will, muss sich mit niemandem um die Operationen streiten und kriegt dabei Fälle zu sehen, die er in Europa in diesen Ausprägungen niemals vor das Mikroskop bekäme. Ein Paradies.
Die Bilder von den Fehlbildungen und Tumoren zeigt er dann bei internationalen Kongressen an der Riesenleinwand. Darum geht es ja, um die geilen Operationen, um die Ausbeute. Die vietnamesischen Patienten sind ihm ja in Wirklichkeit ebenso scheißegal, wie die in Europa. Und dann zeigt er noch haufenweise Bilder von sich selbst, dem kleinen, widerlichen, neurochirurgischen Fettsack, neben den dankbaren Kindern und Eltern. Ich könnte heute noch kotzen, wenn ich nur daran denke.
Alle anderen Neurochirurgen sieht er als Konkurrenten, denen er im Prinzip Operationen nur dann zugesteht, wenn er persönlich gerade nicht Dienst oder keine Zeit hat, weil er einen wichtigeren und prestigeträchtigeren Fall operiert.
Die Gedankengänge dabei sind simpel. Arzt ist schon mal super, denkt er sich, und inskribiert nach dem Schulabschluss Medizin. Unter den ärztlichen Berufen findet er Hirnchirurg richtig geil, weil das am meisten Prestige bringt, also entscheidet er sich dafür. Mit welcher Lebensqualität das einhergeht und welche Kollegen er kriegt, ist ihm egal. Das Defizit in seiner Persönlichkeit ist groß genug, um das alles in Kauf zu nehmen.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Doch die meisten Neurochirurgen sind Würstchen. Sie sind Männer, die schon als Kinder am Spielplatz die Verlierer waren, die grauen Mäuse, die immer Außenseiter sind. Eines Tages denken die dann, na wartet, euch werde ich es zeigen, irgendwann mache ich einen tollen Job und dann ändert sich alles.
Es ist schon komisch, dass die Neurochirurgen, die ich kenne, fast alle ziemlich klein sind. Klein und eigentlich hässlich. Traummänner gibt es auf der Neurochirurgie keine, die sind dort unmöglich zu finden. Ich glaube, ich hatte tatsächlich kaum richtig gut aussehende Kollegen. Weit entfernt von den Typen aus „Emergency Room” oder „Gray’s Anatomy”. Kein Wunder, die hätten die Neurochirurgie auch nicht nötig. Je kleiner der Penis desto größer und komplizierter muss der Tumor sein, den ein Neurochirurg rausschneiden will. Der Satz ist zwar alt, aber wohl wahr.
Neurochirurgen stehen auf Maturajubiläen. Die sind ihnen so wichtig, dass sie dafür sogar auf eine Prestige-Operation verzichten. Denn sobald alle davon reden, was denn so aus einem geworden ist, können sie endlich einmal richtig auftrumpfen.
Dass sie jetzt Neurochirurg sind, macht es für sie wieder gut, dass sie schon in der Sandkiste immer nur von den anderen in die Fresse gekriegt und in der Schule nie einen freiwilligen Sitznachbarn gefunden haben, von den Mädchen geschmäht und beim Fußball immer als letzter in die Mannschaft gewählt wurden. Das ist ja das Gemeine: Aus den Armen werden die Schrecklichen. Narzissten entstehen oft aus Mangel an Wertschätzung, Liebe und Bestätigung in der Kindheit, und sie merken es nicht, weil sie keinen Hang zur Selbstreflexion haben.
Es geht immer um ihr Ego, angefangen bei der Morgenbesprechung. Die beginnt mit dem Gezänk, wer wo am Besprechungstisch sitzt, am Kopfende mit direktem Blick auf den Monitor mit den Operationsbildern vom Vortag, oder auf der schmalen Bank zwischen den Zimmerpflanzen und dem Büroschrank, von der schon mal ein übermüdeter Kollege im Sekundenschlaf abstürzt. Es gab Ärzte, die sich gar nicht an den Tisch setzen wollten, entweder, um nicht mit solchen Leuten an einem Tisch zu sitzen, oder aus Angst, durch Beschimpfungen von jemandem vertrieben zu werden, dessen Platz sie zufällig besetzt hätten. Dass Neurochirurgen nicht hinpinkeln, um „ihren” Sessel zu markieren, grenzt schon an ein Wunder.
Ihr Ego schwächt allerdings das System: Eine Revolution in der Neurochirurgie war zum Beispiel das Medikament Gliolan. Wenn Patienten es vor der Anästhesie einnehmen, lässt es den Tumor während der Operation bei entsprechenden Lichtverhältnissen rot leuchten. Die Operateure erkennen dadurch noch genauer die Grenzen des Tumors und können so leichter gesundes von krankem Gewebe unterscheiden.
So gab es einen Lastwagen voll Literatur darüber, dass die Ergebnisse bei der Operation von Gehirntumoren unter Einsatz dieses Medikaments viel besser werden. Doch bei einer Tumoroperation mit Einsatz dieses Medikamentes muss ein Arzt zugegen sein, der die entsprechende Ausbildung zur Anwendung von Gliolan gemacht hat. Einer meiner Oberärzte hatte sie nicht absolviert und verweigerte den Einsatz des Medikamentes lieber, als Ärzten Zutritt zum Operationssaal zu gewähren, die ihm etwas voraus hatten. „Jeder Trottel sieht doch, wo die Grenzen eines Tumors sind“, meinte er lapidar. Dabei war gerade er einer von den neurochirurgischen Pfuschern, die mit ihrer bewährten „Staubsauger”-Technik immer viel zu viel gesundes Gewebe wegsaugten und dabei jede Menge neurologischer Defizite verursachten. Auch in seinem Fall hätte die Neurochirurgie dazu dienen sollen, mit den erbärmlichen Füßchen in die viel zu großen Fußstapfen seines Vaters zu treten.
Doch die eigenen Fehler nehmen die Neurochirurgen nicht wahr. Ihrer Natur folgend ergötzen sie sich lieber an den Fehlern der anderen. Sichtbar wird so ein Fehler etwa, wenn während einer Operation Blut spritzt. Neurochirurgen ist ihre Zeit nie zu schade, sich den Videomitschnitt von der schlecht verlaufenen Operation eines Kollegen zu holen und sich die Bilder genüsslich anzusehen. Dabei rühren sie in ihrem Kaffee und murmeln vor sich hin. „Mein Gott, was für eine Sauerei.“ Oder: „Habt Ihr das gesehen? Da ging ja nun wirklich alles daneben.“
Einer, der beruflich in anderen Gehirnen herumstochert, ist sich irgendwann nicht mehr ganz sicher, was in seinem eigenen abgeht. Deshalb haben Neurochirurgen eine Tendenz zur Hypochondrie. Ich hatte einen Kollegen, der sich alle sechs Wochen eine Magnetresonanz machen ließ. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Alle sechs Wochen ein Schädel-MR. Einmal meinte er, er hätte ein Aneurysma, also eine Blutgefäßerweiterung. Wenig später vermutete er einen Tumor in seinem Schädel und dann wieder eine Gefäßmissbildung. Wir waren uns alle einig. Das würde bei ihm so lange weitergehen, bis er irgendwann wirklich etwas hatte.
Eine Kleinigkeit, die jeder einem Neurochirurgen gerne verzeiht. Schließlich leidet er nur selbst darunter. Schwerwiegender für das System ist es da schon, dass sie es durch ihren Stil bei der Nachbesetzung frei werdender Jobs schwächen. Grundprinzip: Flaschen sind ihnen immer willkommen, besonders dann, wenn sie mit deren Bestellung jemandem einen Gefallen tun, der ihnen später auch mal helfen kann. Gute Leute hingegen rennen sich den Kopf an. Die Neurochirurgen können nicht mit denen, die gefühlt die sind, die ihnen in der Sandkiste eine reingehauen, beim Fußball die Tore geschossen und die Mädchen gekriegt haben. Sie brauchen keine Menschen, die lernen und sich verbessern wollen oder die schon richtig gut sind, sie brauchen artige Sklaven, die über einen Piepser für sie jederzeit für die niedrigsten Dienste abrufbar sind.
„Erzählen Sie uns für den Anfang bitte einmal, warum Sie Neurochirurgin werden wollen“, sagte einer meiner Chefs einmal bei einem Hearing, bei dem ich ebenfalls zugegen war.
Die Kandidatin wirkte kompetent und engagiert. Wäre eine neurochirurgische Abteilung ein eigentümergeführter Betrieb, in dem es um Leistung und Servicequalität für Kunden, in unserem Fall für Patienten, geht, hätte sie den Job gekriegt. Selbstbewusst und sehr gut vorbereitet hatte sie mit dem Computer unter dem Arm den Raum betreten. Sie wollte Assistenzärztin werden und würde bestimmt eine gute abgeben.
Bei einem Neurochirurgen, also auch bei meinem damaligen Chef, kommt so etwas gar nicht gut an. Sie hören nur die eine Botschaft, vor der sie am allermeisten Angst haben: „Ich werde gut sein, vielleicht bald mal besser als du.”
Mein Chef entschied sich für die Strategie, ihr den Job, den sie so gern wollte, madig zu machen. Ehe sie zu Wort kam, machte er ihr durch die Blume klar, dass sie damit rechnen müsse, als bessere Krankenschwester eingesetzt zu werden. „Sie wissen ja, dass Sie bei uns nur einen ganz kleinen Bereich der Neurochirurgie kennenlernen werden“, sagte er.
Derlei greift aber bei potenziellen Leistungsträgern nicht. Die gehen davon aus, dass sie alles über Leistung so ändern können, dass es für sie passt.
„Das macht nichts“, sagte sie.
„Sie wissen auch, dass die Gehälter der Assistenzärzte gerade empfindlich gekürzt wurden.“
Auch kein guter Versuch. Welchem künftigen Leistungsträger geht es schon um Geld? Das Geld, so etwas wissen diese Menschen, kommt irgendwann von