Matthias Falke

Torus der Tloxi


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hinaus kannten sie keinen Feierabend und kein Wochenende, keinen Krankenschein und keinen Burn-out.

      Die menschlichen Arbeiter hatten einen Dreischichtrhythmus eingeführt, um ebenfalls rund um die Uhr auf der Baustelle präsent zu sein. Sie waren nicht so tolerant gegenüber der Erschöpfung und den Anforderungen dieses Arbeitsplatzes. Es hatte schon einige Todesfälle gegeben, meist nach Unfällen mit Schweißrobotern. Und nach der ersten hochgemuten Phase hatte man den Akkord zurücksetzen müssen, um sich einschleichende Fehler und Flüchtigkeiten zu reduzieren.

      Jennifer stand neben mir und wartete noch immer auf eine Antwort.

      »Sie sind uns über«, wiederholte ich, was Rogers dazu zu sagen gehabt hatte.

      »Ihre Technologie ist der unseren weit voraus«, sagte Jennifer trocken, »und ihre Gesellschaftsstruktur für uns nach wie vor vollkommen opak. Sie lassen sich nicht in die Karten schauen.«

      Ich starrte auf das, was in ein paar Monaten das Schwesterschiff der MARQUIS DE LAPLACE sein würde. Man konnte beinahe zusehen, wie die elegante Titanstahlkonstruktion an den selbsttragenden Gerüsten entlangwuchs. Aus dem Reich der reinen Konzeption schlug es sich in die Wirklichkeit nieder. Die Idee kondensierte in Milliarden Tonnen von Stahl und ausgefeiltester Technologie.

      »Sie kennen keine Pläne oder sonstigen Aufzeichnungen«, führte Jennifer aus. »Keine Blaupausen, keine Konstruktionszeichnungen, keine Dokumentation. Alles ruht und fließt in ihrem Kontinuum.«

      »Können wir nicht …«, ich überlegte, was das angemessene Wort sein mochte. »Können wir nicht mitschneiden, was sie da in ihrem Kollektiv beratschlagen.«

      »Sie beratschlagen nicht«, sagte Jennifer. »Nach allem, was wir wissen. Und sie können sich zwar ihrerseits auf unsere Kommunikationsvorrichtungen aufschalten und sich prächtig mit unserer Schiffsautomatik austauschen. Aber dabei geben sie keinerlei eigene Informationen preis. Ihre kollektive Intelligenz, die wir das Tloxi-Kontinuum nennen, ist vollkommen abhörsicher.«

      »Beeindruckend«, sagte ich leer. Unwillkürlich hatte ich aufgesehen und die Zimmerdecke abgesucht.

      »Man fühlt sich beobachtet«, nickte Jennifer. »Belauscht. Ausgespäht.«

      Ich zog die Mundwinkel nach oben.

      »Ich habe nichts zu verbergen«, meinte ich. »Das ist es nicht, was mich beunruhigt.«

      »Sondern?« Jennifers Frage war rhetorisch. Sie hatte sich abgewandt und die Polarisation der Scheibe verstärkt, sodass der beeindruckende Anblick unsichtbar wurde. Dann ließ sie das durchscheinende Nachtgewand von ihren Schultern gleiten und schlüpfte ins Bett.

      »Wir dürfen technologisch nicht zu sehr von ihnen abhängig werden«, sagte ich und schob mich neben sie unter die selbstregulierende Decke. »Sonst werden wir erpressbar.«

      »Der Kongress ist ja schon einberufen«, schnurrte sie noch, während ihre Hand an meiner Seite abwärts wanderte, »auf dem das geregelt werden soll. Aber jetzt entspann dich. Morgen ist dein großer Tag!«

      *

      Am Morgen machte ich mich zerstreut zurecht. In musealer Nacktheit standen wir nebeneinander. Ich rasierte mich, während Jennifer gurgelte. Dann zogen wir die Galauniformen an, die weißen zweiteiligen Anzüge, die nur bei großen Paraden, Empfängen oder Staatsakten getragen wurden. Ich löste die Achselstücke, die mich als Colonel der fliegenden Crew auswiesen, aus den Epauletten. Für einige Stunden würde ich nackt und ohne Rangabzeichen sein. Vielleicht war es das, was mich an diesem Morgen störte. Irgendetwas stimmte nicht. Einen Schritt neben mir machte Jennifer sich fertig. Auch sie im weißen Dress, auch sie mit leeren Schulterklappen, die auf die neue Dekoration berechnet waren. Das harte Weiß der Uniformen ließ sie blass erscheinen, als sie mir geistesabwesend im Spiegel zulächelte. Ihre Miene, ihre ganze Erscheinung – etwas war anders. Ich räusperte mich und strich verlegen an mir herum. Nun, die Ereignisse bei Sina waren an uns allen nicht spurlos vorbeigegangen. Dabei hatten wir eine Phase der Erholung hinter uns. Die Entdeckung jenes fernen Paradiesplaneten kam uns dabei zustatten. Es war uns gelungen, ihn aus den Karten der Union herauszuhalten. Wir waren die Einzigen, die von seiner Existenz wussten. Nur so war es möglich, ihn vor dem Boom des interstellaren Tourismus zu bewahren, der sich quer durch zahllose Galaxien auf die idyllischsten Strände und die majestätischsten Gletscher warf, auf die monströsesten Vulkane und die exotischsten Kulturen. Wann immer wir ein paar Tage freihatten, flogen wir in unserem sinesischen Shuttle zu jener Welt, die jenseits des Großen Korridors lag, und genossen dort die tropische Sonne, das seidige Wasser und die ungestörte Einsamkeit.

      »Fertig?«

      Jennifer holte mich in die Gegenwart zurück. Ich nickte ihrem Spiegelbild zu, das mich forschend musterte. Irgendetwas stimmte nicht. Sie wirkte hager. Hatte sie nicht gut geschlafen? Natürlich wurden wir alle nicht jünger. Aber ich konnte mich nicht erinnern, wann ihre Züge jemals so kantig – und plötzlich wusste ich!

      »Was hast du mit deinem Haar gemacht?«

      Sie rempelte mich mit der Schulter an, dass ihr Spiegelbild aus meinem Sichtfeld rutschte.

      »Bravo«, tönte sie. »Hat der Herr es doch bemerkt. Ich wäre nicht aus der Kabine gegangen, ehe du nicht von selber draufgekommen wärst, und wenn ich den Rest des Tages hier hätte stehen müssen.«

      Ich ließ den Spiegel Spiegel sein und wandte mich ihr in natura zu.

      »Aber Jennifer, Liebes«, stammelte ich. »Warum nur …?«

      Ihr Pony, den sie so energisch aus der Stirn zu streichen liebte, ihre ewig ungebändigten Strähnen, die sich um Wangen und Ohren ringelten, der Pferdeschwanz, dessen Wippen sensibler als jeder andere Gradmesser anzeigte, was in ihr vorging – alles war verschwunden! Sie hatte sich eine stoppelige Kurzhaarfrisur zurechtgemacht – Wann? Als ich neben ihr gestanden war? –, die eher an Jill Lamberts burschikoses Stachelhaar erinnerte als an das seidige Dunkelblond der Jennifer Ash, in die ich mich in unwiederbringlichen Akademietagen verliebt hatte.

      »Sag ja nicht, dass es mir nicht steht!«, vorneverteidigte sie harsch.

      Ich strich hilflos an ihren Schläfen herum, legte die Hand auf ihren ausrasierten Nacken. (Sie musste das gemacht haben, während ich unter der Dusche stand.)

      »Es macht dich so …«

      Alles, was ich sagen konnte, würde natürlich falsch sein.

      »… so tough!« Es war ein dummes Wort, aber mir fiel gerade kein besseres ein. Mir fiel überhaupt kein anderes ein.

      »Ein Pferdeschwanz passte wohl nicht mehr zu einer ENTHYMESIS-Kommandantin im Rang eines Commodore?«

      »Blödmann.« Sie boxte mich vor die Brust. Ich schloss die Arme um sie und biss sie in den Nacken. Die viele nackte Haut an dieser Stelle war ein wenig ungewohnt. Aber vielleicht konnte man sich daran gewöhnen. Plötzlich bekam ich Lust, sie nackt zu sehen, a tergo, wie ihr schlanker, durchtrainierter Rücken in diesen schmalen mädchenhaften Nacken überging.

      »Ich will gar nicht wissen, was du jetzt eben denkst!«

      Sie machte sich von mir los und zog meine Uniform wieder straff, die unter der Rangelei ein wenig gelitten hatte.

      »Pass auf deine Orden auf!«

      Wir standen voreinander und zupften und rückten aneinander herum. Die Schlacht von Sina hatte uns beiden den Großen Stern der Union am Band eingebracht, und heute war ein Tag, ihn zu tragen. Daneben diverses anderes Lametta bis hinunter zu den Schützenschnüren und Offiziersnadeln unserer Akademiezeit. Albern, das alles. Aber warum sollte man es verstecken. Wir waren nicht irgendjemand!

      »MARQUIS-DE-LAPLACE-Kommandantin im Wartestand«, fügte sie noch hinzu.

      Das neue Schiff, das draußen im Entstehen begriffen war, würde das ihre sein, sowie wir von dieser Kongressmission zurück waren.

      Ihre Finger waren an meinem Kragen, zogen die Spiegel straff, strichen wie unabsichtlich über mein Kinn. Mir schwante nichts Gutes.

      »Deswegen