zu all den Bindungen und Begrenzungen, die das Leben einschränken wollen. So schreibt beispielsweise Paulus, der erste christliche Theologe: »Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit.« (2. Kor. 3,17) Und er betont den Wert dieser Freiheit immer wieder. Vor allem sagt er: »Jesus Christus hat uns zur Freiheit befreit! Daran müsst ihr festhalten. Lasst euch ja nicht wieder durch irgendetwas versklaven.« (Gal. 5,1)
Nun ist das Merkwürdige: Wenn man beobachtet, wie Menschen das Christentum in der Praxis leben und erleben, dann ist von dieser Freiheit oft wenig zu spüren. Es scheint, als versinke die Kirche unter einem Berg von Geboten, Strukturen, Vorschriften, Traditionen und ausgesprochenen oder unausgesprochenen Forderungen, die genau festlegen, wie das mit dem Glauben zu sein hat. Eine Sklaverei der Formen, die bestimmt nicht frei macht. Auf diese Weise wirkt Frömmigkeit oft eher abstoßend als ansteckend. Darum bemerkte ja schon Friedrich Nietzsche süffisant über die Christen: »Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne. Erlöster müssten mir seine Jünger aussehen.«
Ein Christentum, das nicht frei macht, hat mit Jesus wenig zu tun.
Damit sind wir beim Thema dieses Buches: Woher kommt es, dass der christliche Glaube, der befreien soll, oftmals eher als einengend und bedrückend erlebt wird? Und kann sich ein moderner oder gar postmoderner Mensch des 21. Jahrhunderts überhaupt noch ernsthaft auf den christlichen Glauben einlassen? »Ja«, sagen wir, und darum ist alles, was wir hier ausführen, ein Plädoyer für eine aufgeklärte, unverkrampfte und lustvolle Frömmigkeit, sozusagen eine geistliche Entrümpelung des Glaubens, bei der wir eine Bestandsaufnahme dessen versuchen, was sich in Jahrtausenden an Unfreiheiten, Missverständnissen, Ängsten, Unsicherheiten, Dogmen, Ideologien und Vorurteilen ins Christentum eingeschlichen hat. Letztlich geht es uns darum, dass Glaube wieder zu einer lebensfördernden, leidenschaftlichen, tröstenden und wohltuenden Erfahrung werden kann. Denn ein Christentum, das nicht frei macht, hat mit Jesus wenig zu tun. Also: Schluss mit lustlos!
Wir haben für unser Vorhaben einen sehr konkreten Weg gewählt: Wir stellen Ihnen erst einmal ein Panoptikum markanter religiöser Auswüchse vor - und dann 10 existenzielle Freiheiten, oder besser gesagt: 10 Aspekte der einen großen Freiheit, die nicht nur für einen gesunden Glauben, sondern für das Leben an sich von entscheidender Bedeutung ist. Und wir zeigen, wo und warum wir diese Freiheit bedroht sehen und wie man sich dagegen schützen kann.
Bei aller kritischen Auseinandersetzung mit kleinmachenden Strukturen geht es in diesem Buch vor allem darum, die 10 Freiheiten als dem Leben zugewandte, spirituelle Angebote zu entdecken, die den Horizont weiten und die Selbstständigkeit fordern - in alldem, was unser Denken, unser Handeln und unser Fühlen bestimmt. Dieses Buch will also in die Freiheit und in die Leichtigkeit führen. Trotzdem ist es nicht unbedingt ein leichtes Buch. Denn die geistlichen Umgangsformen, denen wir auf den Zahn fühlen, sorgen ja auch nicht gerade für Heiterkeit. Zumindest noch nicht.
Unsere Gedanken wollen in erster Linie anregen, inspirieren, motivieren, ermutigen und natürlich auch provozieren. »Provozieren« kommt von dem lateinischen Wort »Provocare« und bedeutet »Herausrufen« - aus allem, was Menschen einengt. Und das Beste, was aus einer Provokation werden kann, ist ein angeregter, offener Austausch darüber, was denn nun trägt im Leben. Darum verkünden wir hier auch keine geschlossene Theologie, keine allein selig machenden Wahrheiten, sondern verstehen uns selbst als Lernende, die eine großartige Erkenntnis wiederentdeckt haben: Glaube und Zwang schließen sich gegenseitig aus. Oder positiv formuliert: Freiheit ist eine eminent wichtige, unverzichtbare Voraussetzung für einen gesunden christlichen Glauben.
Dieser Idee wollen wir in diesem Buch nachgehen und Sie einladen: zum Nachdenken, zum Ausprobieren, zum Wider-sprechen. So wie es Luther mit seinen 95 Thesen hielt, die er als Professor öffentlich zur Diskussion stellte und die er bewusst zuspitzte, um Gespräche anzuregen - nicht etwa, um sie zu beenden. So wie auch Papst Benedikt XVI. in seinem bekannten Jesus-Buch bewusst auf jede lehramtliche Autorität verzichtete und seine Leserinnen und Leser zum Widerspruch geradezu einlud. Das ist übrigens gelebte Theologie: Miteinander über Gott reden.
Jesus hat ziemlich selbstbewusst gesagt: »Wenn ich als Sohn Gottes euch frei mache, dann seid ihr wirklich frei.«
(Joh. 8,36)
Prüfen Sie also ruhig unsere Thesen, testen Sie sie auf Belastbarkeit, freuen oder ärgern Sie sich darüber, verfeinern Sie die Argumentation und ergänzen Sie für sich die Aspekte, die wir übersehen haben. Und wenn Sie uns einen Irrtum nachweisen können, dann teilen Sie uns das bitte mit. Wir freuen uns immer, wenn wir etwas dazulernen.
Jesus hat einmal ziemlich selbstbewusst gesagt: »Wenn ich als Sohn Gottes euch frei mache, dann seid ihr wirklich frei.« (Joh. 8,36) Wir möchten mit Ihnen zusammen herausfinden, ob das stimmt, und freuen uns, wenn die hier vorgestellten Gedankenanstöße Ihnen helfen, Glauben (neu) als befreiende Erfahrung zu erleben - ganz gleich, ob Sie überzeugter, zweifelnder oder verzweifelter Christ sind, mit dem Christentum vielleicht gar nichts (mehr) anfangen können, alte Verletzungen mit sich herumtragen oder einfach als zufriedener Atheist aus purer Neugier wissen wollen, ob Freiheit und Glauben wirklich zusammenpassen.
Martin Schultheiß & Fabian Vogt
Vieles von dem, was wir in diesem Buch beschreiben, beschäftigt uns auch als Kabarettisten - und wir singen und erzählen davon leidenschaftlich gern auf Kleinkunstbühnen. Einige der dabei entstandenen, frech-poetischen Texte haben wir mit aufgenommen. Zum Beispiel diese kleine Sammlung von Vorurteilen gegenüber Christinnen und Christen. Falls es welche sind.
Fromme Leute
Fromme Leute lesen täglich Bibel.
Fromme Leute machen niemals blau.
Fromme Leute klauen keine Löffel.
Fromme Leute fluchen nicht im Stau.
Fromme Leute lächeln immer freundlich.
Fromme Leute sind niemals obszön.
Fromme Männer gucken keine Pornos.
Fromme Frauen sind ohne Schminke schön.
Lieber Gott, mach mich fromm,
dass ich in den Himmel komm!
Oder nein, lass es sein,
vielleicht will ich gar nicht rein!
Was meinst du denn dazu?
Die Frage lässt mir keine Ruh:
Muss denn das alles so sein?
Fromme Leute gehen in die Kirche.
Fromme Leute kleiden sich adrett.
Fromme Leute singen fromme Lieder.
Fromme Bräute gehn allein ins Bett.
Fromme Leute nehmen keine Drogen.
Fromme Leute sind total verklemmt.
Fromme Frauen kriegen viele Babys.
Fromme Männer gehen niemals fremd.
Christen haben’s schwer, nehmen’s nicht leicht,
Außen hart und innen ganz weich.
Sind als Kind schon auf Christ geeicht.
Wann ist ein Christ ein Christ?
Fromme Leute missionieren gerne.
Fromme Leute hüten die Moral.
Fromme Leute gehn nicht in die Disco.
Fromme Leute beten vor dem Mahl.
Fromme Leute sammeln gern Kollekte.
Fromme Leute lesen niemals Brecht.
Fromme Frauen sind meistens Krankenschwestern.
Fromme Männer haben immer recht.
Fromme Leute mögen keine Heiden.
Fromme Leute vermeiden FKK.