Leuten küsste, machte sie dabei ein Geräusch wie ein Gummischuh, der auf Linoleum quietscht, und Peter hatte zudem das Gesicht voll mit knallrotem Lippenstift. Das alles zusammen machte Gisela in Johannes’ Augen zu einer indiskreten oder zumindest distanzlosen Person, und er konnte nicht verstehen, was Peter an ihr fand. Gut, Peter war dem weiblichen Geschlecht schon immer sehr zugeneigt gewesen und hatte mit seinem natürlichen Charme schon so manches junge Fräulein um den Finger gewickelt und sicherlich auch mehr – Johannes hatte da nie direkt nachgefragt, und Peter war niemand, der mit seinen Eroberungen prahlte – aber mit Gisela hatte der Freund sich im letzten Monat verlobt. Im kommenden April sollte die Hochzeit sein. Als Magda davon erfahren hatte, hatte sie sofort gemutmaßt, dass Peter aus reiner Berechnung um Giselas Hand angehalten hatte, da diese einmal gut erben würde. Natürlich hatte aus Magdas Mund auch die Eifersucht gesprochen, dennoch gab Johannes ihr im Stillen recht. Giselas Vater war ein reicher Bauunternehmer und die junge Frau sein einziges Kind, da würde einiges zusammenkommen, und als Polizist verdiente Peter zwar gut, aber eben auch nicht mehr. Ein wenig hatte Johannes sich für seine Gedanken über den Freund geschämt, zumal er Peters Trauzeuge sein würde, aber er konnte nichts dagegen machen. Auch jetzt wieder spürte er das Unbehagen in ihrer Gegenwart, doch Gisela merkte es wie immer nicht. »Na los, ihr beiden Turteltäubchen, kommt, sonst verpasst ihr noch den guten Schnaps«, tönte sie in das Zimmer hinein, und Johannes sah aus den Augenwinkeln, dass Annes eben noch bleiche Wangen sich leicht rosa färbten – da hatte Giselas dämliche Bezeichnung für ihn und Anne wenigstens etwas für sich. Anne nickte, und nachdem Gisela und Magda den Türrahmen freigegeben hatten, schickte sie sich an, den beiden zu folgen. Vorher warf sie Johannes aber noch einen verschwörerischen Blick zu. Es war genau der Blick, mit dem sie ihn auch als kleines Mädchen bedacht hatte, wenn sie ein Geheimnis teilten, das kein anderer wissen sollte, und deswegen verstand er sofort. So hob er wie schon damals als Junge seine Hand zum Mund, benetzte Zeige- und Mittelfinger und legte sie mit ernster Miene auf die Seite seiner Brust, hinter der sein Herz schlug. Sobald Anne das gesehen hatte, wandte sie sich ab und folgte den beiden anderen Frauen. Anne wusste, dass er sein Stillschweigen mit dem Schwur ihrer Kindheit noch einmal bekräftigt hatte. Sie wusste aber nicht, dass er sich selbst außerdem geschworen hatte, seine Frage, ob sie seine Frau werden wollte, bald zu stellen, gleichgültig, was um sie herum geschehen würde.
Johannes trat an seinen Schrank und versteckte die Schatulle mit dem wertvollen Inhalt fürs Erste wieder hinter seinen Unterhemden.
Zitat
»Selten bricht eine Katastrophe herein, ohne ihre Vorboten vorauszuschicken.«
(Raymond Radiguet)
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