Rechtspopulismus.
Im Weiteren unterscheidet sie in Anlehnung an einen Artikel von Brigit Sauer mit dem Titel Anti-feministische Mobilisierung in Europa sechs Argumentationsmuster, die ins Spiel gebracht werden: die als von Natur gegeben erklärte Zweigeschlechtlichkeit (religiös begründet im römisch-katholischen Konservatismus wie auch in evangelikalen Kreisen); der Schutz der heterosexuellen Kleinfamilie, Keimzelle des Staates; das Kindeswohl im Elternrecht und in der Sexualerziehung; die Enthüllung von Gender als Genderideologie; eine religiös begründete, kolonialistische Gegenüberstellung von emanzipiertem Okzident und rückschrittlichem Orient; und schließlich ein gegen das Universitäre gerichteter Anti-Intellektualismus.
Nachdem K. Göthling-Zimpel gezeigt hat, wie sich dieser Antigenderismus dank Internet und in heftiger Reaktion auf Hashtags wie #aufschrei, #MeToo und #TimesUp, aber auch in Verbindung mit Phänomenen der »Mannosphäre« wie etwa die Vormachtstellung des Weißen Mannes, hat ausdehnen können, konzentriert sie sich auf die »Intersektionen von Religion, Gender und Race«. Das heißt: Sie zeigt auf, wie sich der Antifeminismus mit Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Homophobie verbindet und damit zum Vermittler von konservativen religiösen Normen wird.
Mit dem vierten Beitrag, Rosalind Janssens Darstellung der Höhen und Tiefen der Genderarchäologie, verändert sich die Perspektive nochmals. Es geht der Autorin darum, aufzuweisen, wie sich im Bereich der Archäologie das Interesse für Genderfragen trotz Widerständen progressiv durchgesetzt und dauerhaft etabliert hat. Aufgrund von drei Fallstudien wird das in zwei Richtungen entfaltet: Einerseits soll damit in den archäologisch erforschten Zeiten die patriarchale Vorherrschaft infrage gestellt und den oft stimmlos gebliebenen Frauen eine Stimme verliehen werden; andererseits gilt es, auch die Rolle der Frauen und die Bedeutung der Genderfrage in der Archäologie selbst als Disziplin hervorzuheben (etwa durch Verbesserung der Berichterstattung über Archäologinnen). Zugleich lässt sich beobachten, dass die neuere Genderarchäologie nicht mehr ausschließlich die Rollen und den Status von Frauen betont, sondern eine breitere Perspektive einnimmt, die eine »Einbeziehung von Frauen, Männern und anderen Geschlechtern in einen einzigen Untersuchungsrahmen« erlaubt, um ein Zitat von Elizabeth Brumfiel aus ihrer Studie von 2006 anzuführen.
Genderarchäologie setzt ihren Fokus auf Objekte, die mit Frauen verbunden sind, etwa in Hinsicht auf Befunde in Gräbern, aber auch aus der Arbeitswelt, z. B. der Welt des Backens. Damit ist ein Akzent auf Materialität gesetzt, denn gerade an solchem Material lässt sich die Frage von Geschlecht und Herrschaft und deren religiösen Begründungen neu aufrollen. In diesem Sinne sieht die Autorin darin eine große Chance, Genderarchäologie und Religion in Kombination zu bringen: Es könnte sich damit ein wichtiger Gegenpol zu hegemonialen Texten herausbilden, wie sie in religiösen Kontexten zu finden sind, etwa in der Bibel, aber auch anderswo. Damit kann sich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit feministischen Bibelwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen ergeben.
Durch eine kleine Evaluation der vier Aufsätze möchte ich versuchen, einen bescheidenen Beitrag zu einer hermeneutischen Rechenschaft über das religionswissenschaftliche Arbeiten zu leisten. Ich hebe jeweils in jedem Beitrag ein Element hervor, das mir hermeneutisch fruchtbar zu sein scheint, um die Beiträge dann abschließend in einer Gesamtperspektive zu betrachten.
Bei Ursula King finde ich den Hinweis auf die Spiritualität sehr wichtig. Dass dieser Aspekt zum Bereich der religiösen Praxis gehört, darf als Selbstverständlichkeit gelten. Dass er aber auch in Hinsicht auf die methodischen Voraussetzungen der Religionswissenschaft mitzubedenken ist, scheint mir eine verheißungsvolle Forschungsperspektive zu enthalten. Damit könnte sich einiges im Selbstverständnis der Disziplin verändern. Dass U. King in dieser Spiritualität die Dimension der Literalität hervorhebt, finde ich ebenfalls hermeneutisch spannend, denn die Spannung von Literalität und Oralität begleitet mindestens seit der Reformationszeit die theologische Hermeneutik. Es wäre deshalb interessant, noch zu vertiefen, was »spirituelle Literalität« in heutiger Zeit konkret bedeuten könnte, und zwar in verschiedenen kulturellen Kontexten.
Der Aufsatz von Daria Pezzoli-Olgiati ist ganz stark von der optischen Metaphorik getragen, und das ist im Kern natürlich eine hermeneutische Metaphorik. Dass wir in unserer geistes- und sozialwissenschaftlichen, ja vielleicht sogar auch in der naturwissenschaftlichen Arbeit, ständig mit Brillen, Spiegeln und Spiegelungen zu tun haben, gehört zu den Grundeinsichten der Hermeneutik. Das führt dazu, dass man die wissenschaftlichen Grundprinzipien der Objektivität, der Distanziertheit, der Wertneutralität immer wieder kritisch hinterfragen muss, ohne natürlich einem besinnungslosen Subjektivismus freien Lauf zu lassen. Sehr schön bringt Daria Pezzoli-Olgiati die ständige Spannung von Distanz und Voreingenommenheit zum Tragen. In diesem Rahmen ergäbe sich mit Paul Ricœurs Kategorie der »distanciation« (auf Deutsch üblicherweise mit »Verfremdung« übersetzt) aus seinem Text La fonction herméneutique de la distanciation von 1986 die Möglichkeit einer hermeneutischen Vertiefung, die zeigt, dass man sich erforschte Wirklichkeiten immer nur über Distanz aneignen kann.
In Kristina Göthling-Zimpels Beitrag möchte ich die Kategorie der Intersektionalität, mit der sie im Schlussteil arbeitet, hervorheben. Diese Kategorie erlaubt ihr zu zeigen, wie der Antifeminismus seine Weltsicht aufbaut, indem er sich mit einer Reihe von weiteren polemischen Abgrenzungen in Religion und Politik zusammenfügt, wie Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Islamfeindschaft. An alldem ist dann eben, so der Vorwurf, der Feminismus schuld: Er hat all die Übel ausgelöst, gegen die man nun unablässig kämpfen muss. Weil die Phänomene nie isoliert bleiben, weiß die Hermeneutik darum, dass man auf solche Interdependenzen im breiten Umfeld achten muss. Es kann nicht nur um den Streit zwischen Feminismus und Antifeminismus gehen, sondern alle weiteren, damit zusammenhängenden Implikationen spielen mit hinein. Die Hermeneutik kann helfen, sich mit solchen komplexen Konstellationen auseinanderzusetzen.
Dass bei Rosalind Janssen Fortschritte der Genderforschung ausgerechnet in der Archäologie thematisiert werden, stiftet eine interessante Resonanz mit Paul Ricœurs Hermeneutik. In seinem Versuch über Freud (2004 bei Suhrkamp, 1965 in der französischen Originalversion) unterscheidet er zwei Grundausrichtungen der Interpretation. Die eine bemüht sich darum, dem Text zu seinem Ziel zu verhelfen, seinen Sinn möglichst klar zum Ausdruck zu bringen. Dieser Ausrichtung, die er deshalb teleologisch nennt, stellt er die andere gegenüber, die er in Anlehnung an die »Meister des Verdachts«, wie er Marx, Freud und Nietzsche nennt, als die Bemühung versteht, den Text zu hinterfragen, in ihm herauszufinden, was er verbirgt, was er verschweigt. Diese zweite Ausrichtung nennt er die archäologische. Damit entsteht, scheint mir, eine Entsprechung zur Genderarchäologie, die ja auch den Stimmlosen eine Stimme verleihen will, indem sie in Objekten, Artefakten, Utensilien einen Kontrapunkt zu hegemonialen, patriarchalen Texten sucht.
In den vier Aufsätzen ist relativ wenig explizit von den Weltbildern und deren religionswissenschaftlicher Vermittlung die Rede. Implizit jedoch ist die Thematik bei allen sehr präsent, und zwar als kritisches Ferment in Hinsicht auf die Rechenschaft über die komplexe Beziehung von Weltbild und Genderfrage. Alle sind sich der Ambivalenz der Weltbilder bewusst, die hier aufeinanderstoßen. Diese Ambivalenz könnte leicht dualistisch ausgeschlachtet werden, im Sinne der »-ismen«, auf die Daria Pezzoli-Olgiati hinweist. Demgegenüber scheint es mir wichtig, die Komplexität der Genderfrage zu betonen, wie das Ursula King macht. Das »engendering«, die »Eingeschlechtlichung«, ist hermeneutisch als ein umfassender Prozess zu verstehen, in dem auch die gesellschaftlich vermittelte Weltanschauung auf dem Spiel steht. Das wissen auch Kristina Göthling-Zimpel in ihrer Auseinandersetzung mit dem Antigenderismus und Rosalind Janssen in ihren Bemühungen um die Etablierung der Genderarchäologie. In dieser Hinsicht zeigt sich eine große Nähe zwischen den vier Beiträgen. Sie machen es auch dem Hermeneutiker zur stimulierenden Herausforderung, noch intensiver hermeneutisch über diesen Prozess nachzudenken.
Literatur
Ahmed, Durre S. (Hg.) (2002), Gendering the Spirit. Women, Religion and the Post-Colonial Response, London/New York: Zed.
Berner, Christian (2006), Qu’est-ce qu’une conception du monde?, Paris: Vrin.
Brumfiel,