Griesgram war sein Rottenname, fraß die Kindlein seiner Dame. Seine Hauer, scharf und lang, machten selbst den Schäfer bang.
Fleisch vom Schäf lein und keine Eicheln, Griesgram liebte nicht das Streicheln. Verlor ein Auge, das wilde Schwein, siehlt sich in der Kuhle, war nicht rein.
Doch des Ritters blanker Stahl wurde ihm zur letzten Qual. Griesgrams Rüssel auf letzter Reise dient den Recken nun als Speise.
s war Ende Oktober im Jahre des Herrn 1229 oder 1230, so genau weiß ich es nicht mehr. Unser Schäfer kam aufgeregt zur Burg gelaufen und berichtete keuchend, ein übergroßer, alter und furchtbarer Keiler habe einige Schafe unserer Herde gerissen. Er selbst habe versucht, ihn mit der Schleuder zu vertreiben, aber ihn lediglich am Auge verletzt.
„Das ist nicht gut“, sagte Ohm Egil, „jetzt ist er nur noch wütender.“ „Ich glaube“, sprach der Schäfer weiter, „ich habe ihm das Auge sogar ausgeschossen. Das könnte bei der Hatz von Vorteil sein.“ Ohm Egil, der selbst ein Auge verloren hatte, sah finster auf den Schäfer.
„Jetzt ist er erst recht griesgrämig“, sagte er grimmig.
Der Mann erschrak und sah betreten zu Boden. Er hatte wohl erst jetzt gemerkt, wie unangebracht seine Worte waren. „Der Schäfer hat recht, Egil“, hob mein Vater an. „Vielleicht nützt uns das.“
„Ja, vielleicht.“
Immer wieder verursachten die Schwarzkittel, wie wir die Wildschweine nannten, an Feld und Flur beträchtliche Schäden, gruben junge Bäumchen aus oder strichen verwüstend durch die Gärten und Gehöfte. Aber von einzelnen Keilern, die Schafe rissen, hatte sogar unser Großvater Heinrich noch nichts gehört.
Der Schäfer gab nun eine Beschreibung des Keilers ab: „Das Tier ist ein riesengroßer Einzelgänger, wie alle Keiler. So einen Kerl habe ich noch nicht gesehen, und glaubt mir, Ihr Herren, ich kenne die Burschen zur Genüge. Seine Behaarung ist von schwarzgrauer Farbe. Er misst sechs bis sieben Fuß10 in der Länge, hat eine Höhe von drei, vier Fuß und wiegt schätzungsweise drei Doppelzentner11. Seine verf lixten Hauer haben eine Länge von einem dreiviertel Fuß, und die Schwarte wird durch ein ungemein horniges Schild geschützt.“12
Uns allen standen bei diesen Worten die Mäuler offen. Das war ein wahres Biest!
Damals spielte das Wetter verrückt. Noch in der Mitte des Monats strahlte die Sonne so wunderbar warm, dass man hätte meinen können, der Sommer käme zurück und wir könnten noch in den Seen Buchonias schwimmen. Aber gegen Ende Oktober fiel mit einem Male der Winter über uns her, der sturmartige Winde und sogar Schnee mit sich brachte.
Als Knecht Hertnit mit seinem Schleifstein die Saufedern, unsere langen Jagdspieße, schärfte, liefen wir Kinder wie wild auf dem Burghof herum.
„’Ne Keilerhatz, ’ne Keilerhatz, der Keiler kriegt eins auf den Latz“, riefen wir ausgelassen und fröhlich und auch ich schnitzte mir eine kleine Saufeder aus einem Eschenstöckchen.
Vater, der mir dafür sein Messer reichte, sagte: „Und du, mein Sohn, wirst mitkommen!“
Ich war so glücklich, dass ich sofort zu unserer Mutter lief und ihr davon erzählte.
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, donnerte sie unseren guten Vater an, der seinen Ausspruch schon bereute. Aber das gegebene Wort eines Swallingers gilt.
„Weib, sorge dich nicht. Wir werden Heinrich sicher auf einen Baum hieven!“, versuchte mein Vater zu beschwichtigen und setzte unserer Mutter gegenüber eine ernste Miene auf. Mir aber zwinkerte er zu.
„Ohne den Knaben brauchst du nicht wieder nach Hause zu kommen!“, war die barsche, unumstößliche Antwort.
An einem unwirtlichen Tage brachen wir zur Keilerjagd auf. Trist überzogen dichte Nebelschwaden die Werra und tauchten die Buchenwälder in ein gespenstisches Kleid. Eigentlich ging es zu dieser Zeit auf die recht ungefährliche Hasenjagd und auch der Rehbock war wieder gut im Wildbret. Die Wildtauben verließen unser Gebiet, die Raubvögel zogen in den Süden.
Vater, Ohm Egil und Odo führten die Jagdgesellschaft an. Großvater blieb in der Burg.
„Sollen sich Brun und Egil um den Griesgram kümmern“, sagte er und zog sich mit einer Kanne Met an seine Feuerschale zurück. Als Besitzer der Wälder war es unsere Aufgabe, den Keiler unschädlich zu machen. Ich ritt auf Vaters Pferd mit und war stolz, als der Erstgeborene dabei sein zu dürfen. Uns folgten fünfzehn Bauern zu Fuß, allesamt mit Saufedern und großen Messern bewaffnet. Bruder Notker, unser Burgkaplan, besprengte uns eifrig mit Weihwasser und betete ohne Unterlass für eine sichere und erfolgreiche Jagd.
Die Jäger schwiegen. Wohl nicht aus Furcht, vielmehr aus Respekt, denn sollte der Keiler tatsächlich von der beschriebenen Größe sein, ging es um Leben und Tod. Schon oft hatte ich von Geschichten gehört, in denen die Keiler die Jäger regelrecht von unten herauf mit ihren langen, scharfen Hauern aufgeschlitzt hatten.
Ja, die Männer waren so still, dass man hätte meinen können, sie ritten zu einem Leichenbegräbnis aus, wären da nicht die Sauhunde gewesen, die ein Mordsspektakel veranstalteten. Fünf Bauern führten je drei von ihnen zusammengekoppelt mit, Knecht Hertnit aber unseren Beißer, einen ganz gefährlichen Bluthund und Saupacker, dem Ohm Egil einst ein eigenes Kettenhemd anfertigen ließ, um ihn gegen die wütenden Attacken der Wildschweine zu schützen. Die Sauhunde sollten, von Beißer angeführt, den Keiler hetzen, ihn stellen und mit ihren Zähnen niederhalten, so dass einer der Jäger ihn mit der Saufeder zur Strecke bringen konnte. Doch es kommt im Leben oft anders, als es einem lieb ist. Der Keiler hatte unweit von Zillbach die Schafe gerissen. Dort gedachten die Jäger ihn zu stellen, zu hetzen und zu erlegen. Um ihn anzulocken, schüttete Knecht Hertnit einen Sack Haferschrot in eine Senke, legte einige Bretter darüber, an denen Glöckchen befestigt waren, und begoss das Ganze mit Honig und Gülle aus dem Schweinestall. All dies sollte den wütenden Keiler zusätzlich anlocken. Würde er dann kommen und nach dem Hafer scharren, würden die Glöckchen die Jäger alarmieren, die sich in sicherer Entfernung versteckt hielten, und die Hetzerei könnte beginnen. Wir lagen kaum eine halbe Nacht im Wald, als die Glöckchen klingelten. Stracks brachen die Männer auf und ließen die Hunde los, die freudig kläfften. Vater und Ohm Egil jagten zu Pferde. Ich blieb auf einer Eiche zurück. Vater hatte in seiner Weitsicht sein Olifant13 bei mir gelassen. „Falls du Hilfe brauchst, bläst du kräftig ins Horn!“
Beißers wütendes Bellen verriet, dass er auf ein Wildschwein gestoßen war. Ich saß auf meinem Baum und versuchte, etwas zu erspähen, aber der Wald war undurchdringlich. Plötzlich hörte ich unter mir ein böses Grunzen. Ein großes Wildschwein rieb sich an meinem Baum. Vater hatte mich unglücklicherweise auf einen Malbaum gesetzt. So heißen die Bäume, an deren Rinden sich die Wildschweine scheuern. Mich beschlich eine leichte Angst. Sollte es der große Griesgram sein, der sich da unter mir kratzte? Nein, das kann nicht sein, dachte ich, außerdem sieht er doch gar nicht so groß aus. Während ich mit wachem Blick das Wildschwein beobachtete, ereignete sich nicht zweihundert Schritte von mir entfernt ein Kampf auf Leben und Tod. Unsere Männer erzählten noch Jahre später davon.
Natürlich war es nicht der große Keiler, der unter mir den Malbaum traktierte, sondern nur ein Überläufer14. Tatsächlich war der alte Griesgram auf die Falle gestoßen, angelockt von all den säuischen Düften und der Aussicht auf herrliches Fressen. Beißer, der als Erster auf den Keiler traf, erhielt von diesem übermächtigen Feind einen derartigen Stoß, dass er zwanzig Fuß durch die Luft flog und an einen Baum prallte, wo er sich das Genick brach. Da half auch sein Kettenhemd nichts.
Drei weiteren Bracken schlitzte der alte Griesgram mit seinen Hauern die Bäuche auf. Vater, der das Tier vom Pferd aus mit der Saufeder stechen wollte, prallte