Revolutionskriegen stammt, sich durchzusetzen, und die Kämpfe zwischen Konstrukteur und Dekorateur, Ecole Polytechnique12 und Ecole des Beaux-Arts13 beginnen.
Durch die Ecole des Beaux-Arts wird die Architektur zu den bildenden Künsten geschlagen. »Das wurde ihr Unheil. Im Barock war diese Einheit vollendet und selbstverständlich gewesen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts aber zwiespältig und falsch geworden.« […]14 Das gibt nicht nur eine sehr wichtige Perspektive auf das Barock, das zeigt zugleich, daß die Architektur am frühesten dem Begriffe der Kunst historisch entwachsen ist, oder besser gesagt, daß sie am wenigsten die Betrachtung als »Kunst« vertrug, die das 19te Jahrhundert, im Grunde mit nicht viel größerer Berechtigung in einem vordem ungeahnten Maße den Erzeugnissen geistiger Produktivität aufgezwungen hat.
Erstmals in der Geschichte der Architektur tritt mit dem Eisen ein künstlicher Baustoff auf. Er unterliegt einer Entwicklung, deren Tempo sich im Laufe des Jahrhunderts beschleunigt. Sie erhält den entscheidenden Anstoß als sich herausstellt, daß die Lokomotive, mit der man seit Ende der zwanziger Jahre Versuche anstellte, nur auf eisernen Schienen verwendbar ist. Die Schiene wird der erste montierbare Eisenteil, die Vorgängerin des Trägers. Man vermeidet das Eisen bei Wohnbauten und verwendet es bei Passagen, Ausstellungshallen, Bahnhöfen – Bauten, die transitorischen15 Zwecken dienen. Gleichzeitig erweitert sich das architektonische Anwendungsgebiet des Glases. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für seine gesteigerte Verwendung als Baustoff finden sich aber erst hundert Jahre später. Noch in der »Glasarchitektur« von Scheerbart16 (1914) tritt sie in den Zusammenhängen der Utopie auf.
Scheerbart […] legt darauf den größten Wert, seine Leute – und nach deren Vorbilde seine Mitbürger – in standesgemäßen Quartieren unterzubringen: in verschiebbaren beweglichen Glashäusern wie Loos17 und Le Corbusier18 sie inzwischen aufführten. Glas ist nicht umsonst ein so hartes und glattes Material, an dem sich nichts festsetzt. Auch ein kaltes und nüchternes. Die Dinge aus Glas haben keine »Aura«19. Das Glas ist überhaupt der Feind des Geheimnisses. Es ist auch der Feind des Besitzes. Der große Dichter André Gide20 hat einmal gesagt: Jedes Ding, das ich besitzen will, wird mir undurchsichtig. Träumen Leute wie Scheerbart etwa darum von Glasbauten, weil sie Bekenner einer neuen Armut sind?
Die staubige Fata Morgana des Wintergartens, die trübe Perspektive des Bahnhofs mit dem kleinen Altar des Glücks im Schnittpunkt der Gleise, das alles modert unter falschen Konstruktionen, zu früh gekommenem Glas, zu frühem Eisen. Denn in dem ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts ahnte noch niemand, wie mit Glas und Eisen gebaut werden muß. Aber längst haben Hangars und Silos das eingelöst.
»Chaque époque rêve la suivante.«
Michelet: Avenir! Avenir! 21
Der Form des neuen Produktionsmittels, die im Anfang noch von der des alten beherrscht wird (Marx), entsprechen im Kollektivbewußtsein Bilder, in denen das Neue sich mit dem Alten durchdringt. Diese Bilder sind Wunschbilder und in ihnen sucht das Kollektiv die Unfertigkeit des gesellschaftlichen Produkts sowie die Mängel der gesellschaftlichen Produktionsordnung sowohl aufzuheben wie zu verklären.
[D]as Bild von Glück, das wir hegen, [ist] durch und durch von der Zeit tingiert […], in welche der Verlauf unseres eigenen Daseins uns nun einmal verwiesen hat. […] Es schwingt, mit andern Worten, in der Vorstellung des Glücks unveräußerlich die der Erlösung mit. Mit der Vorstellung von Vergangenheit, welche die Geschichte zu ihrer Sache macht, verhält es sich ebenso. Die Vergangenheit führt einen heimlichen Index22 mit, durch den sie auf die Erlösung verwiesen wird. Streift denn nicht uns selber ein Hauch der Luft, die um die Früheren gewesen ist? […] Ist dem so, dann besteht eine geheime Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem. Dann sind wir auf der Erde erwartet worden. Dann ist uns wie jedem Geschlecht, das vor uns war, eine schwache messianische Kraft mitgegeben, an welche die Vergangenheit Anspruch hat.
Daneben tritt in diesen Wunschbildern das nachdrückliche Streben hervor, sich gegen das Veraltete – das heißt aber: gegen das Jüngstvergangene – abzusetzen. Diese Tendenzen weisen die Bildphantasie, die von dem Neuen ihren Anstoß erhielt, an das Urvergangne zurück. In dem Traum, in dem jeder Epoche die ihr folgende in Bildern vor Augen tritt, erscheint die letztere vermählt mit Elementen der Urgeschichte, das heißt einer klassenlosen Gesellschaft.
Man zeigte im alten Griechenland Stellen, an denen es in die Unterwelt hinabging. Auch unser waches Dasein ist ein Land, in dem es an verborgenen Stellen in die Unterwelt hinabgeht, voll unscheinbarer Örter, wo die Träume münden. Alle Tage gehen wir nichtsahnend an ihnen vorüber, kaum aber kommt der Schlaf, so tasten wir mit geschwinden Griffen zu ihnen zurück und verlieren uns in den dunklen Gängen. Das Häuserlabyrinth der Städte gleicht am hellen Tage dem Bewußtsein; die Passagen (das sind die Galerien, die in ihr vergangenes Dasein führen) münden tagsüber unbemerkt in die Straßen. Nachts unter den dunklen Häusermassen aber tritt ihr kompakteres Dunkel erschreckend heraus und der späte Passant hastet an ihnen vorüber, es sei denn, daß wir ihn zur Reise durch die schmale Gasse ermuntert haben.
Daß zwischen der Welt der modernen Technik und der archaischen Symbolwelt der Mythologie Korrespondenzen spielen, kann nur der gedankenlose Betrachter leugnen.
Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der historischen Kollektiva auch ihre Wahrnehmung. Die Art und Weise, in der die menschliche Wahrnehmung sich organisiert – das Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich sondern auch geschichtlich bedingt.
Deren Erfahrungen, welche im Unbewußten des Kollektivs ihr Depot23 haben, erzeugen in Durchdringung mit dem Neuen die Utopie, die in tausend Konfigurationen des Lebens, von den dauernden Bauten bis zu den flüchtigen Moden, ihre Spur hinterlassen hat.
Wir wollen eine sinnvolle Kontinuität in aller Entwicklung; daß alle Geschichte nicht zerfalle in Sonderwillen einzelner Zeiten oder gar Individuen, daß die Aufwärtsentwicklung der Menschheit, an die wir glauben, nicht mehr in dumpfer biologischer Unbewußtheit vor sich gehe, sondern dem zielsetzenden Geiste folge: das wollen wir, d. h. Pflege der natürlichen Aufwärtsentwicklung der Menschheit: Kultur.
Diese Verhältnisse werden an der Fourierschen Utopie24 kenntlich. Deren innerster Anstoß liegt im Auftreten der Maschinen. Aber das kommt in ihren Darstellungen nicht unmittelbar zum Ausdruck; sie gehen von der Unmoral des Handelsgeschäfts sowie von der in seinem Dienste aufgebotenen falschen Moral aus. Das phalanstère25 soll die Menschen zu Verhältnissen zurückführen, in denen die Sittlichkeit sich erübrigt. Seine höchst komplizierte Organisation erscheint als Maschinerie. Die Verzahnungen der passions, das verwickelte Zusammenwirken der passions mécanistes26 mit der passion cabaliste27 sind primitive Analogiebildungen zur Maschine im Material der Psychologie. Diese Maschinerie aus Menschen produziert das Schlaraffenland, das uralte Wunschsymbol, das Fouriers Utopie mit neuem Leben erfüllt hat.
Die Arbeit, wie sie nunmehr verstanden wird, läuft auf die Ausbeutung der Natur hinaus, welche man mit naiver Genugtuung der Ausbeutung des Proletariats gegenüber stellt. Mit dieser positivistischen Konzeption verglichen erweisen die Phantastereien, die so viel Stoff zur Verspottung eines Fourier gegeben haben, ihren überraschend gesunden Sinn. Nach Fourier sollte die wohlbeschaffene gesellschaftliche Arbeit zur Folge haben, daß vier Monde die irdische Nacht erleuchteten, daß das Eis sich von den Polen zurückziehen, daß das Meerwasser nicht mehr salzig schmecke und die Raubtiere in den Dienst des Menschen träten. Das alles illustriert eine Arbeit, die, weit entfernt die Natur auszubeuten, von den Schöpfungen sie zu entbinden imstande ist, die als mögliche in ihrem Schoße schlummern. Zu dem korrumpierten Begriff von Arbeit gehört als sein Komplement die Natur, welche, wie Dietzgen28 sich ausgedrückt hat, »gratis da ist«.
In den Passagen hat Fourier den architektonischen Kanon des phalanstère gesehen. Ihre reaktionäre Umbildung durch Fourier ist bezeichnend: während sie ursprünglich geschäftlichen Zwecken dienen, werden sie bei ihm Wohnstätten. Das phalanstère wird eine Stadt aus Passagen. Fourier etabliert in der strengen Formwelt des Empire die farbige Idylle des Biedermeier. Ihr Glanz dauert verblaßt bis auf Zola29. Er nimmt die