Harald Rockstuhl

Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845


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in Thüringen stand, schaute die Tochter eines Burgherrn einst viele Jahre lang von einem Felsen am Wallgraben hinaus in die Weite, um zu sehen ob ihr Geliebter nicht aus der Fremde wiederkehre. Und weil sie so lange dort stand, drückte sich ihr Fuß in den Stein, und die Vertiefung ist noch zu sehen. Noch jetzt erscheint das Fräulein bisweilen mit goldenen Pantoffeln und mit langem, gelben Haar auf dem Felsen, welcher darum die Jungfernklippe genannt wird.

       Anmerkung:

       Mit gelben Pantoffeln zeigt sich die weiße Frau zu Chorin (Märkische Sagen 190), wobei schon Kuhn (Vorr. VIII) an Berchtas Schwanenfuß erinnert.

       Joh. Bernh. Heller Sonderbare Merkwürdigkeiten aus der berühmten Landgrafschaft Thüringen (Jena und Leipzig 1731). S. 459 f.

      Auf dem Schloßberge bei Ohrdruf, am Fuße des Thüringerwaldes, läßt sich manchmal eine Jungfer mit einem großen Schlüsselbunde sehen. Sie kommt um die zwölfte Stunde zu Mittag vom Berge herab, geht in das Thal zum Herlingsbrunnen, badet sich darin und steigt dann wieder den Berg hinauf.

       Ohrdruf. Postkarte 1900. Sammlung Harald Rockstuhl.

       Mündlich aus Halle

      In einem Dorfe nicht weit von Halle wurde das Dienstmädchen des Pfarrers bei Nacht aus dem Schlafe geweckt, und als sie aufblickte, sah sie eine lange, weiße Gestalt, welche ihr winkte. Das Mädchen aber hüllte sich tief ins Bett ein und erzählte am Morgen dem Pfarrer was sie gesehen hatte. Der schalt sie um ihres Aberglaubens willen und meinte, sie sollte, ehe sie einschliefe, hübsch beten, dann würde sie nicht so unruhige Träume haben. In der folgenden Nacht aber sah das Mädchen dieselbe weiße Gestalt, und diesmal sprach sie und bat das Mädchen aufzustehen und mitzugehen. Doch auch diesmal fürchtete sich die Magd. Wie sie aber dem Pfarrer am Morgen wieder von ihrem Gesicht erzählte, da sprach er „Wenn die Erscheinung zum dritten Male kommt, so steh auf und thu in Gottes Namen was sie verlangt.“ Und wirklich kam die weiße Gestalt auch in der dritten Nacht, und die Magd stand auf und folgte ihr. Sie wurde in des Pfarrers Keller hinabgeführt und durch eine Thür, welche sie nie zuvor gesehen hatte, in andre Keller und durch lange Gewölbe hindurch. Die Gestalt schritt mit einer Kerze voran und blieb in einem kleinen Gemache stehen, an dessen Boden viele goldene und silberne Ketten, Ringe, Armspangen und andere Kleinode aufgehäuft lagen. Und die Gestalt sprach zu dem Mädchen „Sieh, dies Alles ist dein: nimm es auf und lebe glücklich damit.“ Das Mädchen aber glaubte zu träumen und konnte sich an den Kostbarkeiten nicht satt sehen; doch wagte sie nichts anzurühren. Da gab ihr die Gestalt die Zipfel der Schürze in die Hand und schüttete ihr das Geschmeide in die Schürze. Das Mädchen hielt die Schürze in Gedanken fest, und als Nichts von all den Herrlichkeiten mehr am Boden lag, da trat eine schöne, prachtvoll gekleidete Jungfrau ins Gemach; die weinte vor Freude und rief „Nun sei Gott gelobt, nun bin ich erlöst.“ Damit eilte sie auf das Mädchen zu und wollte es umarmen; doch erschrocken ließ das Mädchen die Schürzenzipfel los, die Kleinode rollten über den Boden, und plötzlich war Alles verschwunden, die Jungfrau sammt der Gestalt, das Gold und die Edelsteine; und das Mädchen tappte im Finstern umher, bis sie in der Ferne Etwas schimmern sah. Sie ging darauf zu und fand eine Treppe, die sie hinaufstieg. Und als sie sich nun umsah, stand sie an dem einen Ende des großen Kirchhofes, an dessen anderer Seite, wohl mehrere hundert Schritte davon, das Pfarrhaus stand. Sie ging schnell ins Haus und erzählte dem Pfarrer Alles, wie es gekommen war. Der Pfarrer schüttelte ungläubig den Kopf: da bemerkte er daß eine Perlenschnur an dem Schürzenbande der Magd hing, an das sie sich mit dem Schlosse festgeschleift hatte; und nun zweifelte er nicht länger, sondern sprach „An diesem Wahrzeichen erkenne ich daß du die Wahrheit sagst: führe mich an den Ort, von dem du die Schnur mitgebracht hast.“ Und sie gingen in den Keller, doch die Thür zu den andern Kellern suchten sie umsonst, und sie gruben auch auf dem Kirchhofe nach, doch sie fanden die unterirdischen Gänge nicht.

       Mündlich aus Wettin und Dederstedt

      Vor vier Jahren begegnete einem Hirten zu Fienstedt drei Morgen hinter einander eine Kröte, die ihn freundlich grüßte und bat, er möchte sie doch küssen, dann würde sie erlöst und zum Danke dafür wolle sie ihn heiraten. Den Hirten aber graute es die Kröte zu küssen. Da erschien sie ihm am vierten Morgen als eine wunderschöne Jungfrau und sagte ihm, so habe sie ehemals ausgesehen, und sie sei eine Prinzessin gewesen und würde es wieder geworden sein, wenn er sie geküßt hätte; nun aber könne sie es nie mehr werden. Und als sie der Hirt noch ansah, verschwand sie vor seinen Augen.

      Ebenso begegnet bei Nacht den Wanderern zwischen Hedersleben und Dederstedt oft eine Katze, welche sagt, sie sei eine verwünschte Prinzessin und könne durch einen Kuß erlöst werden.

       Anmerkung:

       Über die Erlösung verwünschter Jungfrauen durch Küsse und die zauberische Gewalt überhaupt, welche in Sagen dem Kusse zugeschrieben wird, vergl. Myth. 921. 1055 und meine Abhandlung De Theophili cum diabolo foedere S. 7.

       Mündlich

      An der Nordseite des Dorfes Mötzlich, eine Stunde von Halle, liegt ein großer Stein, von welchem ein Rain zu dem benachbarten Dorfe Tornau führt. An diesem Rain sieht man oft in der Abenddämmerung und Nachts zwischen elf und zwölf eine ganz weiß gekleidete Frau auf und ab gehen, welche im ganzen Dorfe als „die weiße Frau“ und „die verwünschte Prinzessin“ bekannt ist und oft die Vorübergehenden mit kläglicher Stimme angerufen hat, sie möchten sie doch erlösen. Läßt man sie ruhig gehen, so thut sie Niemand Etwas zu Leide; doch wer sie verspottet oder sonst wie erzürnt, neben dem steht sie plötzlich und haucht ihn an, und dann wird er von schwerer Krankeit befallen.

      Eine weiße Frau geht auch in der dölauer Heide um: nach Andern aber ist eine Prinzessin in die Heide verwünscht und zeigt sich bisweilen in schwarzem Kleide mit weißer Schürze, hoher, weiß- und schwarzgewürfelter Mütze und mit einem Schlüsselbunde am Gürtel. – In einem Gehölz bei Löbejün sieht man bei Nacht oft zwei weiße Frauen, von denen eine ein Schlüsselbund trägt, mit einander gehen, und vor ihnen her schwebt ein Licht. – Auf dem Winkel in Wettin, dem Stammschlosse der Könige von Sachsen, geht die weiße Frau noch manchmal in einem Gange auf und ab: früher erschien sie stets kurz zuvor, eh Jemand aus dem sächsischen Königshause starb; auch kam sie am Morgen und Abend zu den Mägden in den Stall und half ihnen melken.

       Mündlich aus Halle

      Als einst ein Mann bei Nacht an der Kirche, die auf dem Neumarkt zu Halle steht, vorüber ging, saß eine Frau in weißen Kleidern auf der Kirchhofsmauer und nieste. „Gott helf!“ rief der Mann; doch sie dankte nicht, sondern nieste gleich noch einmal. Und er rief wieder „Gott helf!“ Sie aber nieste zum dritten Male. Da wurde der Mann ärgerlich und sagte „Wenn dir Gott nicht helfen will, so helf dir der Teufel.“ Und nun fing die Frau laut zu klagen an und sprach „Hättest du zum dritten Male „Gott helf“ gesagt, so wäre ich erlöst worden; doch nun muß ich wieder hundert Jahr warten, eh mich Jemand erlösen kann.“

       Anmerkung:

       Vergl. Deutsche Sagen 1, 226. Wolfs deutsche Märchen und Sagen 257.

       Halle. Postkarte um 1910.