sorgsam gehegt und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben, um alljährlich das Haus in einem rot-goldenen Farbenrausch erstrahlen zu lassen.
Unter Kings aufmerksamen Blicken schleppe ich kistenweise Dekoration ins Wohnzimmer. Ganz vorsichtig nehme ich jedes Teil in die Hand und genieße die Erinnerungen, die ich aus meinen Kinderzeiten damit verbinde. Behutsam lege ich die dunkelroten, matt glänzenden Glaskugeln auf den Beistelltisch, den ich mit einer dicken Decke als Polsterung versehen habe. Sie liegen mir ganz besonders am Herzen, schmückten sie doch schon den Weihnachtsbaum meiner Großeltern. Auch an unserem sind sie alljährlich ein besonderer Blickfang.
King liegt in seinem Hundebett und schläft. Im Moment gibt es für ihn nichts Interessantes, denn Weihnachtsdekoration kann man nicht fressen und zum Spielen darf Hund sie nicht nutzen. Kaum bin ich fertig mit dem Auspacken, schellt es an der Haustür. King saust bellend los, um Haus und Hof zu verteidigen, wirft dabei die rustikalen Holz-Tannenbäumchen und -Sterne um, bringt Engel und Organza in Unordnung und führt dann vor der Haustür einen Freudentanz mit Lautuntermalung auf. Das macht er nur, wenn sein Schwesterchen Kelly mit Leinenhalter Max, einem langjährigen Freund, davor steht.
»Wir stören doch nicht?«, fragt Max, hat die Diele bereits erobert und seinen Mantel an die Garderobe gehängt. Kelly und King veranstalten geschwisterliche Rangeleien im Wohnzimmer. »Raus mit euch, aber dalli!« »Entspann dich, die beruhigen sich gleich wieder! Ich pass schon auf, dass sie deine Weihnachtsdeko nicht ruinieren. Kochst du uns einen Kaffee? Ich muss dir unbedingt erzählen, was Kelly …!« Mehr höre ich in der Küche nicht, denn meine Kaffeemaschine, die inzwischen in die Jahre gekommen ist, veranstaltet einen Höllenlärm. »Ich kann nichts verstehen, Max, ich komm gleich wieder!«
»Stell dir mal vor!« Max konnte offensichtlich meine Rückkehr nicht abwarten und lehnt mit dem Rücken an der Kühlschranktür. »Heute Morgen habe ich frische Brötchen zum Frühstück geholt, ein großes für mich und als Gratiszugabe ein ganz kleines für Kelly. Ich legte beide in den Brotkorb und wollte dann Kaffee kochen. Aus den Augenwinkeln sah ich Kelly in ihrer typischen Maulraub-Körperhaltung aus der Küche verschwinden: runder Rücken, Schleichgang, hängender Kopf, beide Backen voll und zur Tarnung ein drolliger Gesichtsausdruck, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Aus Leibeskräften brüllte ich »aus« und zum Vorschein kam ein erbeutetes Brötchen. Und jetzt rate mal, welches sie genommen hatte! Richtig, meins natürlich! Das habe ich ihr selbstverständlich sofort weggenommen und entsorgt. Eingeweichte Brötchen sind nicht so mein Ding. Also blieb mir zum Frühstück nur Kellys Minibrötchen. Ich war so wütend, dass ich lautstark mit ihr geschimpft habe. Sag jetzt ja nicht, ich solle mich nicht so anstellen, ein kleines Brötchen sei figurfreundlich und tue mir ganz gut!«
Ich kann mir das Grinsen kaum noch verkneifen und fülle mit tief gesenktem Kopf Milch und Zucker ein.
»Du brauchst gar nicht so krampfhaft nach unten zu gucken! Ich sehe wohl, dass du dich amüsierst. Du machst genau so ein Gesicht wie Kelly heute Morgen.«
Jetzt gibt es kein Halten mehr, ich pruste los und habe Mühe, das Tablett mit den Kaffeetassen ruhig zu halten. Eine Winzigkeit später fällt mir das gar nicht mehr schwer. Im Gegenteil, ich erstarre förmlich zur Salzsäule, als ich den leeren Beistelltisch sehe. Die Decke liegt auf dem Fußboden und meine geliebten Kugeln sind verschwunden.
Oh, diese Airedales! Als könnten sie kein Wässerchen trüben, liegen beide in der Weihnachtsdekoration zwischen Organza, Tannenbäumen, Sternen und Engelchen. Meine Kugel-Erbstücke haben sie als Bällchen einkassiert. Anklagend zeige ich auf die gehorteten Schönheiten und schimpfe, entgegen der Ratschläge namhafter Hundekenner, obwohl ich sie nicht auf frischer Tat ertappt habe und die Kugeln unversehrt sind. Max dagegen schimpft nicht, auch nicht, als ich ihn wütend und auffordernd anschaue. Im Gegenteil, er verbeißt sich mit Mühe das Lachen. Aber das kann er gar nicht vor mir verbergen. Jetzt sieht er nämlich selbst aus wie Kelly mit Zitronen-Tarngesicht.
Weiblicher Moralapostel
Gartenarbeit ist anstrengend und schweißtreibend. Will ich im nächsten Frühling ein Meer von Krokussen, Tulpen und Narzissen im Garten bewundern, dann muss ich im Herbst etwas dafür tun. Also los! Handschuhe an, Gartengeräte hervorholen, Zwiebeln je nach Art und Farbe in Eimerchen füllen und King und Schwester Kelly, die heute einen Hundesitter benötigt, mit in den Garten nehmen.
Bei fast jeder Blumenzwiebel bietet King seine Hilfe an, obwohl er seit seiner Welpenzeit schon weiß, dass Buddeln im Garten verboten ist. Immer wieder fragt er auf sehr charmante Weise nach, ob das Verbot auch heute noch Gültigkeit hat. Durch vorsichtiges Ausstrecken seiner Pfote und behutsame, nur oberflächliche Mini-Grabungen erinnert King mich an seine besonders ausgeprägten Schnell-Ausschachtungs-Fähigkeiten mit Tiefgang. So niedlich seine Angebote auch anzuschauen sind, muss ich sie dennoch konsequent ablehnen, ansonsten ist mein Garten mit Kratern übersät, in denen ich fässerweise Blumenzwiebeln unterbringen könnte.
Kelly schaut aufmerksam zu, wie ich Zwiebel für Zwiebel in die Erde pflanze und dabei nur ein einziges Wort sage, das aber lautstark und unmissverständlich, sobald sich Kings erhobene Pfote in Richtung Erde bewegt: »Nein!« Kelly ist ganz Dame, sie buddelt nicht, hat es nie versucht. Bei jedem Nein schaut sie erst mich an, dann King, dann wieder mich. Endlich, nur noch eine Blumenzwiebel muss gepflanzt werden und ich kann mit meiner Nein-Sagerei aufhören. Wenn ich die Gartengeräte wieder an Ort und Stelle geräumt habe, gönne ich mir eine Tasse Tee!
Als ich mit Sack und Pack in der Garage bin, höre ich Kelly im Garten bellen. Kelly bellt selten, wie es sich für Airedales gehört. Wenn sie allerdings bellt, dann hat sie dafür einen guten Grund. Der Grund liegt auf dem Rasen. King hat ein Löchlein gegraben und eine Zwiebel aus der Gefangenschaft befreit. Geduldig, mit gesenktem Kopf und nach hinten gezogenen Ohren hört er sich meine Gardinenpredigt an. Kelly steht neben ihm und lässt ihn nicht aus den Augen. Ihr streichle ich über den Kopf: »Das hast du fein gemacht, mein Mädchen, pass nur gut auf deinen Bruder auf, damit er nicht ständig solchen Unsinn macht!« Meine Laune ist nicht die beste, als ich die Hacke wieder hervorhole und die Zwiebel erneut einpflanze. Diesmal bleibt im Garten alles still, als ich im Hausinneren verschwinde. Endlich hat mein Airedale-Sturkopf es wohl verstanden, dass er auch keine kleinen Löcher graben und sich schon gar nicht an meinen Blumenzwiebeln vergreifen darf!
Das Teewasser kocht, als Kelly wieder Laut gibt. Diesmal liegen mehrere Zwiebeln auf dem Rasen und dementsprechend hoch ist auch die Anzahl der Löcher. Jetzt reicht es mir und ich hole beide Hunde ins Haus, erzähle etwas von Kulturbanausen und Schwester-Vorbildern, denen Hund nacheifern könnte. Beide Airedales hören mit schief gelegten Köpfen aufmerksam zu, ich fürchte allerdings, sie haben nicht wirklich verstanden, was ich ihnen begreiflich machen will.
Kurz bevor Max Kelly wieder abholt, lasse ich die Geschwister noch einmal für eine kleine Tobe-Einheit an die Luft. Während die Zwei ausgelassen spielen, kann ich schon die Vorbereitungen für das Essen in Angriff nehmen. Aus dem Garten erschallt wütendes Bellen, kaum dass ich die Kühlschranktür geöffnet habe. Das kann doch nicht wahr sein, King muss schon wieder tätig geworden sein. Aber der Rasen ist völlig zwiebelfrei. Fast hätte ich dem armen Kerl wegen meines falschen Verdachtes ein Leckerchen gegönnt, da entdecke ich den zwiebellosen Krater, den er gut versteckt im hinteren Teil des Beetes ausgeschachtet hat.
Als Max Kelly mit zu sich nach Hause nehmen möchte, lehne ich sein Ansinnen entrüstet ab. »Die brauche ich noch! Die bekommst du frühestens zurück, wenn sie mich erfolgreich dabei unterstützt hat, ihrem Bruder beizubringen, dass Ausgrabungen jeglicher Art in Gartenbeeten verboten sind und ein strenges Ausfuhrverbot für Blumenzwiebeln besteht. Denn in diesen sensiblen Kulturen ist trotz königlicher Revieransprüche alles meins!«
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