manchen Arten haben wir den Eindruck, sie würden eigentlich überall vorkommen und hätten keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum. Trotzdem sollten wir uns klarmachen, dass alle Arten auf dem größten Teil der Erde nicht vorkommen und die jeweiligen geographischen Verbreitungsmuster sehr spezifisch sind. So hat jede Art ganz bestimmte Bedürfnisse bezüglich der Ressourcen, die sie benötigt, und der klimatischen Bedingungen, um zu überleben und sich erfolgreich zu reproduzieren. Betrachten wir beispielsweise die Kohlmeise (Parus major), eine Art, die bei uns relativ weit verbreitet ist. Kleine Endotherme, wie die Kohlmeise, haben aufgrund ihrer geringen Körpergröße eine relativ große Körperoberfläche über die sie, insbesondere bei niedrigen Umgebungstemperaturen, viel Energie in Form von Wärme verlieren. Sie müssen daher bei tiefen Umgebungstemperaturen zusätzliche Energie zur Wärmeproduktion verwenden und geraten schneller als große Endotherme an die Grenzen ihrer Regulationsmöglichkeiten. Folglich sind vor allem kleine Endotherme, wie die Kohlmeise in unserem Beispiel, in ihrer geographischen Ausbreitung durch klimatische Faktoren limitiert und können in Gebieten, in denen ihre thermoregulatorischen Kosten nicht durch Futteraufnahme kompensiert werden, nicht vorkommen. Kohlmeisen sind typische Höhlenbrüter und daher für die Fortpflanzung auf das Vorkommen von geeigneten Baumhöhlen angewiesen. Eine geeignete Baumhöhle ist trocken und schützt die Brut durch einen relativ engen und tiefen Eingang vor potentiellen Nesträubern, wie z.B. Mardern (Mustelidae), Spechten (Picidae) und Rabenvögeln (Corvidae). Eine solche Baumhöhle stellt eine limitierte Ressource dar und die Kohlmeisen konkurrieren sowohl mit anderen Kohlmeisen, als auch mit anderen Höhlenbrütern, wie z.B. mit Kleibern (Sitta europaea), um diese kostbare Ressource. Natürlicherweise kommen solche Höhlen aber nur in relativ alten Baumbeständen vor. Für den Nestbau benötigt die Meise Moos, Tierhaare, Federn und Halme, und um ihre Jungen erfolgreich großzuziehen, proteinreiches Futter, wie z.B. Blattläuse, Raupen und Spinnen, die ebenfalls in Bäumen und Büschen zu finden sind. Während der Jungenaufzucht sind beide Meiseneltern pausenlos im Einsatz, um ausreichend Futter einzutragen und kommen in Spitzenzeiten im Minutentakt zum Füttern an die Bruthöhle. Stehen die Bäume mit den Nahrungsressourcen in großer Distanz zueinander, müssen die Meisen weite Strecken beim Eintragen des Futters zurücklegen und verbrauchen dabei entsprechend viel Energie. Sind diese Distanzen zu groß, kann es sein, dass die Meisen nicht ausreichend Futter für ihre Jungtiere eintragen können und diese verhungern. Ältere Laubmischwälder bieten Meisen daher einen geeigneten Lebensraum, da sie hier die für ihre Fortpflanzung notwendigen Ressourcen finden.
Abiotische Umweltfaktoren, wie z.B. Umgebungstemperatur, Niederschlag und Bodenqualität, bilden die Rahmenbedingungen für das Vorkommen von pflanzlichen und tierischen Organismen. Pflanzliche Organismen bestimmen Struktur und Vielfalt der Vegetation und damit Mikroklima und Ressourcenverfügbarkeit (z.B. von Futter, Nistplätzen und Prädationsschutz), welche in Folge die Vielfalt tierischen Lebens beeinflussen.
1.1 Fragen und Antworten
Umweltfaktoren und Ressourcen
Temperatur, atmosphärische Zirkulation und Niederschlag
Vegetationsstruktur und Boden
Geographische Verbreitung terrestrischer Biome und Klima
Aquatische Lebensräume
1.1.1 Umweltfaktoren und Ressourcen
A Was sind Umweltfaktoren?
Umweltfaktoren können in abiotische (unbelebte) und biotische (belebte) Umweltfaktoren eingeteilt werden. Unter abiotischen Umweltfaktoren versteht man die physikalisch-chemischen Eigenschaften der Umwelt, wie z.B. Temperatur, Feuchtigkeit, Lichtintensität oder pH-Wert, die Individuen oder Populationen beeinflussen. Biotische Umweltfaktoren sind Wechselwirkungen oder Interaktionen zwischen Individuen wie beispielsweise Nahrungs-, Feind-, Konkurrenz- oder Fortpflanzungsbeziehungen (s. Abb. 1.1).
Abb. 1.1: Eine Auswahl abiotischer (orange) und biotischer (grau) Umweltfaktoren am Beispiel einer Feldmaus (Microtus arvalis).
S Die Abgrenzung von abiotischen und biotischen Umweltfaktoren ist nicht immer eindeutig. Warum?
Abiotische und biotische Umweltfaktoren können nicht immer eindeutig unterschieden werden, da es bei indirekten Wechselwirkungen teilweise Übergänge gibt. Ein anschauliches Beispiel hierfür sind großblättrige Pflanzen, die durch die Beschattung des Bodens den Umweltfaktor Licht und somit das Wachstum niederwüchsiger Pflanzen einschränken. Somit wird die Konkurrenz (biotischer Umweltfaktor) um den Raum durch den Faktor Licht (abiotischer Umweltfaktor) beeinflusst.
D Was sind Ressourcen?
Alles was ein Organismus konsumiert, d.h. nutzt, umwandelt und verbraucht, wird als Ressource bezeichnet. Ressourcen lebender Organismen sind u.a. Stoffe, aus denen ihre Körper bestehen, Energie, die für ihre Aktivitäten benötigt wird (z.B. Kohlenstoffdioxid CO2 Sonnenstrahlen, Sauerstoff O2, Mineralstoffe, Nahrung, Wasser) oder aber auch Raum, (z.B. Territorien oder Nistplätze), in dem sich ihre Lebenszyklen abspielen. So sind beispielsweise für die Fotosynthese betreibenden grünen Pflanzen Sonnenlicht, CO2, Wasser und mineralische Nährstoffe wichtige Ressourcen. Herbivore Tierarten dagegen nutzen bereits gewachsene Pflanzen als Nahrungsressource.
F Was unterscheidet Ressourcen von Umweltfaktoren?
Ressourcen werden im Gegensatz zu Umweltfaktoren von Organismen verbraucht.
G Was bestimmt den Wert einer Ressource für einen Konsumenten?
Für einen Konsumenten errechnet sich der Wert z.B. einer Nahrungsressource durch deren Energiegehalt sowie durch den für deren Beschaffung nötigen Energieaufwand. So sind viele Nahrungsressourcen gegen Angriffe geschützt, wie beispielsweise durch die stacheligen Blätter der Stechpalme (Ilex aquifolium), durch die Stacheln von Igeln (Erinaceidae) oder auch durch chemische Verteidigungsmechanismen vieler Tiere und Pflanzen, was ihre Nutzung als Nahrungsressource schwieriger macht.
H Warum konkurrieren Individuen um Ressourcen?
Um die Bedürfnisse von Individuen einer Population zu decken, werden Ressourcen verbraucht. Da Ressourcen häufig nur begrenzt vorhanden sind, wird um sie konkurriert (s. Kap. 4).
1.1.2 Temperatur, atmosphärische Zirkulation und Niederschlag
A Worauf beruhen die klimatischen Unterschiede der Erde hauptsächlich?
Der Großteil der klimatischen Unterschiede der Erde kommt durch die ungleiche Erwärmung der Erde durch die Sonne zustande. Die Erde rotiert um die Sonne und um ihre eigene Achse, die durch den Nord- und Südpol verläuft. Dabei steht die Erdachse nicht senkrecht zu ihrer Umlaufbahn um die Sonne, sondern ist um 23,5° geneigt (Schiefe der Ekliptik). Als Folge wird die Erdoberfläche ungleich durch die Sonne erwärmt. An den polnahen Regionen wird aufgrund des flacheren Einfallswinkels der Solarstrahlung das Strahlungsbündel über eine größere Fläche verteilt. Gleichzeitig muss die Strahlung der Sonne, wenn sie in einem flachen Winkel auf der Erde auftritt, eine Luftschicht mit einer größeren Zahl molekularer Teilchen durchdringen, welche die Sonnenstrahlen stärker reflektieren bzw. absorbieren. Im Bereich des Äquators hingegen trifft die Solarstrahlung mehr oder weniger senkrecht und über eine kleinere Fläche verteilt auf die Erdoberfläche. Der Energieeintrag pro Fläche ist daher deutlich höher. Dadurch sind die jährlichen Durchschnittstemperaturen in den Tropen nahe dem Äquator am höchsten und nehmen zu den Polen hin ab (s. Abb. 1.2). Die Schiefe der Erdachse führt zu einer unterschiedlichen Einstrahlung der Sonne auf die Nord- und Südhalbkugel und ist dadurch für die jahreszeitlichen Schwankungen von Temperatur und Tageslänge verantwortlich.
Abb. 1.2: Solarstrahlung auf die Erde. Im Bereich des Äquators trifft die Strahlung senkrecht auf und die gleiche Energiemenge verteilt sich auf eine kleinere Fläche als an den polnahen Regionen. An den Polen ist der Einfallswinkel flacher und die Strahlung wird auf eine größere Fläche verteilt und ist daher weniger intensiv (verändert nach