Roland Lange

Harzhunde


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es ist kein allgemeines Interesse ...“, druckste er, „ich ... also, ich habe da eine Wunde am Bein“, er deutete auf seine verletzte Wade, „eine Bisswunde, um genau zu sein. Und dazu hätte ich gern mal deine Meinung gehört.“

      „Spontaner Besuch, aha.“ Maria grinste. „Hör mal, mein Lieber, ich bin Biologin, keine Ärztin“, sagte sie. „Dass du nicht rund läufst, war ja kaum zu übersehen. Arbeitsstress! Warum hast du nicht gleich gesagt, was los ist?“

      „Du hast dich so gefreut, mich wiederzusehen, da wollte ich nicht mit der Tür ins Haus fallen.“

      „Ach, so ein Quatsch! Na, was soll’s. Aber wenn du medizinische Hilfe von mir erwartest, muss ich dich enttäuschen.“

      „Du sollst mir keinen ärztlichen Rat geben“, stellte Daniel eilig klar. „Ich brauche deine Meinung als Wolfsexpertin.“

      „Was hat denn deine Verletzung mit Wölfen zu tun?“, wunderte sie sich und schien gleichzeitig zu begreifen. „Willst du mir etwa sagen, dich hätte ein ... ein Wolf angegriffen?“ Sie schüttelte vehement den Kopf. „Auf gar keinen Fall! So was tun Wölfe nicht! Wenn denen Menschen zu nahe kommen, ziehen sie den Schwanz ein und suchen das Weite.“

      „Was ist mit Tollwut?“, fragte Daniel besorgt.

      „Tollwut? Ach was!“, widersprach Maria entschieden. „Ausgeschlossen! Im Harz laufen keine tollwütigen Wölfe herum. Davon wüsste ich. Aber jetzt erzähl doch erst mal. Was genau ist dir passiert? Und wo?“

      Zehn Minuten später hatte Daniel der alten Freundin sein nächtliches Erlebnis in allen Einzelheiten geschildert. Maria saß in sich gekehrt da, den Kopf auf ihre Hand gestützt, und starrte vor sich hin.

      „Du glaubst mir hoffentlich?“, fragte Daniel bange. „Du denkst doch nicht, dass ich unter Wahnvorstellungen leide oder?“

      „Äh ... was?“ Maria schreckte aus ihren Gedanken hoch. „Nein, nein. Natürlich glaube ich dir.“

      „Und was hältst du von der Sache? Ein Wolf? Wäre das möglich?“

      „Hm ...“ Sie hob den Kopf, sah angestrengt hinüber zu den Bäumen hinter der Bruchsteinmauer, als suche sie dort etwas. Dann wandte sie sich wieder Daniel zu. „Nein, kein Wolf“, sagte sie entschieden. „Das würde allen Erfahrungen widersprechen. Und so groß, wie dir das Tier vorgekommen ist, war es sicher nicht. Das kann in so einer Schocksituation schon mal täuschen.“

      „Aber was dann?“, fragte Daniel gereizt. Schocksituation! Maria schien ihn doch nicht so ernst zu nehmen, wie er gehofft hatte. „Denkst du, mich hätte ein Dackel angefallen?“

      „Quatsch!“, schnappte sie. „Aber ein Hund könnte es durchaus gewesen sein. Ein sehr großer Hund. Du sagst, er stand etwas über dir? An einem kleinen Hang?“

      „Richtig. Zwei, drei Meter hoch. Ungefähr. Vielleicht auch mehr ... ach, ich weiß nicht!“

      „Kein Wunder, dass er dir riesig vorgekommen ist. Nachts, im Zwielicht und aus der Perspektive.“

      „Und wo soll so ein Vieh auf einmal hergekommen sein?“

      „Das wüsste ich auch gern ...“ Maria lehnte sich zurück, starrte nachdenklich auf ihre Bierflasche. „Womöglich ausgerissen. Und jetzt streift er wildernd durch die Gegend. Was dann vielleicht auch die Schafrisse erklärt.“ Als sie das sagte, dachte sie gleichzeitig an eine andere Sache, auf die sie sich bisher keinen Reim hatte machen können. Sie legte Daniel ihre Hand auf den Oberschenkel. „Weißt du was? Ich werde mich mal ein bisschen umhören. Sollte ich was in Erfahrung bringen, gebe ich dir Bescheid. Einverstanden?“

      Daniel nickte. Zufrieden war er nicht mit der Antwort. Andererseits, was hatte er denn erwartet? Bei Maria Hübner das riesenhafte Vieh zu finden, das ihn angegriffen hatte? Mit seinem Blut an den Reißzähnen? Als eindeutigen Beweis dafür, dass er nicht Opfer seiner ausufernden Fantasie geworden war? Es konnte doch sein, dass in seinem Revier wildernde Hunde unterwegs waren. Er erinnerte sich wieder an die Schatten, die er wahrgenommen hatte, oben auf dem Hochsitz. Er hatte sie als Einbildung abgetan, seinem Zustand zugeschrieben: völlig übermüdet, kurz vor dem Einschlafen. Dazu die ganzen Geräusche – irritierend, unheimlich, furchteinflößend. Etwa doch keine Hirngespinste? Er wusste selbst nicht mehr, was er glauben sollte. Am liebsten hätte er sich mit aller Wucht gegen den Kopf geschlagen, um das Durcheinander unter seiner Schädeldecke wieder zurechtzurücken.

      „Kennst du den Ponytale Saloon?“, unterbrach Maria seine Grübelei.

      „Ponytale Saloon? Ja, gehört habe ich den Namen schon mal. Bin mir aber nicht sicher. Warum fragst du?“

      Sie zuckte mit der Schulter. „Ach, war nur so ’ne spontane Idee. Ist ein klasse Laden, total urig. Und gar nicht weit von hier, bei Neustadt. Sieht aus wie im Wilden Westen. Stilecht, mit allem, was dazugehört. Katja Ortlepp, die Eigentümerin, ist der absolute Western-Fan. Für ihre Gäste heißt sie Jenny. Ich kenne sie schon ein paar Jahre. Sie ist ’ne Freundin. In ihrem Laden könnten wir uns ja mal treffen und was zusammen trinken, wenn du Lust hast. Das Essen ist übrigens auch spitze. Und du bringst deine Julia mit. Dann lerne ich sie mal kennen.“

      Daniel zuckte mit den Schultern. „Hm ... Warum nicht? Hört sich verlockend an. Ich werde Julia fragen.“ Er blickte auf seine Armbanduhr und erhob sich. „Tja, ich muss wieder los. Wartet noch einiges an Arbeit auf mich.“

      Maria nickte und stand ebenfalls auf. „Verstehe. War auf jeden Fall schön, dass du vorbeigeschaut hast.“ Sie begleitete Daniel zurück zu seinem Wagen. „Mach’s gut, mein Lieber, und grüß deine Frau unbekannterweise“, sagte sie und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Ich melde mich bei dir wegen dieser Hundesache. Versprochen.“

      Als Daniel Kranz den Hof verließ, schaute Maria Hübner dem davonfahrenden Wagen einige Augenblicke hinterher. Dann wandte sie sich um, ging langsam zurück in ihre Werkstatt. Bei der Arbeit an ihrer schmiedeeisernen Skulptur konnte sie gut nachdenken. Und nachdenken musste sie jetzt. Über die Geschichte, die Daniel ihr erzählt hatte, über die gerissenen Schafe und noch über etwas anderes: Das Fundstück oben aus dem Hochwald, auf das sie vor wenigen Tagen gestoßen war und dem sie keine Bedeutung beigemessen hatte, erschien ihr auf einmal in einem neuen Licht.

      6. Kapitel

      Katja hatte längst das Haus verlassen. Blume fand in ihrer Küche einen reich gedeckten Frühstückstisch vor. Wie so oft morgens. Im Gegensatz zu ihm war sie Frühaufsteherin, und heute kam hinzu, dass sie ein paar Lieferanten aufsuchen musste, um Verträge neu zu verhandeln. Das war eine der Aufgaben, die sie mit Widerwillen erledigte und sich deshalb möglichst schnell vom Hals schaffte. Waren die neuen Abschlüsse in trockenen Tüchern, konnte sie in aller Ruhe zurückfahren, rechtzeitig den Saloon öffnen und sich frei von anderem Ballast ihren Gästen widmen. Sie hasste es, unliebsame Arbeiten auf die lange Bank zu schieben und sich in Gedanken damit herumzuquälen.

      Blume schlurfte schlafmützig zum Küchentisch und ließ sich auf den Stuhl fallen. Er öffnete die Thermoskanne, die Katja ihm griffbereit neben die Tasse gestellt hatte. Der kräftige Duft des heißen Kaffees zog ihm in die Nase und weckte seine Lebensgeister. Er goss sich ein, trank die erste Tasse schwarz. Ohne Milch, ohne Zucker, ohne etwas dazu zu essen. Das brachte seinen Kreislauf in Schwung. Im Anschluss an den Wachmacher widmete er sich dann den Toastscheiben und den diversen Gaumenfreuden auf dem Tisch.

      Kauend startete er kurz darauf sein Tablet. Vor einem halben Jahr hatte er sich den taschenbuchgroßen, flachen Touchscreen-PC angeschafft und schnell Gefallen daran gefunden. Das Gerät stand einem ausgewachsenen Computer in nichts nach – im Gegenteil, so ein Tablet ließ sich wesentlich flexibler einsetzen, leicht überall mit hinnehmen und war dazu recht bequem zu handhaben. Sein Smartphone mit der mickrigen Bildschirmtastatur trieb ihn dagegen regelmäßig in den Wahnsinn, wenn er es mit seinen breiten Fingern bediente.

      Blume nutzte die Flexibilität des Tablets nur selten. Eigentlich eine Fehlinvestition. Die meiste Zeit stand es auf dem kleinen Schreibtisch oben in seinem Wohnzimmer. Dafür brachte er es oft morgens mit an den Frühstückstisch,