Brot. Hans war glücklich. Die Sonne schien den ganzen Tag. Abends ging er mit Robert in einem kleinen Bach, der sich in der Nähe des Hauses hinschlängelte, baden. Die Ferien vergingen für Hans und Robert wie im Fluge.
„Warum bleiben wir nicht beim Opa und der Oma? Hier ist es so schön. Die Schule ist in der Nähe, keiner hungert, der Bauer ist freundlich“, fragte Hans die Mutter.
„Wir müssen in dem zugewiesenen Ort bleiben. Dort erhalten wir unsere Lebensmittelkarten. Du möchtest doch nicht immer mit Opa in einem Bett schlafen?“, fragte die Mutter Hans nachdenklich.
Hans verließ die Mutter und ging zu Liese und Rudi in den Stall. Dort fütterte er die Pferde mit Haferähren aus der Hand, striegelte und putzte sie, bis die Hände wehtaten. Es war ein Abschied auf lange Zeit. Am frühen Morgen brachte Opa die kleine Familie zum Bahnhof. Am späten Abend war sie nach einer langen Bahnfahrt und einem zweistündigen Fußmarsch wieder im zugewiesenen Zuhause, in Gutshof. Die Großeltern hatten sie ausreichend mit Lebensmitteln versorgt. Wurst, Schmalz, selbst gemachte Butter, Äpfel und zwei Weizenbrote hatte Hans in seinem Rucksack.
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In der Zeit der Schulferien gab es keinen Gottesdienst. Es wurden auch nicht die Glocken geläutet. Heute begann Hans wieder mit dem täglichen Läuten der Glocken. Hans packte die Schultasche ein und spitzte die Bleistifte an.
„Morgen gibt es vielleicht neue Bücher“, sagte Frau Solltau zu ihrem großen Sohn.
„Am letzen Tag habe ich Rudi Haare aus der Mähne geschnitten, die ich in die Federtasche legen möchte“, sagte Hans.
„Hoffentlich denkst du während des Unterrichts nicht immer an die Pferde“, warnte die Mutter besorgt und legte einen neuen Radiergummi in die Federtasche.
Am ersten Schultag musste Hans dem Lehrer das von der Mutter unterschriebene Zeugnis vorlegen. Es war ein gutes Zeugnis. Die Mutter hatte es mit einem gewissen Stolz unterschrieben. Für Fleiß und Betragen hatte Hans eine „Eins“ erhalten. Sie war zuversichtlich, dass er auch weiterhin gern die Schule besuchte.
Frau Solltau arbeitete täglich für den Lebensunterhalt der kleinen Familie. Feldarbeit bei den Bauern, Ausbessern der Kleidung für die Bauern und Landarbeiter, Reinigung der Kirche, Vorbereitung der bescheidenen Mahlzeiten für die Kinder, das Waschen der persönlichen Kleidung und sammeln von Holz bestimmten den Tagesablauf. Die Lebensbedingungen hatten sich nicht wesentlich verbessert. Kriminalität, insbesondere Diebstähle, nahmen zu. Die Bauern lieferten häufig nicht, wie gefordert, die Feldfrüchte an die zentral eingerichteten Stellen ab. Kartoffeln, Getreide wurden versteckt, sogar eingegraben. Tiere wurden „schwarz“ geschlachtet. Nachts kamen „Banden“ in das Dorf, die Tiere aus den Ställen stahlen. Tagsüber kamen Männer und Frauen, aber auch Kinder, die Sachen wie Uhren, Schmuck und Porzellan gegen Lebensmittel tauschten. Gestohlen wurde alles, was leicht zu haben war. Gewaschene Wäsche wurde nur noch in den Innenräumen getrocknet. Eine Familie hatte ein Pflegekind aufgenommen, um zusätzliche Lebensmittelmarken zu erhalten. Das Kind war aufgrund von Unterernährung verstorben, weil die Pflegeeltern die Lebensmittel für sich selbst verbrauchten. Infektionskrankheiten nahmen zu. Einige Kinder starben an Typhus, Tuberkolose und Scharlach. Hans trug wiederholt bei den Beerdigungen das Kreuz, einen Stab mit Jesus Christus, zum aufgeschaufelten Grab des jeweilig Verstorbenen. Der kalte Winter war für alle eine schwere Bürde, besonders für die Flüchtlinge, sie hatten keine Lebensmittelreserven und lebten von der Hand in den Mund.
Einige Bauern durften amtlich genehmigt ein Schwein schlachten. Dieser Tag war ein besonderer Tag für diese Familie, aber auch für die Kinder der Flüchtlinge. Das Schwein wurde auf dem Hof des Bauern geschlachtet. Es wurde an den Ohren und am Schwanz aus dem Stall gezerrt und spürte das kommende Ende. Es schrie und sperrte sich nach allen Richtungen. Der Schlachter schlug dem Schwein mit der Axt auf die Stirn. Es war sofort tot. Danach stach er mit einem schlanken und scharfen Messer in den Hals und ließ es ausbluten. Das Brühen des Schweines und die Entfernung der Borsten erfolgten in einem großen Bottich. Auf einer Leiter hängend wurde es ausgeschlachtet und zu Schinken, Kochfleisch und Wurst verarbeitet. Das Fleisch und die Wurst wurden in großen Töpfen auf einem großen Herd gekocht.
Die Fleisch-Wurstbrühe, auch Wurstsuppe genannt, holten die Kinder im Essgeschirr, das die Soldaten im Krieg verwendet hatten, vom Bauern. Auch Hans holte sich die unentgeltliche Kost nach Hause.
Da die Mutter oft die Kleidung für die Bauern ausbesserte, legten einige zusätzlich ein Stück Wellfleisch oder eine kleine Leberwurst in das Behältnis.
Zu Hause war die Freude groß. Für die kleine Familie war diese Zugabe ein Geschenk des Himmels.
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Kurz vor Ostern erfuhr Frau Solltau von ihrem Vater, dass die Oma an einer Lungenentzündung verstorben war. Sofort fuhr sie zu ihm, um ihm beizustehen. Die Kinder nahm sie aufgrund der zu erwartenden Strapazen nicht mit. Frau Fettig passte auf Robert auf. Bei ihr erhielt er seine Mahlzeiten und wohnte bis zur Rückkehr der Mutter in ihrer kleinen Wohnung. Hans blieb allein, erhielt aber vom Bauern das vereinbarte Essen zu den Mahlzeiten.
„Mutti! Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, sagte Hans beim Abschied zur Mutter.
Die Mutter wusste, dass auf ihn Verlass war.
„Warum ist die Oma gestorben?“, fragte Hans traurig.
„Durch die Strapazen auf der Flucht war sie körperlich geschwächt und hatte keine Abwehrstoffe mehr. Eine Erkältung führte zur Lungenentzündung. Sie sagte mir, als wir abfuhren, dass sie nicht mehr leben will“, antwortete weinend die Mutter.
„Opa ist jetzt ganz allein. Vielleicht könnten wir bei ihm wohnen?“, fragte Hans hoffnungsvoll.
„Leider geht es nicht“, antwortete die Mutter und verabschiedete sich weinend von Hans.
„In acht Tagen bin ich wieder zurück“, waren die letzten Worte der Mutter.
Nach einer Woche war Frau Solltau wieder zurück. Sie hatte dem Vater in den schweren Stunden beigestanden. Die Oma wurde in einem schlichten Sarg auf dem Kirchfriedhof begraben. Keine weiteren Verwandten waren anwesend. Ihr Sohn war in Griechenland gefallen und Anna war noch in der Kriegsgefangenschaft. Zu weiteren Verwandten gab es keine Kontakte. Alle Anfragen bei den Suchdiensten waren bisher ohne Erfolg geblieben.
„In den Sommerferien werden wir dich wieder besuchen“, tröstete Frau Solltau ihren Vater beim Abschied.
„Sag den Kindern, dass ich zu Pfingsten zu Besuch komme“, versprach der Opa und verabschiedete sich bei seiner Tochter.
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Hans und Robert waren froh, als die Mutter wieder zurück war. Das tägliche Leben verlief jetzt wieder in den gewohnten Bahnen. Frau Solltau arbeitete auf den Feldern der Bauern. Mist streuen, Kartoffeln legen, Futter-, Steck- und Zuckerrüben verhacken und verziehen waren bei allen Bauern angesagt. Auch die Hände der Kinder waren gefragt. Hans verzog nach dem Unterricht auf abgesteckten Teilen der Felder die Rübenpflanzen für ein kleines Entgelt. Der Abstand der verzogenen Pflanzen wurde durch den Bauern ständig überprüft. Robert war noch zu klein für diese Tätigkeit.
Zu Pfingsten kam der Opa, wie er es versprochen hatte, zu Besuch. Die Freude war groß. Hans zeigte ihm das Dorf. Gemeinsam gingen sie durch die Dorfstraßen und schauten sich die Häuser an. Opa war ein stattlicher Mann, breitschultrig, sehr groß und stark wie ein Baum.
Er trug die Uniform des Postbeamten. Die Kinder im Dorf staunten. Hans hielt stolz die Hand seines Opas fest.
„Wann fahren wir nach Ostpreußen? Ich möchte wieder in unser Dorf zurück. Hier gefällt es mir nicht“, sagte Hans traurig und fordernd.
„Wir müssen hier bleiben. Die Russen wohnen jetzt in unserem Haus. Uns gehört nichts mehr“, sagte der Opa bedrückt. „Viele Menschen haben die Heimat verloren. Alle müssen neu beginnen. Vielleicht kannst du unser Haus noch einmal sehen, wenn du groß bist“, tröstete der Opa sein Söhnchen.
Nach den Pfingstfeiertagen fuhr er wieder zurück nach Mecklenburg. Frau Solltau und Hans brachten ihn zum