Katherina Ushachov

Stahllilie und die Liga der Zerbrochenen


Скачать книгу

auch schon.« Es schwoll langsam an und schmerzte, aber sie würde sich hüten, ausgerechnet in Gegenwart der zwei Oberschichtleute zu jammern. »Wann kann ich wieder trainieren?«

      »Oh, also …« Der Sanitäter schob den Scanner hin und her. »Das ist gezerrt und hat sich bereits entzündet, also die nächsten Wochen Schienenpflicht und Schonung.«

      »Aber …« Sie blickte unauffällig zu den beiden hinüber – bei dem Gedanken, dass sie Recht hatten und sie für die Saison ausfiel, zog sich ihr Magen zusammen. Was sollte sie sonst tun? Sie hatte nichts anderes gelernt, hatte keinen Plan B. Scheiße. Und wovon sie leben sollte, war eine weitere, drängende Frage.

      Sie hatte nach der Trauerfeier das Sonderkündigungsrecht benutzt und Seras Hochzeit storniert. Das hatte etwas Geld gebracht, genau wie der Verkauf von Seras Kleidung. Genug für eine halbe Saison, Danas eigene Ersparnisse würden für ein paar weitere Wochen reichen. Danach sah es düster aus.

      »Das hilft nichts. Es gibt selbst bei einer schnellen Reaktion keine Garantie, dass du danach wieder mit dieser Hand kämpfen kannst, aber wenn du es nicht direkt behandeln lässt, ist es sofort vorbei. Hier, geh damit in den Medizintrakt.« Er drückte ihr ein Plättchen in die gesunde Hand und eine kühlende Manschette aufs verletzte Handgelenk.

      Dana nahm das Plättchen schnell an sich und stampfte an den beiden Purpurnen vorbei. Wenn sie nach der Saison nicht zurückkehren konnte … wovon sollte sie dann leben?

      Existenzängste und Schmerzen bildeten keine besonders gute Kombination, während sie eigentlich einen kühlen Kopf brauchte. Und einen Plan.

      »Oh, das tut uns sehr leid.« Die Frau legte eine Hand auf Danas Schulter – was bizarr war, musste sie sich dafür doch fast auf die Zehenspitzen stellen.

      »Natürlich. Wer’s glaubt.« Sie hatte immer noch nicht vor, zu kuschen.

      »In jedem Fall hast du nun recht viel Zeit. Dana, nicht wahr?«

      »Ja, und die gedenke ich auf meine Art zu gestalten.« Dana lief demonstrativ ein wenig schneller, versuchte so, die lästige Hand abzuschütteln.

      Die Dame rannte, um mit ihr Schritt zu halten, und das ließ Dana trotz ihrer Schmerzen schmunzeln. Wie untrainiert sie war. Normalerweise hätte sie nie über Menschen gelacht, die weniger sportlich waren als sie, doch diese Frau ließ sie ihren Anstand vergessen.

      »Ich hätte einen Vorschlag für eine einhändige Beschäftigung. Oder zumindest für eine, bei der sich die verletzte Hand nicht zu sehr verausgaben muss.«

      Dana runzelte die Stirn. »Danke, ich weiß, wie sowas geht, diskutiere das aber nicht mit irgendwelchen Fremden.« Wie viele Signale musste sie ihr eigentlich noch aussenden, damit die Frau endlich verstand, dass sie kein Interesse daran hatte, mit ihr ein Gespräch zu führen? Und zwar weder über ihre Zukunftspläne noch über ihre Freizeitgestaltung?

      Die Dame verzog das Gesicht für einen Augenblick, lachte dann falsch. »Oh nein, doch nicht sowas. Nun, wie wäre es, wenn wir in aller Ruhe bei einem Glas Erdenlimonade darüber reden, sobald deine Hand versorgt ist? Ich habe zwei Flaschen Cola.«

      Scheiße. Sie hatte erst einmal in ihrem Leben Cola getrunken und es war bei einer Siegesfeier gewesen, als sie in ihrer Liga und Altersgruppe die Beste geworden war. Sonst hätte sie sich ein Getränk, das von der Erde importiert wurde, nie leisten können. Erst recht kein solches.

      »Nun, ich höre es mir zumindest an.« Sie musste ja nichts von dem tun, was die Frau sagte. Immerhin bekam sie ein Getränk ausgegeben, das sie sich für den Rest ihres Lebens abschminken musste, sollte der Sanitäter Recht haben und ihre Verletzung ihre Karriere beendet haben. Und wenn diese Frau wirklich an ihrem komischen Gefühl schuld war, dann auch an der Verletzung. Es war einfach viel zu auffällig, wie sie genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, um nicht in irgendeiner Weise vorbereitet zu sein. Cola war dann das Mindeste, was ihr zustand!

      »Gut, ich warte in der Kantine der oberen Ebene auf dich, frag nach Elica Garcia und du wirst sie betreten dürfen.« Die Dame deutete eine Verneigung an.

      Dana nickte und machte dann, dass sie wegkam. Langsam wurde der Schmerz unerträglich und sie wollte nicht in Gegenwart dieser zwei Schnösel in Tränen ausbrechen. Nur dumpf fragte sie sich, wie eigentlich Schnösel Nummer 2 hieß – und warum er kein Wort gesagt hatte.

      Eli - vor langer Zeit

      Der Prüfungsraum war eiskalt, denn aus irgendeinem Grund hielt der Lehrkörper es für angemessen, sie ausgerechnet im Raum mit den Maschinenkühlungen die Probeklausuren schreiben zu lassen. Nur dass die Atemwölkchen vor ihnen die Konzentration nicht wirklich hoben – ständig schweiften Elis Gedanken ab. Beispielsweise zu der Frage, ob genug Atemwölkchen reichen würden, damit es im Raum schneite.

      Nikosh neben ihm konzentrierte sich so stark, dass er sich die Unterlippe fast schon zerbiss. Warum auch immer er die Angewohnheit hatte, auf seinen Lippen herumzukauen. Wenn er das lange genug machte, sah er bald aus wie ein Vampir, eine dieser Gestalten aus dem zerfledderten und halb zerfallenden »Penny Dreadful«-Heftchen, das seine Großeltern mit nach Motis gebracht hatten, als sie auf den Eisplaneten ausgewandert waren.

      Heftchen aus Papier, eine Rarität, um die Eli von allen anderen Kindern beneidet wurde.

      Die Gedanken an Erdliteratur halfen allerdings nicht dabei, die Mathematikaufgabe zu lösen, die auf ihren Tablets blinkte. Unauffällig schielte Eli auf Nikoshs Display und versuchte in dessen Lösungsweg irgendeinen Anhaltspunkt zu erkennen. Nicht, dass bei dem spärlichen Licht sonderlich gut zu lesen war, was die dunkelgrünen Zahlen auf graugrünem Grund bedeuten sollten, aber einen Versuch war es trotzdem wert. Er hatte keine Ahnung, was er ausrechnen musste, um zur nächsten Aufgabe zu gelangen. Je mehr er schaffte, desto besser und nur die Besten würden zur nächsten Stufe der Aufnahmeprüfung zugelassen werden.

      »Vergesst nicht, wenn ihr schummelt, betrügt ihr nur euch selbst.«

      Bei den Worten des Lehrers blickte Nikosh verwirrt auf, sah kurz zu Eli und hob unter dem Tisch den Daumen. Dann blickte er wieder auf seine Zahlen und Formeln.

      Das war nur ein Testlauf. Trotzdem, es war eine Frage des Prinzips, er musste gut sein! Mindestens so gut wie Nikosh, wenn nicht besser. Besser wäre ihm natürlich lieber, denn seine Eltern erwarteten, dass er der Klassenbeste wurde und spätestens bei der wirklichen Prüfung einen prestigeträchtigen Platz auf der weiterführenden Wissenschaftsschule ergattern würde. Wenn er das nicht schaffte, würden sie ihn schneiden. In einer Wohneinheit, die nur halb so groß war wie ein durchschnittliches Klassenzimmer, mehr als unangenehm.

      Der bloße Gedanke daran, auf engstem Raum dem enttäuschten Schweigen seiner Eltern ausgesetzt zu sein, lähmte Eli. Er starrte die Gleichung an, bis die Ziffern vor seinen Augen zu verschwimmen begannen und die eckigen Zahlen sich gegeneinander verschoben. Eli blinzelte – und sah mit einem Male, dass die Lösung recht offensichtlich war. Er musste nur, wie in einer linearen Gleichung, einige Zahlen und Variablen von einer Seite zur anderen schieben und das war nun wirklich nicht schwer.

      Nächste Aufgabe.

      Er wusste nicht, bei welcher Nummer Nikosh war, ob sie überhaupt noch gleichauf rechneten. Vielleicht hatten sie nur dieselbe Startgleichung und danach bekamen sie unterschiedliche? Und vielleicht sollte er auch schauen, was die anderen vor und neben ihm rechneten.

      Eigentlich wollte er ihn doch gar nicht übertrumpfen, schließlich war es viel schöner, mit dem besten Freund auf die gleiche Schule zu gehen. Aber Nikoshs Familie war in der Hinsicht locker, also hatte er einfach Vorrang!

      ***

      Sie standen gemeinsam vor der großen Tafel. Weiße Steckstriche, Buchstaben und Zahlen zeigten ihre Prüfungsergebnisse allen, die zufällig an diesem Korridor vorbeikamen und die es eigentlich nichts anginge.

      Eli wand sich etwas. »Gleiche Punktzahl? Ich dachte, dann gibt es ein Stechen.«

      »Scheinbar nicht, auf der Tabelle haben sie uns einfach nebeneinander gereiht.« Nikosh sah selbst nicht allzu glücklich darüber aus.

      Das