Kompromissfähigkeit. Da ist jede Spur dessen getilgt, worum es dabei spezifisch geht.
12. März 1991
Mutationen der Warenform. – »Shareware« und »public domain-software« als Modifikationen der Warenform, Realscholastik einer Produktionsweise, die dem klassischen Privateigentum entwächst. »Shareware« ein Unbegriff für das »Hinüberragen« einer Ware in den Nichtwarebereich, wo die Dinge ohne Gegenleistung von jedem angeeignet werden können wie das Einmaleins oder das Alphabet. »Shareware« ist die gute Miene zum bösen Spiel, dass sich Programme durch jeden unbegrenzt reproduzieren lassen bei reinen Materialkosten. Das hat den Markt gespalten in einen formellen und einen informellen. Der formelle Markt verlangte Rechtsschutz, dieser aber nur zufällig wirksam. Der informelle Markt verlangt kein Vertriebssystem, die »Ware« verbreitet sich »von selbst«, wie es vom Kapitalstandpunkt heißt (in Wirklichkeit verbreiten sie die Benutzer: einer der Unterschiede von ziviler und bourgeoiser Gesellschaft). Das materielle Interesse der Verwerter zieht sich nun auf die Handbücher zurück, da aber auch diese kopiert werden, auf die Zusage eines Up-date-Service gegen Zahlung der Registrierungsgebühr. Eine Halbform sind daher die Kurzformen, die gegen eine kleine Gebühr verkauft werden und die der Nutzer probefahren und mit konkurrierenden Programmen vergleichen kann, um sich dann ggf. für den Erwerb der Vollform zu entscheiden. – »Public domain-software« ist mit öffentlichen Mitteln entwickelt und darf nach US-amerikanischem Recht daher nicht als Ware gehandelt werden.
16. März 1991
Die SU hat den steckbrieflich gesuchten alten Erich Honecker in einem Militärflugzeug nach Moskau gebracht. Der Akt widerrechtlich, aber widerwärtig wäre gewesen, ihn zu unterlassen. Hans-Jochen Vogel, hierin idealtypischer Sozialdemokrat, sprach sich im Bundestag für die strafrechtliche Verfolgung H.s aus, erinnerte aber an die zehn Jahre Haft unter den Nazis und daran, dass H. vor wenigen Jahren noch mit allen Ehren in Bonn empfangen worden war.
Der Golf-Krieg für die USA das erwartete Geschäft. Tribute der »Bundesgenossen« minus Kosten, großzügig gerechnet, = 7,4 Mrd US-Dollar Reingewinn. Darin ist enthalten, dass für den Abzug aus der Golfregion 7 Mrd USD, dazu für den Heimtransport noch einmal 5,2 Mrd USD und schließlich 6,4 Mrd USD für Wiederbeschaffung eingerechnet sind. Man sieht, dass über die Kriegskosten hinaus Alimente verlangt werden. Die Gesamtkosten werden auf 47,5 Mrd USD geschätzt. Der Überschuss soll nicht zurückgegeben werden, weil Menschenleben nicht mit Geld aufzuwiegen sei, wie der demokratische Abgeordnete Schroeder aus Colorado, Anwärter auf einen kleinen Tui-Preis, gesagt hat. Einzelsubsidien: Kuwait: 13,5 Mrd USD; Saudi-Arabien: 13,5 Mrd USD; Japan: 9 Mrd USD; BRD 5 Mrd USD; Vereinigte Arabische Emirate: 2 Mrd USD; Südkorea: 305 Mio USD.
In der SU läuft morgen die Abstimmung über den Erhalt der Union, die als Verbund gleichberechtigter souveräner Republiken (Kasachstan setzt dafür: Staaten) reartikuliert wird. Alle Eigentumsformen, die das Funktionieren eines einheitlichen Unionsmarktes begünstigen, sollen legitim sein.
Bezeichnend die Unterstützung, die aus Kasachstan kommt, der nach Russland flächenmäßig zweitgrößten Republik (2,717 Mio km2, 16,2 Mio Menschen): Ihrer Zusammensetzung nach ein Spiegelbild der Union, würde sie mit dieser zerfallen. Wie derzeit die Tschechoslowakei und Jugoslawien zerfallen, nein, schlimmer, weil dort bei allem Durcheinander doch relativ klare ethnisch-politische Grenzen ziehbar, während im sowjetischen Völkergemisch eine Art Afrikanisierung ausbrechen könnte.
17. März 1991
Im heute zur Abstimmung gestellten Entwurf zu einem neuen Unionsgesetz besagt der 4. Punkt: »Die Republiken betrachten den Aufbau und die Entwicklung einer zivilen Gesellschaft als die wichtigste Voraussetzung für Freiheit und Wohlstand«. – Ja, aber wie verstanden? Lauert unter der zivilen der Wechselbalg der bourgeoisen Gesellschaft?
Erkenntnis, kapitalistisch: »Wir erkennen Sie« heißt in der Bankensprache dasselbe wie »we credit you«, nämlich »wir schreiben Ihnen gut«.
Transnationaler Kapitalismus. – Als globale Produktionsweise schafft er sich eine globale Sprache, weltweit und branchenübergreifend, eigens genormt für Electronic Data Interchange (EDI). Unter Leitung der UNKommission für Europa wurde gemeinsam mit den Normeninstituten von 60 Ländern der Sprachstandard EDIFACT entwickelt (Electronic Data Interchange for Administration, Commerce & Transport).
Hochtechnologische Produktionsweise. – Mikromechanik als neues Forschungsgebiet. Hier geht es um »Mems« (mikro-elektro-mechanische Systeme), Chips, die nicht nur speichern können, sondern auch »spüren« (Sensoren) und »reagieren« (Mikromaschinen). Oder mechanische Informationsspeicherung mittels mikromechanischer Speicherzellen, bei denen die Wölbung von winzigen Stegen – dünner als ein Haar und tausendfach auf einem Chip angeordnet – die Information darstellt: nach oben = 1, nach unten = 0. Mit elektronischen Komponenten gekoppelt, ergibt das ein Mems. Der Begriff »Maschine« (und die Disziplin des Maschinenbaus) erfährt hier eine Ausdehnung ins Mikroskopische und dadurch einen Verallgemeinerungs- und Abstraktionsschub im Vergleich zur für Marx noch dominanten Werkzeugmaschine. Entwickelt werden »Mikroaktoren« – Zahnräder, Getriebe, Mikromotoren und -turbinen –, deren Funktionieren sich nur unterm Mikroskop beobachten lässt. Die Methoden der Fertigung aus dünnen Materialschichten ähneln z.T. denen der Chip-Produktion. Die Anwendung wird dadurch gekennzeichnet sein, dass sich ungeheure Mengen solcher Mikromaschinen auf engem Raum unterbringen lassen: Hunderte pro Chip, von denen wiederum hundert auf einem Silizium-Wafer Platz finden. Werkstoffe und ihre mechanischen Eigenschaften sind in diesem Bereich noch zu erforschen. Man kennt noch keine metallurgischen Rezepte für Werkstoffhärtung in Mikrodimensionen. Wiederum erfordert das eine Revolutionierung der Messtechnik, zugleich der Klimatisierung von Räumen. – In Berlin arbeitet das Fraunhofer Institut für Mikroelektronik an solchen Technologien. (E. Arzt: »Motor und Chip in einem. Neue Horizonte für High-Tech-Materialien in der Mikromechanik«, FAZ, 12.3.)
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Kathrin A. schreibt aus Leipzig von der Angst der vielfachen Ungewissheit, Angst der Chancenlosigkeit, aber auch Angst der hinterrücks verändernden Macht der Chancen. In ihrer Umgebung hektische Suche nach Möglichkeiten, Geld zu verdienen, mit der Vorstellung, sich dann die jetzigen Ideale weiter leisten zu können. Ihr Freund hat sein Studium nach vier Jahren abgebrochen, um sich in Herford bei der Commerzbank zum Geschäftsstellenleiter ausbilden zu lassen. Nach acht Wochen wird sie ihn zu Ostern erstmals wiedersehen, und sie fragt sich, ob sie ihn dann wiedererkennt. Er hat ein kritisches Bewusstsein, aber wird er nicht seine Zweifel verdrängen müssen, um voranzukommen? Und in drei Jahren wäre er Filialleiter einer Bank und seine Frau marxistische Pädagogikdoktorin. »Ich weiß nicht, ob wir das können.«
In Tönen der inneren Vergewisserung, die merkwürdig abstechen von dieser Existenzangst, spricht Kathrin, wo sie von ihren Fortschritten im Russischstudium schreibt, das sie in ein paar Monaten abzuschließen hofft: »Nach 10 Jahren Russischunterricht und einigen Reisen in die SU ist es ein schönes Gefühl, die Sprache nun richtig zu lernen. Ich fühle mich wie zuhause, auch wenn die gefühlsmäßige Bindung an dieses Land verschwommen ist. Sich für diese Sprache, diese Menschen, die Geschichte dieses Landes zu interessieren und sich damit nun intensiv zu beschäftigen, ist wie die Erfüllung eines Vermächtnisses. Das Beste und Schönste meines bisherigen Lebens nehme ich mit in die neue Zeit. Ein Teil meines Inneren festigt sich und wird mir immer erhalten bleiben. Wenn das Studium auch hart ist, beruhigt es mich, es gibt mir innere Festigkeit.« Dieser innere Halt jetzt von größter Bedeutung.
Kathrin ist es gelungen, das Thema ihrer Diplomarbeit bei den Pädagogen unterzubringen: »Massenkultur, Massenmedien und Kommunikation in den gesellschaftstheoretischen Auffassungen W. F. Haugs«. Freilich ist unsicher, ob der Antrag auf »Forschungsstudium« genehmigt wird, ob der Betreuer dann noch arbeiten darf und ob die Hochschule in den nächsten Jahren überhaupt noch existiert. Deshalb hat sich K. parallel bei der Lufthansa um eine Ausbildungsstelle als Stewardess beworben, ja sogar als Pilotin. »Also wenn nicht alles schiefgeht, vergrabe ich mich ab Oktober in Büchern oder gehe in die Luft. Den Sommer will ich in den USA verbringen«. – Hoffnungen zwischen Stewardess und marxistischer