Christian Schwab

Oh mein Gott!


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      Christian Schwab:

      Oh mein Gott! 5 Weltreligionen in 5 Monaten: ein Selbstversuch

      Alle Rechte vorbehalten

      © edition a, Wien

       www.edition-a.at

      Lektorat: Maximilian Hauptmann

      Cover: Jaehee Lee

      ISBN 978-3-99001-256-7

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

      Brockhaus Commission, Kornwestheim

       www.brocom.de

      Für Niko, meinen Papa.

      Nicht mehr da, wo du warst, aber überall dort, wo ich bin.

      (nach Victor Hugo)

Prolog

      24. Dezember 2016, Heiliger Abend

      »Ihr Inderlein kommet«

       Meine Erleuchtung in einer katholischen Kirche

      Ich sehe einen kleinen Christbaum, vielleicht einen Meter hoch, schlicht und von meiner Mutter geschmackvoll geschmückt, mit roten Kerzen und roten Kugeln. Leider steht dieser Baum nicht bei ihr im Wohnzimmer. Er steht auf dem Friedhof. Er ist für meinen Papa.

      Nikolaus Schwab 24. Juni 1944 – 18. November 2014. Das steht auf der Steintafel hinter dem Christbaum, und ich kann diese eingravierte Inschrift noch so oft lesen – dass mein Vater vor etwas mehr als zwei Jahren plötzlich verstorben ist, will und kann ich bis heute nicht glauben. Herzinfarkt im Auto, bei der Heimfahrt von einem gemütlichen Hallenfußballspiel mit Freunden. Er hatte nie schwere gesundheitliche Probleme gehabt. Allerdings war mein Papa seit seinem elften Lebensjahr zuckerkrank, deswegen hatte ich stets die Angst, dass er nicht an der Zuckerkrankheit selbst, sondern an den jahrelangen körperlichen Abnützungserscheinungen sterben würde. So ist es dann wohl auch gekommen.

      Aus der Kirche neben dem Grab ist eine Ziehharmonika zu hören, sicherlich ein Weihnachtslied, ich kann aber nicht heraushören, um welches es sich handelt. Es ist knapp nach 16 Uhr, die Kinderchristmette dürfte soeben begonnen haben. Mein Vater darf noch nicht hier auf diesem Friedhof liegen, nein, er müsste jetzt in der Kirche sitzen, um dort den Zeremonienmeister zu geben, wie er es so viele Jahre getan hat. Obwohl er einen gesunden Abstand zur katholischen Kirche hatte, war mein Papa stark in der kirchlichen Gemeinschaft von St. Jakob verankert. Er hielt Lesungen bei Messen, aber vor allem wurde er für seine einfühlsamen, sehr persönlichen Trauerreden bei Begräbnissen geschätzt. Er hat sie auch für Menschen gehalten, die aus der katholischen Kirche ausgetreten sind. Ebenso hat er als Theaterliebhaber für die Dramaturgie bei Anlässen wie etwa dieser Kinderchristmette gesorgt.

      Und deshalb stelle ich mir die Frage: Warum musste er mit siebzig Jahren gehen? In dieser guten körperlichen und geistigen Verfassung? Ist Gott so brutal? Bringt es nichts, sich in der Kirche zu engagieren? Aber wenn ich weiterdenke, dann sehe ich das vielleicht falsch – mein Vater durfte trotz seines Diabetes I siebzig Jahre alt werden. Nicht nur einmal in seinem Leben hatte mein Papa Glück. In seiner Jugend zum Beispiel hat er die ein oder andere nicht ungefährliche medizinische Untersuchung, später so manchen Hypo (Kurzform von Hypoglykämie – starke Unterzuckerung) gut überstanden. Ich habe keine Antworten auf diese Fragen, und selbst wenn ich welche hätte, der Schmerz würde nicht vergehen, Wut und Trauer würden nicht kleiner werden.

      Dort, wo das Wissen aufhört, fängt der Glaube an, sagt man so schön. Ich zünde die Kerze an, die ich für meinen Papa mitgebracht habe, setze sie behutsam auf sein Grab und stelle mir an diesem Heiligen Abend selbst die Gretchen-Frage: Wie hast du es mit der Religion?

      Nachdem ich keine schnelle Antwort finde, kehre ich wieder in Gedanken zurück zu meinem Papa, beginne – wie immer an seinem Grab – ein innerliches Zwiegespräch, wische mir die eine oder andere Träne aus den Augen, verabschiede mich und beschließe dann, doch noch einen Sprung in die Kirche zur Kinderchristmette zu machen. Auch letztes Jahr habe ich sie besucht, mit meiner Mutter, meinem Bruder, seiner Frau und ihren beiden Zwillingskindern Anna und David, damals knapp ein Jahr alt. Die Kirche war voll, es hatte den Anschein, als wollte sich niemand aus den umliegenden Häusern am Fuße der gelben St. Jakober Kirche diese Messe vor der Bescherung am Heiligen Abend entgehen lassen. Waren wirklich alle da? Nein, einer kam nicht – der Pfarrer selbst. 2015 ist in die Kirchengeschichte von St. Jakob eingegangen als das Jahr, in dem kein Pfarrer am Heiligen Abend in die Kirche gekommen ist.

      Wie immer in kirchlichen Angelegenheiten gibt es in solchen Fällen einen offiziellen und einen inoffiziellen Grund. Der offizielle war: organisatorische Gründe. Der inoffizielle war, zumindest machte dieses Gerücht Tage später die Runde, dass der Pfarrer Weihnachten schon etwas vorgefeiert hatte, um es vorsichtig zu formulieren.

      Ich habe damals zu den Leuten gesagt, seht es positiv, überall sonst sieht man in der Kirche nur noch den Pfarrer, aber keine Leute mehr. In St. Jakob ist es genau umgekehrt.

      Meine Familie hat daher beschlossen, heuer gleich zuhause zu bleiben. Sie waren scheinbar die Einzigen, denn als ich die schwere Eisentüre zur Kirche öffne, kann ich gerade mal einen Schritt machen, mehr Platz ist nicht. Ich blicke zum Altar. Komisch, Pfarrer ist wieder keiner zu sehen, obwohl die Messe schon hätte beginnen müssen.

      Ich frage den Herren neben mir: »Wieder kein Pfarrer hier?«

      »Scheint so, die Kinder spielen schon zwanzig Minuten Lieder.«

      Doch unser Dialog wird von einem Gemurmel vor uns unterbrochen, ich höre die Worte: »Ich glaube, jetzt tut sich was.«

      Tatsächlich, die Glocken werden geläutet, die Ministranten kommen aus der Sakristei, dahinter der Pfarrer, doch es ist nicht der Pfarrer, den ich erwartet hatte – sondern ein Inder im Talar. Musste ein Hindu plötzlich einspringen, weil unser katholischer Diener Gottes wieder irgendwo mit organisatorischen Problemen zu kämpfen hat?

      Die Sache hat sich rasch aufgeklärt. Der neue Pfarrer ist einfach aus Indien. Ja, anscheinend gibt es auch dort Leute, die dem katholischen Glauben angehören. Wenn man, so wie ich, wirklich nur zu den heiligen Zeiten in der Kirche vorbeischaut und noch dazu mittlerweile knappe 300 Kilometer weit entfernt vom Heimatort lebt, kriegt man solche Änderungen eben nicht mit.

      »Zunächst möchte ich sagen – tut mir leid.« Der indische Pfarrer beginnt mit diesen Worten die Messe. Seine freundliche Ausstrahlung nimmt gleich die ganze Kirche ein, dennoch, ein katholischer Pfarrer aus Indien ist für mich ein genauso ungewöhnliches Bild wie der zweite Platz für Bayern München in der Deutschen Bundesliga.

      Nach den Begrüßungsworten des Pfarrers quält ein kleines Mädchen ihre Geige, ich bilde mir ein, dass ich ein »Alle Jahre wieder« erkennen kann. Ich stelle mir meinen Papa neben mir vor und wie wir beide schmunzeln müssen.

      Meine Gedanken schweifen zurück in meine Kindheit, als ich in St. Jakob am Altar neben dem Pfarrer gestanden, gesessen und gekniet habe. Damals war ich Ministrant. In der Schule bekam ich von Pater Wild Religionsunterricht. Der Pater stellte sich mit den Worten vor: »Ich heiße Wild, bin nicht wild, kann aber wild werden.« Das war er eigentlich nie, außer ich habe bei der Wandlung zu wenig Wein und zu viel Wasser in den Kelch geschüttet. Dann wurde mir schon das eine oder andere Mal ein »Nicht so viel Wasser!« in der Kirche zugeflüstert. Ebenso trank Pater Wild bei Hausbesuchen in seiner Gemeinde gerne den einen oder anderen Schnaps, aber nie so, dass er dadurch organisatorische Schwierigkeiten bekommen hätte.

      Ministrieren empfand ich als schöne Aufgabe, neben den normalen Messen gab es auch viele Begräbnisse und Hochzeiten, bei denen ich als Ministrant dabei war. Ich denke, auf eine Hochzeit sind ungefähr zehn Begräbnisse gekommen, so gab es für mich schon sehr früh in meinem Leben eine häufige Auseinandersetzung mit dem Tod. Allerdings hatte ich damals noch die kindlich