Halle mit weitläufigen Parkplätzen davor, schüttelte den Kopf. »90 Prozent«, sagte er. »90 Prozent seines Umsatzes erzielt dieser Tierarzt aufgrund seines Internetauftrittes. Und warum ist das so? Weil er eine Idee hatte, die er professionell verwirklicht hat. Was war seine Idee? Ganz einfach: Hier bei uns in Amerika sind nicht nur viele Menschen zu dick. Selbst viele Hunde sind es. Deshalb hat er einen Hunde-Parkour entwickelt, mit Bällen und Würstchen zur Belohnung, auf dem die Tiere wieder lernen, ihren Instinkten zu folgen und zu laufen.«
Er zeigte uns Fotos und Videos von der Internetseite des Tierarztes. Darauf waren Exemplare der drei beliebtesten amerikanischen Hunderassen, Labrador Retriever, Yorkshire Terrier und Schäferhunde, zu sehen. Vor dem Eingreifen des Tierarztes schienen sie fast an ihren eigenen Wülsten zu ersticken, auf den danach aufgenommenen Bildern sprangen sie glücklich über die Wiesen. »Vermögende Klienten aus aller Welt fliegen inzwischen zu diesem Tierarzt, um ihre Hunde in seinem Parkour laufen zu lassen«, berichtete der Redner. »Jetzt glauben viele Tierärzte, dass sie das ebenfalls gekonnt hätten, bloß war eben er derjenige, der das Internet genutzt hat, um es zu tun. Damit ist er auch derjenige, der gewinnt. Die anderen Tierärzte müssen weiter hoffen, dass der Wellensittich des Rentners in ihrer Nachbarschaft wieder einmal Durchfall kriegt.«
Der Tierarzt mit dem Parkour für übergewichtige Hunde habe sein Einkommen vervielfacht, sagte der Redner. Früher habe er 50 Dollar je Sitzung verlangt, jetzt seien es bis zu 1.000 Dollar. »Ich könnte Ihnen ebensolche Beispiele für jeden gewöhnlichen Beruf nennen, vom Notar bis zum Bestattungsunternehmer«, fuhr er fort, »doch ich komme lieber gleich zum Kern der Sache.« Der folgende Satz erschien, während er ihn sprach, groß hinter ihm an der Wand:
Durch Digitalisierung entsteht Nachfrage.
Das sollten Sie verstehen, und dann fangen Sie an.
Fangen Sie einfach an.
Es ging im Las Vegas Convention Center außerdem um praktische Dinge wie die Verbesserung der YouTube-Präsenz, effektive Facebook-Werbung, Vertriebsoptimierung bei Verkäufen über Amazon, die Betreuung von Kunden und Fans via Twitter und die damals noch relativ neue Notwendigkeit, den digitalen Auftritt an die Darstellung auf mobilen Geräten anzupassen. Ich hörte mir alles mit dem Gefühl an, dass ich weit mehr lernen musste, als ich erwartet hatte.
Dennoch konnte ich einige der Dinge, die ich erfahren hatte, gleich umsetzen. So rief ich bei einem Buchverlag an, den ich in Finanzangelegenheiten betreue, und besprach mit dem Herausgeber die Möglichkeiten, den Umsatz über Amazon, dem größten Buchhändler der Welt, durch den richtigen Umgang mit Rezensionen und die richtige Gestaltung von Kurzbeschreibungen um 20 bis 30 Prozent zu steigern. Immerhin ist Amazon einer der größten Vertriebskanäle des Verlages.
Außerdem drehte ich gemeinsam mit Paul die ersten Videos für meinen digitalen Auftritt. Ich fasste darin zusammen, was ich auf der Konferenz gelernt hatte: dass Instagram an Bedeutung gewinnt und Snapchat für die Geschäftswelt wichtiger wird. Ich bekam einige Likes und verzeichnete mehrere Interaktionen. Das funktioniert, dachte ich.
Die grundlegende Botschaft der Konferenz in Las Vegas glich jener des Anthony-Robbins-Seminars in Palm Beach. Wer sich rasch zum Teil der digitalen Welt macht, gewinnt, wer es nicht tut, verliert.
Doch erst jetzt begriff ich allmählich, welche weitreichenden Folgen die digitale Revolution haben würde. Ich verstand, dass sie erst am Anfang stand und dass sie die Grenze zwischen Reich und Arm neu ziehen würde. Jene, die sich mit ihren Anforderungen auseinandersetzten und ihre Chancen nutzten, würden sich als Angestellte in Gold aufwiegen lassen können und als Unternehmer ihre Umsätze vervielfachen. Diejenigen, die auf die Vergangenheit vertrauten und auf ihre Fortsetzung, zumindest in ihrem Bereich, setzten, würden in Zukunft als Angestellte kaum noch Verwendung finden. Als Unternehmer würden sie sich mit dem begnügen müssen, was die anderen übrig ließen.
Ich erschrak nachträglich darüber, wie spät ich den Handlungsbedarf bemerkt hatte, und ich war umgeben von Menschen, die ihn nicht erkannten.
Viele meiner Freunde und Bekannten waren auf Facebook und Twitter aktiv, vielleicht sogar aktiver, als ich es bisher selbst gewesen war, aber kaum einer verfolgte dabei eine durchdachte Strategie. Die wenigsten schienen zu begreifen, dass ihr Einkommen und ihre Lebensqualität in Zukunft davon abhängen würden, wie effektiv sie sich in der digitalen Welt bewegten und welche Reichweite sie mit ihrem digitalen Auftritt erzielten.
Das bedeutete, dass es viele Verlierer geben würde. In weiten Teilen der westlichen Welt vielleicht sogar mehr, als ihre Gesellschaften verkraften konnten. Ein Sturm kommt auf, dachte ich, und er wird die komplette Mittelschicht hinwegfegen.
Sie ahnt vielleicht die Gefahr, kann sich aber nicht vorstellen, dass es die Welt so, wie sie immer war, bald nicht mehr geben wird. Aus Angst verkriecht sich die Mittelschicht in ihren vermeintlich sicheren Angestelltenjobs, ahnungslos über die kommenden Veränderungen, die weitreichender sind als die im Gefolge der industriellen Revolution. Dann lesen sie ihre Morgenzeitung, in der wieder etwas über selbstfahrende Autos steht und denken:
Wird schon alles nicht so schlimm.
Oder schätzte ich da etwas falsch ein?
MEETINGS MIT BURGERN
Mit dieser Einsicht wuchs der Handlungsdruck, den ich mir selbst auferlegte. Deshalb flog ich nach der Konferenz in Las Vegas nach San Francisco, um einige Termine wahrzunehmen. Sie sollten mir helfen, eine für mich fundamentale Frage zu beantworten: Was genau konnte und musste ich tun, um zu den Gewinnern der digitalen Revolution zu gehören?
Als erstes traf ich einen 22 Jahre alten Start-up-Unternehmer, den ich über eine Networking-Plattform kontaktiert hatte. »Ich bin europäischer Unternehmer und Investor«, hatte ich ihm geschrieben. »Hast du Zeit für ein kurzes Treffen?«
»Kein Problem«, hatte er geantwortet.
Wir trafen uns, seinem Wunsch gemäß, in Pacific Heights in einem der namenlosen Fast-Food-Restaurants, von denen es Tausende in den USA gibt. Vermutlich hatte er Pacific Heights deshalb als Treffpunkt gewählt, weil er hier lebt, dachte ich. Es war ein Stadtviertel der so genannten young urban professionals, mit Panoramaaussicht auf die Golden Gate Bridge, die San Francisco Bay, auf Alcatraz und das Presidio, und er lebte hier nicht, weil es ihm seine Eltern ermöglichten, wie ich aus seinem Lebenslauf wusste. Er kam zu unserem Treffen in Flip-Flops und einer zu weiten Trainingshose. Der Eindruck, den er äußerlich machte, war ihm offensichtlich egal. Wie konnte dieser Junge so erfolgreich sein? Er hatte bisher drei Unternehmen gegründet und eines davon für mehrere Millionen Dollar verkauft. Selbst wenn ich das Gefühl hatte, mit einem halben Kind zu sprechen, war es angebracht, ihm sehr genau zuzuhören.
Ich fragte ihn, ob er etwas über die digitale Wirtschaft herausgefunden habe, das er für besonders wichtig hielt. Er dachte nach, während er mit einem Strohhalm an seiner Cola nuckelte. Dann sagte er einen Satz, der sich bei der Konferenz in Las Vegas ebenfalls gut auf der großen Wand gemacht hätte.
Dein Projekt muss einen tieferen Sinn haben.
Du musst einen Wert stiften. Die Leute mit irgendwelchem Bullshit dranzukriegen, funktioniert nicht.
»Und sonst?«, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern. »Dann kommt nur noch eine Sache dazu«, antwortete er. Dabei schob er sein Tablett weg. Besprechungen, die länger als eine Fast-Food-Mahlzeit dauerten, schien er für überflüssig zu halten. Er stützte die Arme auf den Tisch, um sich zu erheben, und sah mir dabei in die Augen. Sein nächster Satz war ebenfalls einer von Allgemeingültigkeit in der digitalen Wirtschaft.
Dein Projekt muss einfach zu verstehen und einfach zu bedienen sein.
Danach entschuldigte er sich. »Ich habe um zehn eine Telefonkonferenz mit dem Finanzvorstand von Emirates Airlines«, sagte er.
Etwas verdutzt blieb ich in der fettgeschwängerten Luft des Restaurants zurück. Nicht schlecht, dachte ich. Ich hatte meine Studien in Harvard mit Magna Cum Laude abgeschlossen, aber das half mir jetzt nichts. Ich würde von jetzt an von Menschen lernen müssen, die