Matthias Falke

Torus der Tloxi


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auf den Oberarm.

      »Du hast ja recht, Frank«, sagte er. »Aber wir dürfen nichts überstürzen. Wir müssen vorsichtig sein. Noch sind wir nur ein Spieler von vielen. Wir müssen eine gemeinsame Plattform finden. Denn eines können wir jetzt nicht brauchen: dass jeder seines Weges geht und die Galaxie im Chaos versinkt!«

      Zwei Sonnen, eine blaue, eine rote. Die blaue war die kleinere, heißere, jüngere. Ihr Feuer war erst vor einigen Dutzend Millionen Jahren aufgesprungen, eine sphärische Wolke überdichten Wasserstoffs entzündend, das sie seither zu Helium brannte. Ihr Licht entsprach einem hohen Mittag im Gebirge, wenn der Himmel rein war und die Firne dunkelblau erschienen, eingebettet in blendenden Glast. Ihr Spektrum verlief stark zum Ultravioletten hin, mit mächtigen Peaks in der Röntgen- und Gammastrahlung. Ihr Gravitationstrichter war steil und glatt, ihre Ausbrüche heftig. Sie rotierte schnell. Alles an ihr hatte das Eruptive, Überhitzte, Gleißende der frühen Jugend, des reinen tropischen Vormittags, des heiligen Zornes adoleszierender Männer und des unwiderleglichen Aufbruchs einer neuen Kultur, deren Reiterhorden die Steppe erobern und sich die Barbarenvölker unterwerfen. Die Sternenkarten verzeichneten sie als β Horus und gaben ihre voraussichtliche Lebensdauer mit sechs Milliarden Jahren an.

      Die rote Sonne, γ Horus, hatte einen großen Teil dieser Zeit schon hinter sich. Sie war die mit weitem Abstand ältere, kühlere, auch größere. In wenigen Jahrhunderttausenden würde ihr Brennstoff – gegenwärtig verschmolz sie Helium zu Kohlenstoff und Sauerstoff –aufgebraucht sein, dann würde sie sich zu einem Roten Riesen emporblähen, ihr Umfang würde um das Zwanzigfache steigen, ihre dunkel glühende Chromosphäre den heißen Rand ihres Nachbarn berühren, der in der Folge beginnen würde, sie langsam aufzuzehren. Eine Akkretionsscheibe würde sich bilden, in der ihr allmählich erkaltendes Fleisch spiralförmig auf jene blaue β-Sonne übergehen würde. Sie war von der glutenden Schönheit eines Nachmittags in alten Rosengärten, von der Milde eines alten Weines, von der sehrenden Hingabe einer erfahrenen Geliebten und der mürben Weisheit einer jahrtausendealten Kultur. Sie glich den Schätzen des Orients, den Geheimnissen Ägyptens, der tiefen Einsicht Zentralasiens – um terrestrische Metaphern zu bemühen. Alles an ihr war schwer und satt und müde. Aber auch reich, kostbar und unwiederbringlich.

      Die beiden Sterne umkreisten einander auf einer engen, stark elliptischen Bahn. Sie waren wie Gegner, die einander belauerten. Wie ein Paar, das einander anzog und auf Distanz hielt. Wie ein Jäger, der noch eine Weile mit seinem Opfer spielte – und ein Opfer, das den Jäger in dem Glauben ließ, er sei der Überlegene. In einem Rhythmus von zweieinhalb Standardtagen kamen ihre Feuerbälle umeinander herum; und in einem Rhythmus von sechzig Standardstunden überschüttete rotes und blaues Licht den Torus, der in gemessenem Abstand von dem Doppel vor dem sternenlosen Raum hing.

      Der Torus rotierte um seine unsichtbare Achse. Wo diese eine gedachte Ebene durchstieß, die parallel zu der seiner Ekliptik lag, in einigen Kilometern Distanz, befand sich der Parkraum des Kongresses. Er war an jenem Punkt eingerichtet, den man bei einem Planeten als Lagrange I bezeichnet haben würde. Zwar war der Torus nicht massiv genug, um die Gravitationswirkung einer Welt zu entfalten, dennoch stellte seine Anwesenheit einen stabilisierenden Faktor dar. Man hatte die Schiffe, die den Parkraum anflogen, angewiesen, die Rotationsbewegung des Torus nachzuvollziehen. Dadurch wurde die Zusammengehörigkeit des Systems herausgestrichen. Sie war für den außenstehenden Betrachter umso eindrucksvoller, als im Parkraum ständig Bewegung herrschte. Schiffe kamen und gingen, legten an und stießen sich ab, schwebten in die Quadranten ein, die das Tloxi-Kontinuum ihnen schweigend und unermüdlich zuwies, und entfernten sich wieder daraus.

      Warpkorridore wölbten ihre heliumblau gewölbten Rüssel vor und spien Versorgungsschiffe oder Kreuzer aus. Zerstörer oder Cargodrohnen schlichen bei Kleiner Fahrt zu den Ausflugschneisen, zündeten die Warpkerne und verschwanden in weißblauen Lichtblitzen, deren Gegenstücke im gleichen Augenblick Tausende von Parsecs entfernt aufbrachen. Und zwischen den Schiffen sowie zwischen ihnen und dem Torus herrschte beständiger Flugverkehr von Shuttles, Drohnen und kleinen Scootern, mit denen Einzelpersonen oder Tloxi die Leere zwischen den gewaltigen Artefakten überwanden.

      Unter allen diesen Schiffen stach eines ins Auge, das mit Abstand das mächtigste war. Sein lang gezogener schlanker Bau war von erhabenen Dimensionen und von unwiderleglicher Eleganz. Der Rhythmus seiner stählernen Segmente war harmonisch. Der silberne Glanz seiner Planken aus gehärtetem Titanstahl funkelte kostbar im wechselnden Licht der beiden Sonnen. Seine schieren Ausmaße waren eine Demonstration von Macht und Stärke. Es ruhte zwischen den anderen wie ein Flaggschiff im Zentrum der Flotte, die es führt, wie ein König unter den Fürsten, die ihren Eid bei seinem Leben geschworen haben, wie ein Feldherr, der inmitten seiner Generäle aus dem Zelt tritt und zur Schlacht ruft. Sein Name war MARQUIS DE LAPLACE, und es schwebte wie ein Szepter vor dem Raum, wie ein Insignium der Macht, geschaffen, über all die anderen Kreaturen dieser Welt zu herrschen …

      »Das hättest du wohl gerne!«

      Jennifer, die sich nach einem langen Tag ergebnisloser Verhandlungen in der Nasszelle erfrischt hatte, trat neben mich und würgte meine Allmachtsfantasien in der Gnadenlosigkeit ab, die ihr eigen war.

      »Wir sind gleichberechtigte Völker einer neuen Union, in Frieden verbunden, um die Galaxis zur Blüte …«

      Ich küsste ihr feuchtes Stoppelhaar und zog sie an mich.

      »Erspar mir das Politikergeschwätz«, bat ich. »Nur weil ihr den ganzen Tag diese inhaltsleeren Phrasen dreschen müsst, heißt das nicht, dass das nach Feierabend ewig so weitergehen muss.«

      Sie schmunzelte und rubbelte sich mit einer Ecke ihres Handtuchs aus selbsterwärmendem Elastil hinter den Ohren.

      »Du solltest dich mal hören«, lachte sie. »Zu was willst du dich ausrufen lassen? Zum Kaiser?!«

      Sie frottierte ihren Schädel, aus dem das nasse Kurzhaar ein junges Igelküken machte. Das warme Abendlicht der roten Sonne lag auf ihren Zügen. Auf den hohen Wangenknochen, der glatten Stirn, den Augenwinkeln, in denen sich die ersten zarten Falten bildeten. Der goldene Glanz, der etwas von einem Sonnenuntergang am Strand von Pensacola hatte, vertiefte noch die Schönheit ihres reifen, wissenden Gesichtes. Ich konnte nicht fassen, wie lange wir schon zusammen waren, was wir erlebt hatten und wie sehr ich sie immer noch liebte. Das Braun ihrer Augen glühte im satten Ton von frisch gebrochenem Bernstein. Und der schwarze Irisring verlieh ihrem Blick ein sinnlich lockendes Lodern. Obwohl sie die Mitte ihrer fünften Dekade überschritten hatte, war sie von der idealen und makellosen Schönheit einer Dreißigjährigen. Und wenn ihre durchtrainierte, von Prana-Bindu-Techniken gestählte Figur schon immer einen straffen, sportlichen Zug gehabt hatte, galt, seit sie ihr Haar geschnitten hatte, erst recht, dass alles an ihr eine asketische Kraft und Überlegenheit atmete.

      »Es geht nicht um mich«, sagte ich, von der Präsenz ihrer Erscheinung geblendet. »Es geht um die Union. Sie hat den Krieg gewonnen. Unter enormen Opfern, wenn ich daran erinnern darf. Das Sonnensystem ist destabilisiert. Die Erde auf Generationen hin verwüstet. Abertausende kamen ums Leben. Und wir führen uns hier auf wie Bittsteller, wie tributpflichtige Vasallen, wie Sklavenvölker, die um die Gewährung einer Gnade einkommen!«

      Sie strich mir schmunzelnd über die Wange.

      »Wenn du dich aufregst, bist du richtig sexy.«

      Ich atmete durch. Mit Frauen konnte man einfach nicht diskutieren!

      »Habe ich nicht recht?!«, rief ich, halb über mich selber lachend. »Sag mir, dass ich recht habe!« Ich rang die Hände wie ein Freier, der seine Domina anfleht, ihm den Hintern zu versohlen.

      »Natürlich hast du recht«, sagte sie. »Aber wir brauchen Zeit. Rogers hat das erkannt. Ein falsches Wort, und der ganze Laden fliegt uns um die Ohren.«

      Das Licht wechselte abrupt die Farbe. Irgendwo in der Tiefe, hundert Millionen Kilometer von uns entfernt, schob der blaue Stern sich über seinen roten Bruder. Die Stimmung änderte sich. Jennifers Miene war auf einmal hart und steinern. Wie in Marmor gemeißelt sah sie mich an. Aus ihren Wangen schien das Blut gewichen. Ihr Gesicht war kalkweiß und unbeweglich. Und statt des goldenen Schimmers ihrer Augen drohten schwarze Abgründe. Die hageren und ausgezehrten Züge