Hendrik Scheunert

Trollingermord


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lehnte sich zufrieden an die Schulter von Frank Jonas.

      Als sie kurz darauf aufbrachen, die Zeiger der Uhr zeigten 22 Uhr abends, und bis auf ein paar Stammgäste hatten die meisten Gäste das Lokal bereits verlassen, ertönte aus heiterem Himmel ein heftiger Wortstreit aus der Küche.

      »Du biste blöd in deinem Kopf«, schimpfte eine italienische Stimme. »Kannste nix mal eine Soße umrühren, du bleder Grieche.«

      »Halt dein Maul, du Meterfünfzwerg, sonst häng ich dich am Kleiderhaken auf. Dann sollst du dort versauern, bis die Ratten dich fressen«, kam die ebenso freundliche Antwort.

      Man hörte etwas fliegen, was stark an Geschirr erinnerte, dann herrschte Ruhe.

      Die Gäste am Stammtisch grinsten, während sich die Runde um Walter Riegelgraf fragend anschaute.

      »Was war das denn?«, erkundigte sich Adelbert Herzog, der an diesem Abend noch nicht groß durch Wortbeiträge auf sich aufmerksam gemacht hatte. Aber der Experte auf dem Gebiet der Spurensicherung galt sowieso nicht als ausgewiesenes Redetalent. Sein Wissen jedoch reichte weit über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus, auch sein fachlicher Rat wurde allseits geschätzt und geachtet.

      »Hat man doch gehört«, erwiderte Frank lakonisch, »die Soße war nicht gut. Anscheinend hat das Geschirr sein Ziel erreicht, sonst wär jetzt keine Ruhe.«

      »Vielleicht kriegt der Walter demnächst wieder Arbeit«, feixte Richard. Alle anderen grinsten.

      »Lieber nicht, nicht heute«, antwortete der mit einem tiefen Seufzen in der Stimme.

      Als Andre Kalter die Gäste verabschiedete, erkundigten sie sich nach dem Vorfall in der Küche.

      »Ach, nichts weiter. Mein Koch und unser Kellner, die sind wie ein altes Ehepaar. Das kennen wir hier schon. Manchmal ist es ganz amüsant. Aber heute hat’s der Grieche wieder mal übertrieben. Morgen ist die Sache wieder vergessen.«

      »Der Zwiebelrostbraten hat wirklich sehr gut geschmeckt«, sagte Frank. »Loben Sie den Koch, er hat es sich verdient.«

      »Ich werd’s ihm ausrichten. Er freut sich immer, wenn die Gäste zufrieden sind«, antwortete Andre Kalter.

      Sie verabschiedeten sich alle voneinander, was nochmals eine gefühlte Ewigkeit in Anspruch nahm, und fuhren dann ein jeder in sein Domizil.

      2. Kapitel

      Dienstag

      Der Rebschnitt war für Gerd Bäuerle und alle anderen Winzer eine besonders zeitintensive Arbeit. Jeder einzelne Stock musste begutachtet sowie individuell bearbeitet werden – dies konnte, bei allem technischen Fortschritt, keine Maschine der Welt für ihn erledigen. Allerdings durfte man den Schnitt nicht allzu früh angehen, da der Weinstock womöglich noch arbeitete. Doch jetzt, im Januar, schien die Rückverlagerung der Reservestoffe abgeschlossen, der ganze Saft hatte sich in die Wurzeln zurückgezogen, weshalb Gerd Bäuerle an diesem kalten Morgen beruhigt mit dem Beschneiden beginnen konnte.

      An Tagen wie diesen, wenn er allein im Weinberg unterwegs war, wo nur die rotbraunen Triebe der Reben einen Akzent in der trostlosen Landschaft setzten, bereitete ihm seine Arbeit Freude.

      Getrübt wurde diese jedoch dadurch, dass ihm Andre Kalter stets eine Nasenlänge bei Qualität und Ertrag voraus schien, was streng genommen gar nicht möglich sein durfte. Trotz alledem wurde er von ihm bei der letzten Blindverkostung des Weinkonvents Uhlbach erneut, wenn auch knapp, auf den undankbaren zweiten Platz verwiesen.

      Dieses Jahr, so viel war sicher, würde sein Plan Früchte tragen oder – dabei konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen – eben nicht.

      Nach getaner Arbeit wollte er sich auf den Heimweg begeben, der ihn durch die Weinberge des Uhlbacher Götzenberges führte. An der Weggabelung, von der es linker Hand zu einem wegen seiner guten Lage bekannten Ausflugslokal ging, hielt er inne. Verfolgte ihn da etwa jemand? Oder handelte es sich nur um einen dieser verrückten Jogger, die um diese frühe Stunde ihr Unwesen in den Weinbergen Uhlbachs trieben?

      Gerd Bäuerle ließ sich nicht weiter beirren. Er setzte seinen Weg durch die Reben nach unten ins Dorf fort, da stand bei dem großen Stein wie aus dem Nichts jemand vor ihm und fing an, wie wild auf ihn einzureden.

      Er kannte die Person nur zu gut, hätte jedoch nicht erwartet, ihn heute Morgen hier anzutreffen. Es entwickelte sich ein hitziger Wortstreit, an dessen Ende sein Gegenüber eine Flasche Wein in der Hand hielt, die er Bäuerle auf den Kopf schlug. Daraufhin drehte der Angreifer sich um und ging davon, als wenn nichts gewesen wäre.

      Bevor er gewahr wurde, wie stark er blutete, stand erneut jemand in einem dunklen Jogginganzug und mit einer Mütze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte, vor ihm.

      »Na, erinnerst du dich an mich, du mieses Schwein?«

      Bäuerle hielt inne. Kannte er dieses Gesicht? Doch im Augenblick konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Alle seine Instinkte schienen auf Überleben gepolt. Er wollte weglaufen, doch die Beine versagten ihren Dienst, sodass er sich an den großen Stein lehnen musste.

      »Heute wirst du dafür bezahlen.«

      Bäuerles letzter Blick fiel abermals auf die Weinflasche. Dann traf ihn diese erneut mit voller Wucht im Gesicht. Ein heftiger Schmerz durchfuhr ihn, als er mit dem Kopf auf den Boden knallte. Langsam wurde alles unscharf. So sieht der Tod aus, dachte er, während es um ihn herum für immer dunkel wurde.

      *

      Nein, der Wecker von Frank Jonas würde in absehbarer Zeit, zumindest aber bis zu seinem Ruhestand, kein Freund mehr werden. Die Versuche, jenes nervtötende Klingeln an dem Gerät zu eliminieren, waren nicht von Erfolg gekrönt. Erst eine Weile später stellte er fest, nicht der Wecker, sondern sein Telefon war die Ursache der morgendlichen Störung. Denn ginge es nach der Uhr, so hätte er noch über eine Stunde liegen bleiben können.

      »Wer ist denn da?«, murmelte er.

      »Weißhaar Gerhard, Polizeiobermeister von der Polizeidirektion Untertürkheim. Sind Sie von der Kripo Stuttgart?«, erkundigte er sich.

      »Kommt drauf an, um was es geht. Bei Diebstahl oder Schlägereien nicht«, gab Frank zurück, der hoffte, der Beamte würde sagen, er hätte sich verwählt. Doch Gegenteiliges war der Fall.

      »Na, dann bin ich ja bei Ihnen richtig. Wir haben eine Leiche in Uhlbach im Weinberg, genauer gesagt im Götzenberg, gefunden. Könnte ein Tötungsdelikt sein.«

      »Könnte?«, fragte Frank.

      »Na ja, ich glaub kaum, dass er sich die Flasche Wein, die neben ihm liegt, selbst über den Kopf geschlagen hat.«

      Da mochte er recht haben, was bedeutete, es gab zwangsläufig wieder Arbeit für ihn sowie seine Kollegen.

      »Götzenberg? Kenn ich nicht. Wie komm ich dahin? Ist die Spurensicherung schon informiert?«, wollte er wissen.

      Weißhaar gab ihm eine derart ausführliche und detaillierte Wegbeschreibung durch, dass Frank bereits nach dem zweiten Satz den Faden verlor.

      »Die sind schon auf dem Weg. Der eine Kollege, Herzog heißt er, glaube ich, wohnt ja gleich ums Eck«, beendete der Beamte letztendlich seinen Redeschwall.

      Frank erinnerte sich dunkel daran, Adelbert Herzog erwähnte einmal, in Uhlbach ein Haus zu haben. Dann hatte er wahrhaftig einen kurzen Weg. Mord vor der Haustür quasi.

      Er zog sich an, während die Kaffeemaschine in der Küche blubberte, um jenes dunkle Gebräu mit dem anregenden, würzigen Duft durch den Filter laufen zu lassen.

      Wenig später saß er am Tisch in der Küche und schlürfte seinen ersten Kaffee. Ohne diesen wurde Arbeit gar nicht in Erwägung gezogen, geschweige denn eine Konversation bestehend aus mehr als einem Satz. Die meisten seiner Kollegen respektierten diesen Spleen. Derjenige, der trotzdem versuchte, mit Frank ein Gespräch aufzubauen, merkte schnell, welch hoffnungsloses Unterfangen dies war. Richard hatte es in den Anfangsjahren ihres gemeinsamen Dienstes ein paar Mal probiert, jedoch bald die