Jahre später meine Frau werden, weshalb ich sie hier schon einmal erwähnen möchte, da sie ja doch noch eine bedeutende Stelle in meiner Biographie einnehmen wird.
Zunächst aber sei von meiner Schwester die Rede. Als sie geboren wurde, hatte ich mich eigentlich damit abgefunden einziges Kind zu sein. Deshalb und weil das winzige Wesen damals so plötzlich bei uns auftauchte, wollte ich sie lieber wieder an den Klapperstorch zurückgeben. Da aber solche Erzeugnisse von Umtausch oder Rückgabe ausgeschlossen sind, gewöhnte ich mich langsam an sie. Wie ein Kinderpsychologe vielleicht feststellen wird, war ich möglicherweise schon in der Gefahr ein ichbezogenes Einzelkind zu werden. So kann ich noch von Glück sagen, dass dies durch das Erscheinen meines Schwesterleins noch rechtzeitig korrigiert wurde.
Elfriede war ein zutrauliches und sehr anhängliches Kind. Als großer Bruder war ich für sie der Unterhalter und Leithammel. Da ich bereits durch die von mir verlassene Else Walther in das Puppenspiel eingeführt war, konnte ich bald mit meiner Schwester recht gut umgehen. Sie ließ sich beispielsweise von mir mitsamt ihrer Puppenstube unter den Küchentisch setzen, während ich auf der Tischplatte sitzend, als Kapitän eines Passagierdampfers nach Amerika fuhr. Ich führte sie mit dem Puppenwagen aus und landete samt Schwester und Zubehör in einer sumpfigen Wiese. Sie ertrug es ohne Jammern und freute sich, etwas zu erleben. Ich arrangierte Theateraufführungen für sie, die lange Vorbereitungen für Kulissenbau und Herstellung von Marionettenfiguren erforderlich machten. Immer hatten wir Beide unser Vergnügen. Je älter wir wurden, umso weniger Zeit fand ich allerdings für sie. Es blieben uns dann vor allem noch die regnerischen und kalten Tage, an denen wir in Mutters warmer Küche zusammensaßen.
Als ich später dann zum Wehrdienst einrücken musste, war Elfriede zwölf Jahre alt. Sie erhielt von mir aus allen Gegenden, in denen ich herumkam, ihren eigenen Brief neben dem an meine Mutter. Ich denke, auch sie hat um mich die ganze Zeit gebangt und gehofft, dass ich wieder gesund nach Hause kommen möge. Sie war dabei, als mich meine Mutter im Arbeitsdienstlager Bad Sülze besuchte und auch in der Infanteriekaserne von Neustrelitz als ich, kurz nach meiner Vereidigung, von dort zur Ausbildung nach Polen verlegt werden sollte. Elfriede hörte lieber zu als dass sie selbst viel erzählte. So festigte sich in mir sehr bald die Vorstellung, man müsse weibliche Wesen unterhalten, wenn sie sich wohl fühlen sollen. Ich habe also auch von ihr manches gelernt. Jetzt wohnen wir schon lange an weit auseinanderliegenden Orten. Jeder hat seine eigene Familie und die damit verbundenen Probleme. Wenn auch die Kindheit weit hinter uns liegt, so war sie doch so schön, dass auch aus der Erinnerung an sie immer noch Freude kommt.
Von Jutta Thurm ist vorerst noch nicht mehr zu sagen, als dass sie wie Elfriede ein gutartiges Kind, eine fleißige Schülerin und dann auch, wie es damals in Deutschland verlangt war, ein Jungmädel mit weißer Bluse und schwarzem Halstuch wurde. Man trichterte den Mädchen die nationalsozialistische Ideologie ein, so wie das damals eben üblich war. Später mussten sie, wie andere Frauen und Mädchen, Hitlers Krieg und seine Schrecken im Altenburger Land über sich ergehen lassen, wovon noch die Rede sein wird.
Klasse 2b der Volksschule in Wintersdorf; Foto: 1938
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