schanzkleid gesetzt. Das Netz wurde vom Rollengeschirr abgeschlagen, gereinigt und in der Backbordhocke zwischengelagert. Die Decksschotten wurden aus den Halterungsstützen entfernt, mit Seewasser gereinigt und auf der Backbordseite des Decks gesichert. Die Lukensülle wurden mit Eis aufgefüllt, die Thermodeckel und Holzdeckel eingesetzt. Den Abschluss bildeten schwere eiserne Lukendeckel, die durch starke Bügel gesichert wurden. Zuletzt wurde das Deck mit Seewasser gereinigt. Die Tagesarbeit war getan. Die Decksleute zogen ihr Ölzeug aus und gingen in ihre Kammern. Gespräche untereinander kamen nicht mehr zustande. Alle waren in sich gekehrt.
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In seinen Gedanken sah Martin den Eintritt des schweren Unfalls, die schweren Verletzungen und die starren Augen von Chris, die ihm noch etwas sagen wollten.
Unfassbar, sein Schulfreund und Arbeitskollege war tot. Was sollte er der Mutter sagen? Hatte er alles getan, um den Unfalleintritt zu verhindern? Wie sollte er das Geschehene der Mutter erklären? Er dachte an den Stein, den Chris in der Nähe des Mastes aufbewahrt hatte.
Der Kapitän beauftragte Martin, die persönlichen Sachen von Chris zu erfassen. Dieter, der mit Chris zusammen eine Kammer im Vorschiff auf der Backbordseite bewohnte, half ihm dabei. Für die Einsargung wählte Martin aus den persönlichen Sachen einen blauen Rollkragenpullover und eine blaue Hose aus. Das kleine Kopfkissen, welches Chris von zu Hause mitgebracht hatte, sollte als Kopfstütze dienen.
Alle weiteren persönlichen Sachen wurden in zwei Seesäcken verstaut, verplombt und in dem Wäschestore zur Aufbewahrung gebracht.
Das Schiff war auf Heimatkurs. Kapitän Bering hatte das Unfallgeschehen in das Schiffstagebuch eingetragen. Anhand dieser Eintragung wurde durch die Behörde im Heimathafen der amtliche Totenschein ausgestellt.
Hans fertigte mit Fritz den Sarg in der Netzlast an. Beide sägten die neuen Raumschotten unter Berücksichtigung der Körpermaße von Chris zu und verschraubten diese zu einem Sarg. Die Innenwände wurden mit Filzstreifen ausgeschlagen, sodass der Körper weich lagerte. Im Fußbereich war ein Raum für Beschwerungsmittel vorgesehen. Aus der Persenning, die für die Anfertigung von Abdeckkappen vorgesehen war, wurde der Überzug für den Sarg gefertigt. Sechs Ösen aus dickem Sisaltauwerk wurden fest aufgenäht, die das Tragen des Sarges ermöglichten.
Am späten Abend meldete Hans die Fertigstellung des Sarges. Kapitän Bering überprüfte den Sarg, hatte keine Beanstandungen und ordnete die Einsargung an. Der Sarg wurde in den Trockenraum gebracht, wo die Leiche von Chris auf der Krankentrage lag.
Gemeinsam mit den Brüdern Kessel entfernte Martin die Arbeitsbekleidung und zog Chris die ausgewählten Kleidungsstücke an. Der Kopf wurde auf dem kleinen Kissen abgelegt und gerichtet. Das bunte Halstuch, das die Mutter Chris beim Abschied schenkte, wurde durch Martin beigelegt.
Die Halteschlaufen wurden verknotet und gaben den Körper Halt und sicherten ihn gegen Verrutschen. Der Fußraum wurde mit Beschwerungsketten, kurzen Ankerkettengliedern, ausgefüllt.
Zum letzten Mal betrachtete Martin seinen Freund. Das Geschehene erschien ihm wie ein Traum. Er dachte an die Mutter von Chris. Wie sollte er ihr das Geschehene erklären?
„Hans, verschraube den Deckel. Es ist alles getan“, sagte Martin mit leiser Stimme.
Gemeinsam zogen die Männer den neu gefertigten Segeltuchbezug über den Sarg. Fritz nähte das offene Ende des Bezuges zu.
Die Lagerung des Sarges bis zum Zeitpunkt der Seebestattung erfolgte auf Pallungen im Trockenraum. Martin übernahm als Erster die Totenwache.
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Der Kapitän ordnete für den folgenden Tag die Seebestattung an. Das Schiff hatte die Neufundlandbank verlassen und befand sich im Atlantik. Der Echograph zeigte die Meerestiefe nicht mehr an. Der Erste Steuermann übernahm den Wachdienst des Kapitäns. Als Zeichen der Trauer wurde die deutsche Flagge auf Halbmast gehisst.
Kapitän Bering begab sich an Deck. Sechs ausgewählte Decksleute legten den Sarg auf der ersten Luke ab und sicherten diesen gegen das Verrutschen durch Krängung und Stampfen des Schiffes. Der Erste Steuermann stoppte das Schiff auf der vorgesehenen Position und legte es quer zur See.
Die Füße des Toten zeigten zur Steuerbordseite. Wind und See kamen von Steuerbord. Überkommende See spülte über das Deck. Die wachfreie Besatzung stand, in Ölzeug gehüllt, beidseitig des Sarges. Die Gesichter der Männer waren starr, die Augen feucht. Martin stand innerlich gebrochen am Sarg. Die Schmerzen in der Brust nahmen zu, das Gesicht war verzerrt.
Kapitän Bering hielt die Trauerrede.
„Wir sind hier, um von Chris Abschied zu nehmen. Wir trauern um einen Kollegen, der gern