Ulrike Glatz

„. . . in einer steinernen Urkunde lesen“


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die weit zurückreicht. So war diese Region zeitweise Kernland des Reiches, Schauplatz herausragender Ereignisse und Wirkungsstätte bedeutender Persönlichkeiten. Deshalb muss die Auswahl von rund 50 Geschichts- und Erinnerungsorten aus über 40.000 Kulturdenkmälern, die dieses Bundesland aufweist, zwangsläufig subjektiv sein. Manches Denkmal, das man erwartet, fehlt. Andere Erinnerungsorte überraschen vielleicht. Ziel ist es, die Vielfalt der Geschichtszeugnisse in den alten Kulturlandschaften an Rhein, Mosel und Lahn in diesem Bundesland widerzuspiegeln, vermittelt werden Geschichte und Geschichten hinter den Baudenkmälern, Menschen und ihre Schicksale. Schließlich sind sie wesentlicher Teil einer umfassenden Aussage.

      Die Auswahl versucht alle Landesteile zu berücksichtigen, deshalb sind geschichtsträchtige Städte und Regionen immer nur beispielhaft vertreten. Bei Denkmälern mit einer langen und wechselvollen Geschichte wurde eine entscheidende Zeitschicht, verbunden mit einer Persönlichkeit, ausgewählt. So unterschiedlich wie die Erinnerungsorte sind auch deren Protagonisten.

      Der behandelte Zeitraum beginnt nach dem Ende der römischen Zeit mit der fränkisch-karolingischen Epoche und reicht bis in die Zeit um und nach 1900, wobei der Erste Weltkrieg die Zäsur darstellt.

      Die den Texten vorangestellten Zitate lassen Authentizität entstehen. Sie können von den betreffenden Personen oder aus der Entstehungszeit stammen, gelegentlich sind es prägnante Beschreibungen und Kommentare späterer Zeit. Die Texte werden ergänzt durch Schwarz-Weiß-Abbildungen, meist historische Aufnahmen, denn auch diese vermitteln Geschichte. Wo vorhanden, wurden dem Leser aktuelle Webadressen an die Hand gegeben.

      Das Buch soll dazu anregen, Geschichts- und Erinnerungsorte in Rheinland-Pfalz aufzusuchen, Orte, die identitätsstiftend für eine Stadt oder eine Region sind, Persönlichkeiten kennenzulernen, die mit ihrem Wirken auf sehr unterschiedliche Weise Geschichte geschrieben haben.

      DAS FRÜHE MITTELALTER – KONTINUITÄT UND NEUBEGINN

      500 Jahre römische Herrschaft in unserem Raum von der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. bis in das späte 5. Jh. hatten zu einer fast modern zu nennenden Infrastruktur mit Straßen, Grenzbefestigungen (Limes), Kastellen, Siedlungen und Städten mit funktionierenden Verwaltungen und Repräsentationsbauten geführt. Nach dem endgültigen Zusammenbruch der Römerherrschaft folgten Jahrhunderte des Niedergangs, wobei die kirchlichen Strukturen offensichtlich zum Teil fortdauerten; eine Kontinuität christlicher Gemeinden ist wahrscheinlich. Schon früh sind Bischöfe in Trier und bald darauf auch in Mainz nachweisbar. Politische Strukturen sind in dieser Zeit nicht fassbar, die kirchliche Organisation konnte hingegen wieder aufgenommen werden.

      Die territoriale Einigung des fränkisch-merowingischen Reichsgebietes gelang Karl Martell. Mit der Regierungszeit Karls des Großen folgt der Höhepunkt an Machtkonzentration. Unter den karolingischen Herrschern wurde die Christianisierung weiter vorangebracht. Wandernde Mönche gründeten Klöster, die zu wirtschaftlichen und kulturellen Zentren wurden, aber auch der Sicherung der Königsherrschaft dienten. Im Reichsgebiet entstanden Pfalzen, in denen die Herrscher Station machen konnten, denn es war die Zeit des Reisekönigtums, es gab keine feste Residenzstadt. Auch die Klöster und die Bischofsstädte waren Stationen auf den Reisen. Häufig hielten sich die karolingischen Könige im Rheingebiet auf, denn hier wurden Heeresversammlungen und Hoftage einberufen und die großen kirchlichen Feste gefeiert. Schon die Enkel Karls teilten das Reich, sodass drei Teilreiche entstanden. Für die Fläche von Rheinland-Pfalz relevant sind das Mittelreich Lothars – Lotharingen – und das Ostreich Ludwigs des Deutschen. Unter dem sächsischen Herrschergeschlecht der Ottonen gelang erneut eine Reichseinheit und eine innere Stabilisierung. Durch das alleinige Herrschaftsrecht des ältesten Sohnes konnten Reichsteilungen zukünftig vermieden werden.

      … War eine jener Säulen, durch ihre Länge ermüdet … jählings gestürzt, sodaß aus Furcht vor dem Zusammensturze niemand daselbst den göttlichen Dienst feierte … Poppo nun befestigte den Dom wieder mit großer Arbeit und Kosten …

      Die Kirchengruppe von Dom und Liebfrauenkirche beherrscht noch heute den Stadtkern von Trier. An keinem anderen Ort lässt sich der Fortbestand religiöser Tradition von der Antike über die schwierigen Zeiten der Völkerwanderung bis in das Mittelalter so gut verfolgen.

      Im 4. Jh., in der Zeit Kaiser Konstantins des Großen, entstand auf dem Gelände eines kaiserlichen Palastes – der Legende nach dem der hl. Helena, der Mutter Konstantins – eine Doppelkirche. Helena soll auch von einer Reise in das Heilige Land kostbare Reliquien nach Trier gebracht haben: einen Kreuznagel Christi, den Leibrock Christi und die Gebeine des hl. Apostel Matthias; Reliquien, die seit dem Mittelalter große Verehrung genießen. Im späten 4. Jh. ließ Kaiser Gratian dort einen Neubau errichten, den sog. Quadratbau. Die flache Decke der großen, quadratischen Halle trugen vier riesige Säulen aus Odenwälder Granit. Eine vor dem Dom liegende Säule, der sog. Domstein, gibt noch heute eine Vorstellung von der Monumentalität dieses Kirchenbaus. Die Maße dieser Halle waren die Vorgabe für den gesamten späteren Dombau. Nach mehreren Zerstörungen, vor allem beim Normanneneinfall im späten 9. Jh., erlitt die Kirche zwar Schäden, wesentliche Teile der Grundmauern blieben jedoch stehen. Bis zu einer Höhe von 25 m sind die spät­antiken Mauern noch im heutigen Dom erhalten, besonders eindrucksvoll zu sehen an der Nordseite.

      Zwei herausragende Bischöfe bestimmten die Geschicke des Bistums Trier im ausgehenden 10. und frühen 11. Jh. Ihre Baumaßnahmen sicherten und prägten den Dom in den kommenden Jahrhunderten.

      Trier, Dom (Nordseite), Mauerwerk des römischen Quadratbaus

      Der aus einer holländischen Grafenfamilie stammende Erzbischof Egbert war ein hochgebildeter, tatkräftiger Mann. So brachte er die bis dahin schleppend verlaufenden Wiederaufbauarbeiten am Dom energisch wieder in Gang. Im Quadratbau ersetzte er eine eingestürzte Säule und begann mit dem Neubau einer daran anschließenden Basilika. Sein Tod verhinderte den Weiterbau. Mit seinem Namen sind vor allem hochrangige Werke der Buchkunst verknüpft, wie der sog. Codex Egberti, eine Prachthandschrift mit einem Bilderzyklus zum Leben Jesu. Auch eine hervorragende Gold­schmiedewerkstatt existierte zu seiner Zeit in Trier. Von deren außerordentlicher Kunstfertigkeit zeugen das reiche Reliquiar zur Aufbewahrung eines Kreuznagels Christi ebenso wie der Tragaltar zur Aufbewahrung einer Sandale des Apostels Andreas.

      Mit Erzbischof Poppo übernahm 1016 ein Mann mit vielfältigen Begabungen und Interessen das Erzbistum Trier. Unter ihm wurde die schon wieder ins Stocken geratene Dombaustelle erneut in Angriff genommen, allerdings mit einem völlig neuen Plan. Diese Neukonzeption bestimmt das Bild der Westseite des Domes bis heute. Zuerst wurde die Erneuerung des Quadratbaus vollendet. Im Anschluss baute man ein Langhaus, dessen Ausdehnung durch die Maße des Quadratbaus festgelegt war. Nach Westen wurde der Bau durch eine Doppelturmfront mit einer Apsis abgeschlossen. Diese eindrucksvolle Fassade gehört zu den Höhepunkten der Architektur im 11. Jh. Mit den Bauarbeiten war bald nach 1030 begonnen worden. Die Vollendung erlebte Erzbischof Poppo nicht mehr. Er starb, wie die Quellen berichten, 1047 an den direkten Folgen seines Eifers beim Dombau. So soll er eines Tages auf der Baustelle gesessen haben, die Sonne schien heißer als gewöhnlich und glühte auf sein Haupt, das kahl war. Sein Gehirn entzündete sich, er wurde vom Fieber ergriffen und starb. So wird sein Tod in den Gesta Treverorum (Taten der Treverer, Geschichten und Aufzeichnungen, um 1100) beschrieben. Erst unter seinen Nachfolgern konnte der Westbau beendet werden.

      Nicht nur dem Dom hat Erzbischof Poppo durch eine außergewöhnliche Baumaßnahme seine bis heute prägende Gestalt gegeben. Ein weiteres Bauwerk in Trier verdankt ihm seine Rettung. Die Porta Nigra, das nördliche römische Stadttor, war nach dem Ende der römischen Herrschaft in den nachfolgenden Jahrhunderten als Steinbruch genutzt worden. Simeon, ein Mönch aus dem Sinai-Kloster, begegnete in Trier Erzbischof Poppo und begleitete ihn auf einer zweijährigen Pilgerfahrt in das Heilige Land. Nach der Rückkehr