Roland Lange

Harzhunde


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      Geschichten erzählt man nicht.

      Geschichten erlebt man.

      (Chakuza)

      Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Die Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über www.dnb.de

      © 2021 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

      www.niemeyer-buch.de

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlaggestaltung: C. Riethmüller

      Der Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.com

      EPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbH

      eISBN 978-3-8271-8409-2

      Roland Lange

      Harzhunde

      Die Bestie

      Du spürst ihn im Nacken

      den Atem, den Blick …

      Und war das ein Knacken?

      Es gibt kein Zurück!

      Du kauerst im Nebel,

      am Ufer der Seen,

      hörst Zähne wie Säbel,

      doch niemand dein Fleh’n.

      Fast fühlst du die Krallen

      im Fleisch deiner Haut,

      doch Schreie verhallen

      so ganz ohne Laut.

      Jäh ist die Erkenntnis

      im spiegelnden Nass,

      die Bestie, die zubiss,

      sie tötet aus Spaß.

      Sag denen, die bald um dich trauern und weinen

      nicht Wolf oder Hund waren der Grund.

      Dich mordete mit gierigem Schlund

      ein grässliches Ungeheuer auf zwei Beinen.

      Nané Lénard

      1. Kapitel

      Die Nacht hatte etwas Bedrohliches.

      Nie zuvor war er sich dessen so bewusst gewesen wie in diesem Moment. Fliehende Schatten im Wechselspiel zwischen Finsternis und fahler Helligkeit, wenn der Mond für einen kurzen Augenblick durch die Wolkendecke brach. Mysteriöse Geräusche – Zischen, Jammern, Krächzen und Ächzen. Dazwischen immer wieder das Knistern und Knacken in seinem Rücken, nah und kurz darauf weit entfernt. Tiere? Oder waren es die Dämonen der Finsternis? Seine Dämonen?

      Fast vier Stunden hockte Daniel Kranz schon hier oben auf dem Hochsitz. Angespannt lauschend und in die Dunkelheit starrend, nachdem das letzte Büchsenlicht der hereinbrechenden Nacht gewichen war. Das Gewehr griffbereit an die Bretterwand des kleinen Verschlags gelehnt. Hinter ihm der Wald, vor ihm die sanften Geländewellen mit den abgeernteten Getreidefeldern und dem breiten Wiesenstreifen dazwischen. Verschwimmende Konturen. Schemenhaft. Nur zu erahnen.

      Es war nach der bestandenen Jägerprüfung seine erste Nacht allein auf dem Hochsitz. Allein in einem Revier, das er noch gar nicht richtig kannte. Er hatte es dank der erfolgreichen Intervention seines Schwiegervaters von der Jagdgenossenschaft gepachtet – pachten müssen. Als eine Art Hochzeitsgeschenk an ihn war es gedacht gewesen. Julia, seine Frau, hatte hingegen von ihrem Vater die Leitung des Familienbetriebs übertragen bekommen. Wüstefeld-Baustoffe – führend in der Region. Ebenfalls ein Geschenk. Sie war studierte Betriebswirtin und schien deshalb für Herbert Wüstefeld ausreichend qualifiziert. Es sei Zeit, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen und die Verantwortung an die Jugend abzutreten, hatte er generös verkündet. Allerdings machte der Alte nichts ohne Hintergedanken. Bei ihm gab es nicht mal das Schwarze unter dem Fingernagel umsonst. Von seinem Schwiegersohn Daniel, dem Architekten, erwartete er, dass der dem Familienbetrieb den Weg ebnete, wenn es um die Materiallieferung für zukünftige Bauprojekte ging. Außerdem wollte er regelmäßig mit frischem Wildbret versorgt werden. Diesen speziellen Wunsch hatte der Alte im Verlauf seiner Ansprache auf der Hochzeitsfeier laut lachend geäußert. Ein Spaß auf Kosten seines Schwiegersohnes, so hatten es die Gäste verstanden. Aber wer ihn nur ein bisschen kannte, der wusste, dass es ihm ernst damit gewesen war.

      Daniel Kranz hatte nie Jäger werden und auch keine Jagd pachten wollen, um Viecher abzuknallen. Nicht, dass ihm die Tiere leidtaten. Er machte sich einfach nichts daraus. Aber ohne Jägerprüfung keine Heirat. Das war ein Teil des Arrangements gewesen.

      Heute hatte der Alte ein Reh auf seine Wunschliste gesetzt. Es stand für ihn außer Frage, dass sein Schwiegersohn die Pirsch erfolgreich beendete und ihm die gewünschte Beute mit nach Hause brachte. Dabei interessier­te es ihn nicht die Bohne, dass das Jagen in der Dunkelheit ebenso verboten war wie der Einsatz von Nachtsichtzielfernrohren. Auf solche idiotischen Regeln pfiff er. Und das hatte er Daniel deutlich zu verstehen gegeben. Er erwartete von ihm, dass er es mit den Jagdgesetzen gegebenenfalls auch nicht zu genau nahm.

      In den zurückliegenden Stunden hatte sich Daniel nur ein einziges Tier gezeigt. Bei gerade noch genügend Licht. Als er es hatte aufs Korn nehmen wollen, musste es von ihm Wind bekommen haben und war so schnell verschwunden, wie es vor seiner Büchse aufgetaucht war. Seitdem – nichts!

      Eine halbe Stunde noch, höchstens, beschloss Daniel. Dann würde er den Heimweg antreten. Ohne Reh, falls nicht ein Wunder geschah. Schon jetzt spürte er den abfälligen Blick seines Schwiegervaters auf dem Gesicht brennen, und er vernahm dessen spöttische Worte. Sicher bereute der Alte längst, in die Hochzeit seiner Tochter mit ihm, dem Versager, eingewilligt zu haben.

      Er gähnte. Es war nicht leicht, die Augen offen zu halten, wenn man hier oben auf dem Hochsitz keine Gesellschaft hatte. Daran änderten auch der schwarze Kaffee aus der Thermoskanne und der gelegentliche Schluck aus dem Flachmann nichts. Ohne Jagdpartner und ohne ein paar geflüsterte Worte hin und wieder ließ seine Konzentration rapide nach, und er glitt von einer Minute zur anderen tiefer in eine nächtliche Scheinwelt hinein. Es fiel ihm zunehmend schwerer, Realität und Einbildung auseinanderzuhalten.

      Ein Rascheln holte ihn aus seinem Dämmerzustand. Er kniff die Augen zusammen, starrte hin zu dem Ackerstreifen, der nur wenige Meter rechts von ihm an einer Wand wild wuchernder Gräser und dem dahinter aufragenden Wald endete. Irgendetwas glaubte er dort zu erkennen. Doch noch ein Reh? Oder zwei? Er war sich nicht sicher. Hastig riss er das Gewehr an die Wange, schwenkte es, suchte das Gelände ab. Nichts. Er starrte durch das Zielfernrohr, versuchte, es schärfer zu stellen. Es gelang ihm nicht, die dichte Vegetation zu durchdringen. Nur flirrende, leicht verschwommene Baumkonturen.

      Er setzte das Gewehr wieder ab. Damit war seine letzte Chance auf eine erfolgreiche Jagd vermutlich dahin. Ernüchtert sackte er in sich zusammen, starrte über den Rand der hölzernen Brüstung. Seine Sinne verloren sich allmählich wieder in dem diffusen Universum zwischen Wachen und Schlaf, als er durch Rufe hochgeschreckt wurde. Sekunden danach fielen Schüsse. Er richtete sich ruckartig auf, seine Haltung versteifte sich. Irritiert lauschte er ins Dunkel. Hatte da jemand geschrien und geschossen? Weiter oben im Wald? Oder hatte er sich nur für einen Moment in einem kurzen, aber intensiven Traum verloren?

      Angespannt versuchte er, weitere Geräusche aufzufangen. Eine Weile blieb alles ruhig. Doch dann ein Knacken in unmittelbarer Nähe. Das Brechen dünner, morscher Äste. Und ... ein schwaches Hecheln. Er schüttelte energisch seinen Kopf, um die Benommenheit loszuwerden, die sich wieder einzuschleichen begann. Was trieb sich da unten herum? Ein Tier auf der Flucht? Aber was für ein Tier? Wie versteinert saß er auf seiner Bank, unterdrückte minutenlang jede Bewegung, traute sich nicht einmal, durchzuatmen.

      Zögernd löste sich seine Anspannung wieder. Er blickte auf seine Armbanduhr. Es reichte. Er hatte genug.