Gerhard Kaiser

Literarische Romantik


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seinen Zuhörern einen möglichst objektiven Überblick über kulturelle und literarische Tendenzen der vergangenen Jahrzehnte zu geben. Schlegel ist als wichtiges Mitglied der frühromantischen Interessengemeinschaft ein beteiligter Akteur im Spiel um machtvolle Positionen innerhalb des literarischen Feldes und er betreibt Literaturpolitik. Was heißt das? Innerhalb des literarischen Feldes geht es immer auch darum, die Definitionsmacht darüber zu erlangen, was überhaupt als »Literatur« gelten soll und wer überhaupt ermächtigt ist, sich als Schriftsteller zu bezeichnen. Insofern entpuppt sich das literarische Feld, darauf verweist der französische Soziologe Pierre Bourdieu, als ein »Kampfplatz« mit eigenen Regeln, auf dem zuallererst und permanent von konkurrierenden Akteuren und Gruppen darum gestritten wird, was Literatur überhaupt ist (Bourdieu 2001, 379-445). Wer sich hier die Deutungsmacht erstreiten kann, erwirbt zugleich die Möglichkeit, gewichtige Positionen innerhalb des literarischen Feldes zu besetzen. Insofern wird man Schlegels Kritik an der Aufklärung auch als interessegeleiteten Versuch verstehen müssen, der Programmatik der eigenen Gruppe ein Profil zu geben und sie ins Gespräch zu bringen. Solche Positionierungsversuche haben eine bestimmte, strukturelle Logik. Sie leben von der Unterscheidung und von einem Überbietungsgestus, der mit ganz bestimmten Versprechungen einhergeht. Anders formuliert: Um Aufmerksamkeit wecken zu können, muss man deutlich machen, inwiefern sich das eigene Programm von konkurrierenden unterscheidet und inwiefern man bereits existierende Programme übertrifft. Das literarische Feld in Deutschland gegen Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt diesen Kampf um Aufmerksamkeit und erhöht mit der Konstitution eines literarischen Marktes den Inszenierungsdruck auf die Schriftsteller, ist doch für diesen Zeitraum eine immense »Verdichtung der Kommunikation« (Detlef Kremer) zu beobachten. Diese Verdichtung wird ermöglicht durch den Übergang des Buchhandels zu frühkapitalistischen Produktionsweisen, wodurch der Markt für Druckerzeugnisse enorm anwächst: Für den Zeitraum zwischen 1770 und 1800 geht man mittlerweile von einer Verzehnfachung der Buchproduktion und von einer Verdreifachung der Zahl der Buchhandlungen aus, die Zahl der neu erscheinenden Zeitschriften erreicht |18◄ ►19| 1790 in Deutschland mit 1225 Titeln einen Höchststand. Damit steigt aber auch die Zahl der Schriftsteller, die um ein zunehmend lesefähiges Publikum konkurrieren, in diesem Zeitraum enorm an.

      Was bei August Wilhelm Schlegel unter dem Begriff »Aufklärung« firmiert, ist also selbst bereits eine interessegeleitete Reduktion und Selektion. Hauptgegner seiner Ausführungen ist mit Friedrich Nicolai ein Berliner Repräsentant der spätaufklärerischen deutschen Popularphilosophie, deren Kritik am frühromantischen Denken auch ausführlich mit Polemik bedacht wird:

      Mehrere meiner Freunde und ich selbst haben den Anfang einer neuen Zeit auf mancherley Art, in Gedichten und in Prosa, im Ernst und im Scherz verkündigt […]. Das entsetzliche, gar nicht aufhörende Geschrey dawider von allen Seiten scheint doch zu verrathen, daß die Gegner unsre Behauptung nicht für so ungereimt halten als sie vorgeben, daß sie doch vielleicht heimlich fürchten, im ruhigen Besitz der Nichtigkeit durch jene verhaßten Anmuthungen gestört zu werden. (AWS I, 538)

      Soviel zur polemischen Seite der Unterscheidung. Wer sich unterscheidbar machen will, muss aber auch zeigen können, was an dem, von dem er sich unterscheiden will und das er überbieten zu können vorgibt, falsch bzw. unzulänglich ist. Und er muss zumindest in groben Zügen das Profil des eigenen Programms umreißen. Was ist also nach A.W. Schlegel so falsch an der Aufklärung und was setzt er dagegen? Betrachtet man konkreter die Steine des Schlegel’schen Anstoßes, so zeigt seine Aufklärungskritik, die ganz in der Tradition von Schillers Kulturkritik steht, eine dreifache Stoßrichtung: Erstens kritisiert er ein auf bloße Nützlichkeit abzweckendes Denken, das er als Ausdruck eines defizitären Menschenbildes brandmarkt. Die aufklärerische Popularphilosophie ziele in ihrem Wahrheitsstreben lediglich auf »Brauchbarkeit und Anwendbarkeit«. Diese »ganze verkehrte Denkart«, der das »ökonomische Prinzip« zugrunde liege, ziele darauf, »das menschliche Dasein und die Welt rein wie ein Rechen-Exempel aufgehen« zu lassen. Die sich dergestalt aufgeklärt Dünkenden verfolgten »dabei als Unaufgeklärtheit die ursprüngliche Irrationalität, die ihnen überall im Wege ist«. (AWS I, 523f.) Was das aufklärerische Denken in Schlegels Augen also falsch macht, ist, dass es ausgehend von einem verkürzten Verstandesbegriff wesentliche Aspekte des menschlichen Daseins gar nicht erst in den Blick bekommt. Ein rein am Nutzenkalkül orientiertes Denken führt, so der Vorwurf, letztlich zu einem unangemessenen und naiven Bild des Menschen, zu einer defizitären Anthropologie. Das Nächtige im Menschen, |19◄ ►20| seine Furcht, seine Träume, seine Phantasie, so Schlegel, eben »das Dunkel, worin sich die Wurzel unseres Daseins verliert« und das »den Zauber des Lebens« ausmacht, könne wohl von der romantischen Poesie, nicht aber vom aufklärerischen Denken angemessen begriffen werden.

      Zweitens kritisiert er den Typus des Philisters. Das ökonomische Prinzip führt nämlich nicht nur zu einer Verkürzung des menschlichen Denkens, sondern es zeitigt und formt auch einen ganz bestimmten Charaktertypus: den Philister (den man heute als »Spießer« bezeichnen würde). Die permanente Ausrichtung am Nützlichkeitskalkül, so Schlegel, veranlasst das aufklärerische Denken »alle Tugenden, die sich nicht der Brauchbarkeit für irdische Angelegenheiten fügen wollten, für Überspannung und Schwärmerei aus[zugeben]«. (AWS I, 528) Alle sollten

      gleichermaßen in das Joch gewisser bürgerlicher Pflichten gespannt werden, in das Gewerbs- und Amts- und dann das Familienleben, […] um den Acker des Staates wie Zugvieh zu pflügen, und die Bevölkerung zu befördern. (AWS I, 528)

      Das Resultat einer solchen konzertierten Eindämmung menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten liegt auf der Hand: »Produziert« werden Menschen, die »nur wie Uhren für die täglichen Verrichtungen maschinenmäßig aufgewunden werden« (AWS I, 539). Die romantische Literatur ist stark bevölkert von solchen Philistertypen: von Wackenroders seltsamem, »nackten Heiligen«, der besinnungslos vor Angst sich in »immerwährender Arbeit anstrengt«, weil er beständig das Getöse des »rauschenden Rads der Zeit« vernimmt (in Wackenroders Ein wunderbares morgenländisches Märchen von einem nackten Heiligen) bis zu E.T.A. Hoffmanns Bier trinkenden Bürgerfiguren.

      Drittens schließlich formuliert Schlegel eine Kritik der beginnenden Moderne als Kapitalismus-, Medien- und Kulturkritik. Deutlich spricht sich in seinen Ausführungen ein Unbehagen in der beginnenden Moderne und ihrer Kultur aus. Was seit Rousseau und Schiller gleichsam als kommentierendes und komplementäres Phänomen der Moderne zu beobachten ist, artikuliert sich auch bei Schlegel: eine Kritik, die den Preis, die Konsequenzen und die Folgeschäden in den Blick nimmt, die eine zunehmende Ausdifferenzierung, Ökonomisierung, Versachlichung und Rationalisierung der Lebensverhältnisse mit sich bringen, kurzum das, was Max Weber einmal als die »Entzauberung der Welt«, die zu einem »stahlharten Gehäuse« geworden sei, bezeichnet. Dem aufklärerischen Fortschrittsoptimismus, der sich auf seine naturwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften stützt, setzt Schlegel die Dialektik (d.h. hier: das Umkippen in sein Gegenteil) dieses Fortschritts entgegen: |20◄ ►21|

      Die Entdeckung der fremden Welttheile hat zwar bey den Nationen, von denen sie herrührte, den Portugiesen und Spaniern, eine große heroische Periode hervorgebracht, und sie auf eine Zeitlang zu Mittelpunkten Europäischer Bildung gemacht. Im Ganzen aber hat sie den Luxus unermeßlich gesteigert, und dadurch die Herrschaft der handelnden Nationen über die nicht handelnden, und wiederum in jenen durch die Fabriken-Industrie den Despotismus des Geldes, die Abhängigkeit der Armen von den Reichen aufs stärkste fixirt. Die Erfindung des Schießpulvers hat den ritterlichen Geist zerstört […] (AWS I, 533)

      Globalisierungs- und Kapitalismuskritik avant la lettre also. Auch die Verlusterscheinungen, die die Erfindung des Schießpulvers und des Buchdrucks zeitigen, sind für Schlegel strukturell analog: Beide führen letztlich zu einem Verlust an Authentizität. So wie das Schießpulver den ritterlichen Kampf Mann gegen Mann und Aug’ in Aug’ unmöglich macht und somit letztlich die »Ehre«, jene »große Idee aus dem Mittelalter« untergräbt, so führt der Buchdruck, mithin die technische Reproduzierbarkeit des Schriftlichen, zu einem medial bedingten Authentizitätsverlust: Der »Zauber des lebendigen Vortrags«, die Ursprünglichkeit der mündlichen Kommunikationssituation wird untergraben durch die »Bequemlichkeit der todten Buchstabenmittheilung« (AWS I, 534), es dominiert das »einsame, ungesellige Lesen«, die Vielzahl des unnütz Geschriebenen und potenziell zu Lesenden