Udo Schnelle

Theologie des Neuen Testaments


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wurde, fließen nun ineinander und bilden etwas Neues: Jesus Christus selbst wird zum Gegenstand des Glaubens und zum Inhalt des Bekenntnisses. Nach Jesus wurde sachgemäß von und über Jesus erzählt, weil seine Person nicht ablösbar ist von seiner Verkündigung und seinen Taten. Jesus Christus wurde nicht als ‚zweiter‘ Gott verehrt, sondern in die Verehrung des ‚einen Gottes‘ (Röm 3,30: εἷς ϑεός) mit einbezogen, d h. es dominiert ein exklusiver Monotheismus in binitarischer Gestalt. In Jesus begegnet Gott, Gott wird christologisch definiert. Über das Verhältnis von Gott zu Jesus Christus wurde nicht in ontologischen Kategorien nachgedacht, vielmehr war die Erfahrung des Handelns Gottes an Jesus und durch Jesus Ausgangspunkt der Überlegungen. Die frühen Christen erkannten, dass Jesus sein Leben ‚für uns‘ gegeben hat, um es von Gott neu zu empfangen.

      Die Entstehung der Christologie aus der Verkündigung und dem Anspruch Jesu heraus ist ein natürlicher historischer und theologischer Prozess. Ausgehend von der Verkündigung und dem Wirken Jesu und neu inspiriert durch das Ostergeschehen entfalteten die frühen Christen eine umfangreiche Text-, Traditions- und Sinnpflege, um so die Überlieferungen in ihrem Bestand zu wahren, weiter zu formen und durch Deutungsanstrengungen ihren Sinn aus der Vergangenheit mit der Gegenwart zu vermitteln. Daraus entstanden die Schriften des Neuen Testaments, die bis heute die grundlegenden Dokumente des christlichen Glaubens sind.

      1 A. V. HARNACK, Das Wesen des Christentums (s.o. 3.4.5), 89f. Treffend formulierte auch der französische Kirchenhistoriker A.LOISY, Evangelium und Kirche, München 1904, 112f: „Jesus hatte das Reich angekündigt, und dafür ist die Kirche gekommen.“ Loisy meinte diese Feststellung nicht ironisch oder abwertend, sondern ging davon aus, dass die ursprüngliche Form des Evangeliums nicht erhalten werden konnte; die Kontinuität zum Anfang war nur durch die Diskontinuität (der Kirche) zu erreichen.

      2 Protokoll der Tagung „Alter Marburger“ v. 21.–25.10.1957, 7 (UB Marburg).

      3 J.JEREMIAS, Theologie, 295.

      4 L.GOPPELT, Theologie, 342.

      5 W.THÜSING, Die neutestamentlichen Theologien I, 247; zu den ‚jesuanischen Strukturkomponenten‘ vgl. a.a.O., 70f.

      6 F.HAHN, Theologie I, 125.

      7 Unter religionswissenschaftlicher Perspektive kommen als Vergleichsgestalten nur Pythagoras (ca. 570–480 v.Chr.), Apollonius von Tyana (gest. um 98 n.Chr.) und die jüdischen Zeichenpropheten (s.o. 3.6.1/3.10.2) infrage. Pythagoras war offenbar eine charismatische Gestalt, die auf allen Gebieten der damaligen Wissenschaft zuhause war und der sich niemand entziehen konnte; zum historischen Pythagoras vgl. CHR.RIEDWEG, Pythagoras. Leben – Lehre – Nachwirkung, München 2002. Apollonius trat als Wanderphilosoph in der Tradition des Pythagoras und als Wundertäter mit politischem Einfluss auf; um 200 n.Chr. verfasste Philostrat das maßgebliche Werk über Apollonius; vgl. dazu E.KOSKENNIEMI, Apollonios von Tynana in der neutestamentlichen Exegese (s.o. 3.6.1). P. BILDE, The Originality of Jesus (s.o. 3.1), 255f, sieht in den bei Josephus erwähnten messianischen Propheten und (politischen) Messiasanwärtern am ehesten eine Parallele zum Auftreten Jesu. Dies trifft für ihre Zeichenhandlungen und die prophetisch-messianischen Dimensionen zu, in keiner Weise aber für den Bereich der Lehre!

      8 Vgl. dazu auch: M. KONRADT, Stellt der Vollmachtsanspruch des historischen Jesus eine Gestalt „vorösterlicher Christologie“ dar?; ZThK 107 (2010), 139–106; L. OBERLINNER, Jesu Anspruch in Botschaft und Wirken – Merkmale einer „impliziten Christologie“?, MThZ 64 (2013), 195–206; ST. SCHREIBER, Die Anfänge der Christologie (s.o. 4), 46–58.

      9 Vgl. dazu U.LUZ, Das ‚Auseinandergehen der Wege‘. Über die Trennung des Christentums vom Judentum, in: Antijudaismus – christliche Erblast, hg. v. W.Dietrich/M.George/U.Luz, Stuttgart 1999, 56–73.

      10 Zur umfangreichen Literatur zum Ostergeschehen s.u. 6.2.2.

      11 Anders R.BULTMANN, Theologie, 48: „Legende sind die Geschichten vom leeren Grab, von denen Paulus noch nichts weiß.“

      12 Vgl. die Argumentation bei M.HENGEL, Das Begräbnis Jesu bei Paulus und die leibliche Auferstehung aus dem Grabe, in: F.Avemarie/H.Lichtenberger (Hg.), Auferstehung, WUNT 135, Tübingen 2001, (119–183) 139ff.

      13 Vgl. P.ALTHAUS, Die Wahrheit des christlichen Osterglaubens, Gütersloh 1940, 25: „In Jerusalem, am Orte der Hinrichtung und des Grabes Jesu, wird nicht lange nach seinem Tode verkündigt, er sei auferweckt. Dieser Tatbestand fordert, daß man im Kreise der ersten Gemeinde ein zuverlässiges Zeugnis dafür hatte, daß das Grab leer gefunden ist.“

      14 Anders G.LÜDEMANN, Die Auferstehung Jesu (s.u. 6.2.2), 66, der ohne Begründung behauptet: „Da sich weder die Jünger noch die nächsten Familienangehörigen um Jesu Leichnam gekümmert haben, ist kaum denkbar, daß sie über den Verbleib des Leichnams informiert sein konnten, um später wenigstens seine Knochen zu bestatten.“

      15 Vgl. H.-W.KUHN, Der Gekreuzigte von Givcat hat-Mivtar. Bilanz einer Entdeckung, in: C.Andresen/G.Klein (Hg.), Theologia Crucis – Signum Crucis (FS E.Dinkler), Tübingen 1979, 303–334.

      16 Vgl. I.U. DALFERTH, Volles Grab, leerer Glaube (s.u. 6.2.2.1), 394f. Allerdings ist gegen Dalferth daran festzuhalten, dass es auch theologisch nicht gleichgültig ist, ob das Grab leer oder voll ist.

      17 Zur Analyse der Texte vgl. U.WILCKENS, Auferstehung, Gütersloh 21977, 15–61.

      18 Vgl. H. V. CAMPENHAUSEN, Der Ablauf der Osterereignisse (s.u. 6.2.2.1), 15.

      19 Vgl. a.a.O., 41.

      20 Vgl. U.WILCKENS, Der Ursprung der Überlieferung der Erscheinungen des Auferstandenen, in: P.Hoffmann (Hg.), Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, Darmstadt 1988, 139–193.

      21 Vgl. in diesem Sinn z.B. I.BROER, „Der Herr ist wahrhaft auferstanden“ (Lk 24,34). Auferstehung Jesu und historisch-kritische Methode. Erwägungen zur Entstehung des Osterglaubens, in: Auferstehung Jesu – Auferstehung der Christen, hg. v. L.Oberlinner, QD 105, Freiburg 1986, 39–62.

      22 H.MERKLEIN, Der erste Brief an die Korinther (s.u. 4.6), 282.

      23 TH. LUCKMANN, Religion – Gesellschaft – Transzendenz, in: H.-J.Höhn (Hg.), Krise der Immanenz (s.o. 1.2), 120f.

      24 Vgl. R. V. BENDEMANN, Die Auferstehung von den Toten als ‚basic story‘, GuL 15 (2000), 148–162.

      25 Vgl. dazu die Texte in: NEUER WETTSTEIN I/2, hg. v. U.Schnelle u. Mitarb. v. M.Labahn/M.Lang, Berlin 2001, 226–234.

      26 Vgl. dazu grundlegend F.W. HORN, Das Angeld des Geistes (s.u. 6.3), 61ff.

      27 Vgl. als Einführung E.WÜRTHWEIN, Der Text des Alten Testaments, Stuttgart 51988, 58–90; ferner R.HANHART, Die Bedeutung der Septuaginta in neutestamentlicher Zeit, ZThK 81 (1984), 395–416; M.HENGEL/A.M. SCHWEMER (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994; M.TILLY, Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005.

      28 Einen Überblick vermittelt ST.MOYISE, The Old Testament in the New. An Introduction, London/New York 2001.

      29 Vgl. D.-A.KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, BHTh 69, Tübingen 1986, 21–23; zu den einzelnen Zitaten vgl. neben D.-A.Koch bes. H.HÜBNER u. Mitarb. v. A.LABAHN/M.LABAHN, Vetus Testamentum in Novo II: Corpus Paulinum, Göttingen 1995.

      30 Vgl. hier D.C. ALLISON, The Intertextual Jesus. Scripture in Q, Harrisburg (PA) 2000.

      31 Zu Markus vgl. ST.MOYISE, The Old Testament in the New, 21–33; J.MARCUS, Way of the Lord, London/Edinburgh 2005.

      32 Vgl. zur Analyse bes. G.STRECKER, Weg der Gerechtigkeit (s.u. 8.3), 49–84; W.ROTHFUCHS, Die Erfüllungszitate des Matthäus-Evangeliums, BWANT 88, Stuttgart 1969, U.LUZ, Mt I (s.u. 8.3), 189–199. Zum Schriftgebrauch des Mt insgesamt vgl. M.J.J. MENKEN, Matthew’s Bible. The Old Testament Text of the Evangelist, BEThL 173, Leuven 2004.

      33 Vgl. hier ST.MOYISE, The Old Testament in the New, 45–62.

      34 Vgl. dazu G.REIM, Studien zum alttestamentlichen Hintergrund des Johannesevangeliums, MSSNTS 22, Cambridge 1974; B.G. SCHUCHARD,