Matthias Falke

Der Zthronmische Krieg


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Union gibt sich den Anschein eines Zusammenschlusses freier Völker, der von gegenseitiger Achtung und Respekt getragen sein soll. Sie garantiert Würde und Leben jedes einzelnen Angehörigen jedes einzelnen Volkes. Sie sichert Glaubensfreiheit und kulturelle Selbständigkeit zu. Sie ächtet die Gewalt und den Krieg. Sie verpflichtet sich auf ein friedliches Miteinander, bei dem allen Völkern und allen Individuen – soweit dieser Begriff bei ihnen tragfähig erscheint – umfassende Rechte zukommen. Alle sollen gleich vor dem Gesetz und der Charta der Union sein. Es gibt keine Vorrechte, keine Privilegien, keine geborenen Führer oder führenden Nationen, sondern es herrscht Gleichberechtigung und die Einklagbarkeit objektiver Garantien vor unabhängigen Gerichten.«

      An dieser Stelle schwieg Zthron für einen Augenblick. Es war erstaunlich still im Saal. Selbst die für ihren Radau bekannten Delegationen hörten aufmerksam zu. Die Amish saßen mit stocksteifen Rücken da und verzogen keine Miene, während auf den Fratzen der Zthronmic und Sineser schon der Triumph des nahen Gegenstoßes glitzerte.

      »Das alles«, fuhr Muqa Zthé nach einer Atempause fort, »hat man uns in Aussicht gestellt. Man hat es uns versprochen, uns damit gelockt, der Union beizutreten und uns dem kommenden Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit nicht zu verweigern. Jeder einzelne Satz dieser Charta ist in diesem Gremium und in den Ausschüssen leidenschaftlich diskutiert worden. Die Charta selbst war Gegenstand erbitterter Debatten und eines verbissenen politischen und juristischen Ringens um Formulierungen und Verbindlichkeiten. Endlich schien eine Einigung erzielt, die von allen Völkern unserer Galaxis mitgetragen werden konnte. Auch wir wollten nicht abseits stehen. Schließlich setzten wir unsere Unterschrift unter das Dokument und traten der Union als Vollmitglieder bei – mit allen Rechten und Pflichten.«

      Er beugte sich drohend vor und ließ die Blicke seiner glühenden Raubtieraugen über die Reihen der Delegierten schweifen. Den Abgeordneten der (alten) Union stockte der Atem. Die Haltung der Amish wurde, falls das überhaupt möglich war, um eine Spur eisiger. Zthronmic und Sineser holten Luft, um gemeinsam mit Zthés Antithese loszuschreien. Diese ließ nun auch nicht länger auf sich warten.

      »Doch wie sehr wurden wir getäuscht!«, brüllte das ordenklirrende Monstrum. »Wir ließen uns auf das Spielchen ein und augenblicklich belehrte man uns eines Besseren. Man zeigte uns – in lehrhafter Schmerzlichkeit –, wie die hehren Worte und die hochherzigen Garantien zu verstehen waren. Sie waren, das erwies sich rasch, das Pergament nicht wert, auf dem die kostbaren Urkunden abgefasst waren. Sie wogen die Speicherkristalle nicht auf, auf denen sie, scheinbar für alle Zeit, niedergelegt worden waren. Was wir im Stillen befürchtet und in zahllosen Debatten laut ausgesprochen hatten, es zeigte sich leider allzu schnell und allzu deutlich als die nackte grausame Wahrheit. Die Gleichheit aller Völker und Individuen? Sie ist nichts wert! Die Souveränität und Selbstbestimmung? Hohle Phrasen! Die Ächtung von Gewalt und Willkür? War schneller vom Tisch, als die Tinte unserer Unterschriften zum Trocknen brauchte!«

      Jetzt brach der Sturm vielstimmigen Jubels los. Zthronmic und Laya, Sineser und kuLau waren aufgesprungen und verwandelten das Plenum im Amphitheater der großen Agora in einen Hexenkessel. Zthron ließ die tobende Masse einige Augenblicke gewähren. Der Orkan ihrer frenetischen Beifallsbekundungen raste durch den Versammlungssaal. Dann breitete er beschwichtigend die zottigen Arme aus. Mit den mächtigen Pranken, deren Schlag einen erwachsenen Mann hätte zerschmettern können, gebot er der Menge seiner Sympathisanten Schweigen. Er war ein Dirigent, der sein Orchester im Griff hatte. Eine Nuance seines Gesichtsausdrucks ließ Chöre von Entrüstung losbrechen und wieder ersterben. Er war ein Volkstribun, der über einen wütenden, mordgierigen Mob gebot. Ein Wort von ihm, und dieser Mob würde sich wie ein Lavastrom aus den Türen wälzen und draußen alles unter sich begraben, was so töricht war, sich ihm in den Weg zu stellen. Er hatte die Mehrheit des Konvents in seiner Hand. Er gebot den Repräsentanten von Völkern, die die halbe Galaxie darstellten. Und auf einen Wink von ihm würden sie sich in Bewegung setzen und alles niederreißen, was niederzureißen er ihnen anheim stellte.

      Ich wechselte einen Blick mit Dr. Rogers, der unbeeindruckt neben mir saß. Mit einer unmerklichen Handbewegung ließ er das Bild auf seinem Monitor umspringen. Es zeigte jetzt einen der angrenzenden Säle, in denen sich die Delegationen für Zwischenberatungen zu treffen pflegten. Jetzt hielt sich dort eine schwer bewaffnete Schutztruppe bereit. Es mussten mehrere Hundert Mann sein, die dicht gedrängt ausharrten, das Geschehen im Plenum auf einem kleinen Schirm des StabsLogs verfolgten und ihrerseits nur auf ein Zeichen ihres Vorgesetzten warteten, um die Agora zu stürmen und die aufgebrachte Masse mit Waffengewalt zu zerstreuen.

      Aber das allein erklärte nicht Rogers’ Ruhe. Er musste über weitergehende Informationen verfügen. Was wusste er? Hielt er etwas vor mir geheim?

      Aber indem ich meine Aufmerksamkeit wieder der Vollversammlung zuwandte und den mit ausgebreiteten Armen am Rednerpult verharrenden Zthron Muqa Zthé betrachtete, begriff ich, dass es nicht zum Äußersten kommen würde. Heute noch nicht. Auch dies war nur eine Demonstration. Eine kleine Vorführung dessen, wozu man fähig war.

      »Wir wurden getäuscht«, fuhr Zthron fort. »In allen Punkten und in jeglichem Betracht. Ich möchte ein Beispiel aus den letzten Tagen erwähnen, um das zu veranschaulichen. Mir ist bewusst, dass diese Rede von der Protokollfunktion des StabsLogs aufgezeichnet und in alle Teile der Galaxis übertragen wird. Ich spreche also zur Öffentlichkeit unserer versammelten Völker. Und ich wende mich an die Geschichte als an die unabhängige Richterin, die über diesen Fall einst wird befinden müssen.«

      »Achtung!«, sagte Dr. Rogers halblaut neben mir. Aber es war nicht nötig, mich zur Konzentration zu mahnen. Auch weil ich in groben Zügen ahnte, was jetzt kommen würde, hing ich atemlos an Zthrons geifernden, von mächtigen Hauern entstellten Lippen.

      »Vor wenig mehr als vierundzwanzig Stunden – um uns auf die Standards unserer hochgepriesenen Union einzulassen – kam es in einem niedrigen Orbit über unserer heiligen Heimatwelt Zthronmia zu einem bedauerlichen und bezeichnenden Zwischenfall. Ein Frachter der Union, der alten Union, wie man bei diesen delikaten Sachverhalten immer sagen muss, trieb manövrierunfähig dahin. Das Schiff war havariert. Sein Kurs war instabil. Es war abzusehen, dass es innerhalb weniger Standardstunden auf den Planeten stürzen würde. Dummerweise hatte es mehrere Zehntausend Tonnen hochverdichteten Plasmas geladen, die dabei in Flammen aufgehen und die fragile Luftschicht unserer Heimat kontaminieren würden.«

      Das war nun wirklich dreist! Ich hatte nicht damit gerechnet, die Zthronmic zerknirscht und schuldbewusst wegen des Vorfalls anzutreffen. Dass sie sich – auf die Massakrierung unserer Crew und die Aufbringung der ENCOURAGE angesprochen – herausreden würden, verstand sich von selbst. Dass sie das Thema aber von sich aus ansprechen und ihr Verbrechen zu einer Waffe gegen uns schmieden würden, übertraf meine kühnsten Erwartungen.

      Dr. Rogers zog beeindruckt die Stirne kraus.

      »Das ist impertinent«, flüsterte ich.

      »Es ist brillant«, gab er zurück und in seiner Stimme schwang offene Anerkennung. Er war stets ein Soldat gewesen, der dem Ideal der Ritterlichkeit verpflichtet geblieben war. Viel Feind, viel Ehr, war seine Devise. Und die Sache hatte ihm immer umso mehr Spaß gemacht, je tapferer und tüchtiger sich die Gegenseite erwiesen hatte. Gemessen an den Sinesern waren ihm die Zthronmic als Gegner zweiter Klasse erschienen, die im Grunde kaum satisfaktionsfähig waren. Zthron Muqa Zthés rhetorisch aggressive Schachzüge schienen ihn eines anderen zu belehren. Für ihn war das ein Leckerbissen. Er lechzte danach, diesem Wesen in der offenen Feldschlacht gegenüberzutreten.

      »Die Zthronmic«, führte Zthé aus, »versuchten, den Frachter zu bergen. Als dies nicht gelingen konnte, da seine Bahn zu sehr abgesunken war, bemühte man sich, das Plasma abzupumpen, um es vor dem Verglühen und die Atmosphäre vor der Kontaminierung zu bewahren. Dann ereignete sich der Zwischenfall, auf den ich bereits angesprochen hatte …«

      Doch hier und jetzt, im Plenum der Großen Agora, ereignete sich ebenfalls etwas, auf das keiner von uns vorbereitet war. Die Sirene ertönte, mit der der Vorsitzende einen Redebeitrag unterbrechen und sich selbst das Wort zurückerobern konnte. Sofort erhob sich der zu erwartende Tumult. Zthronmic und Sineser schrien auf Laertes ein, der Vorsitzende habe nicht das Recht, sich in den Debattenbeitrag einer freien Aussprache