Maren Friedlaender

Schweigen über Köln


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Michel. Deshalb rufe ich an.«

      »Ah, deshalb.« Seine Stimme klang enttäuscht. Sie widerstand der Versuchung, ihm etwas Tröstendes zu sagen.

      »Du bist über den Fall informiert?«, fragte sie stattdessen.

      »Ich weiß alles, was in der Zeitung stand.«

      »Das ist auch fast alles, was wir wissen. Ungefähr alles. Es wird niemand vermisst, auf den die Beschreibung des Opfers passt. Die Spur nach Belgien verläuft im Nichts. Der Fundort gibt Anlass zu Spekulationen, aber …«

      Sie war ratlos. Fett hörte das. Er wollte ihr gern helfen, etwas Kluges beitragen. Es fiel ihm nichts Kluges ein.

      »Geht ihr an die Öffentlichkeit?«, fragte er, vor allem, um im Gespräch zu bleiben.

      »Ich glaube schon«, antwortete sie zögernd. »Du kennst die Vor- und Nachteile. Es gibt die Chance, dass jemand das Opfer erkennt, aber du bekommst unendlich viele Anrufe, du weißt, von Wichtigtuern, gelangweilten Rentnern, Spaßvögeln und so. Viel Arbeit, ohne Erfolgsgarantie.« Sie schwieg.

      »Theresa?«

      »Ich bin noch da, Michel.«

      »Es bringt niemand rein zufällig einen Mann um an der Stelle, an der die RAF damals Schleyer entführt hat. Wann war das genau? 1978?«

      »77«, korrigierte Rosenthal.

      Fett zögerte. »Es gibt einen Zusammenhang. Konzentriere dich auf die RAF-Spur. Das ist mein Rat. – Wenn du einen Rat willst.«

      »Doch, ja, danke, Michel.«

      »Und geht möglichst bald an die Öffentlichkeit, sonst wächst zu viel Gras über die Spuren.«

      »Du kennst das Prozedere, Michel. Müssen wir uns genehmigen lassen.«

      »Das klappt sicher. Du bist eine gute Polizistin. – Wir sollten wieder mal zusammen in Lüttich recherchieren. Da sind wir doch immer sehr erfolgreich.« Er lachte.

      Theresa Rosenthal war froh, dass sie ein entspanntes, na ja, entspannt, überlegte sie, traf die Sache nicht ganz, aber immerhin freundliches Telefonat mit Michel geführt hatte. Damals, bei der Lösung des gemeinsamen Falls, hatten sie viel gelacht. »Lachend waren sie leichter als Luft.« Wo nur hatte sie diesen Satz gelesen? Er hatte sie tief berührt. So musste eine Beziehung sein. Mit Fett hatte es solche Momente gegeben. War schön gewesen. – »Don DeLillo«, in einem seiner Romane hatte sie diesen Satz gelesen. Er passte zu ihr. So sollte Zusammenleben sein.

      Was Fett und Rosenthal zu dem Zeitpunkt ihres Telefonats nicht ahnten: Sie würden in dem Stadtwaldfall bald miteinander zu tun haben.

      Ein bisschen Wehmut

      Theresa Rosenthal starrte Löcher in die Luft. Das Telefonat mit Fett hatte sie – ja was? Aufgewühlt war übertrieben, aber irritiert. Nee, aufgewühlt, gestand sie sich widerwillig ein. One-Night-Stand mit emotionalem Kollateralschaden. Fett war nicht der Typus Mann für eine Nacht. Zu tiefgründig, wenn sie das überhaupt beurteilen konnte. Sie kannten sich nur aus der Zusammenarbeit in einem Fall. Mord an dem großen Aachener Verleger Verhülsten. Lag damals in der Pferdebox in Weidenpesch. Ein städteübergreifender Fall. Sie wurden in die Zusammenarbeit hineingezwungen. Und dann Lüttich. Es wäre interessant, lustvoll, mit Fett das Dreiländereck zu erkunden. Ihr Kollege kannte sich dort hervorragend aus. Auch auf der belgischen Seite. Exzellente Französischkenntnisse. Er parlierte lässig mit dem belgischen Kollegen Didier. Expedition in die Champagne mit Fett. Reims vielleicht. Kannte sie nicht. Ihre Freunde erzählten andauernd von Fidschi, Oman und Seychellen. Theresa zog es nicht mehr in die Ferne. Sie hatte Lust auf Naherkundung. Mit Fett, dachte sie trotzig.

      »Na, kleines Mittagsschläfchen!« Kollege Marco Bär betrat, zwei Teller jonglierend, das Büro und störte sie in ihren Träumereien.

      »Schinkenbrötchen!«, sagte er und stellte ihr den einen Teller vor die Nase. »Wenn du nicht magst, nehme ich es.«

      »Danke.« Sie biss geistesabwesend in das Brötchen. »Wir müssen endlich an die Öffentlichkeit gehen.«

      »Als Popstars? Höhle des Löwen, Dschungelcamp?«

      Rosenthal schaute den Kollegen verwirrt an. »Der unbekannte Tote.«

      »Ach, was!« Marco lachte. »Du bist nicht so ganz hier, oder?«

      »Also, was sagst du?«

      »Ich bin dafür – unbedingt. Ein Riesenspaß. Letztes Mal hatte ich gefühlt 1.000 Menschen, die unter dem Motto ›Bei der Gelegenheit‹ von mir verlangten, ihre weggelaufene Katze zu suchen; den lauten Nachbarn mal ordentlich den Marsch zu blasen; Laubbläser gesetzlich zu untersagen; eine Frau forderte, dass ich eine Geschwindigkeitskontrolle in ihrem Treppenhaus durchführe oder so ähnlich. Aber, wie dem auch sei, ich bin trotzdem dafür. Wir kommen nicht voran.«

      »Kümmerst du dich bitte um die Bürokratie, Marco?«

      »Und du träumst ein bisschen weiter?«

      »Nee, ich will mich um die RAF-Spur kümmern. Gerade habe ich mit dem Kollegen Fett aus Aachen telefoniert …«

      »Ach, der Kollege Fett«, betonte Bär süffisant. Er hatte gemerkt, dass damals bei den gemeinsamen Ermittlungen irgendwas im Gang gewesen war.

      »Ja, Fett. Meine Generation. Wir haben die RAF-Zeit miterlebt. Die letzten Attentate in den 90ern. Dritte RAF-Generation. Brutaler als die erste.«

      »Scheißzeit gewesen, was?«, kommentierte Bär auf seine lakonische Art.

      »Ja. Die Menschen waren verunsichert. Eigentlich schlimmer als heute durch die Attentate von Rechten und Islamisten. Auf jeden Fall stellten die letzten RAF-Täter den Kampf ein. Viele von denen verschwanden in irgendwelchen Löchern. Gerüchte besagten, im Nahen Osten. Osten stimmte, er war aber näher, als wir dachten. Die DDR gab den Terroristen ein neues Zuhause. Es gingen bereits früh Vermutungen darüber um. Fakten gerieten erst nach dem Fall der Mauer in unsere Hände. Fett meint, wir sollten an der RAF-Spur dranbleiben. Ich möchte ein paar Dinge nachlesen. Mich in das Thema einarbeiten.«

      »Und ich darf Bürokratie? Toll!«, meckerte Bär.

      »Kannst die Sache an die junge Kollegin abschieben«, schlug Rosenthal vor. »Eva muss noch viel lernen auf diesem Gebiet. Oder ihr macht es gemeinsam«, bot sie süffisant lächelnd an. Kleine Retourkutsche. Mit Bär ging das. Sie kamen gut miteinander zurecht.

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