das Apostolikum auf die schon für das früheste Christentum zentrale Vorstellung Gottes als Vater. Bereits in einem der ersten christlichen Bekenntnistexte, den Paulus in 1 Kor 8,6 überliefert, ist die Trias des Apostolikums, nämlich die Verbindung von Vaterschaft, Herrschaft und Schöpfertum erkennbar. Der Vers betont, dass es für die Christen und Christinnen im Unterschied zur paganen Welt nur einen einzigen Gott und einen einzigen Herrn gibt: Gott, den Vater, aus dem alles ist, und Jesus Christus, den Herrn, durch den alles ist:
|90|ἀλλ’ ἡμῖν εἷς θεὸς ὁ πατὴρ ἐξ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡμεῖς εἰς αὐτόν, καὶ εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστὸς δι’ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡμεῖς δι’ αὐτοῦ. | Für uns aber gibt es einen einzigen Gott, den Vater, aus dem alles ist und wir auf ihn hin und einen einzigen Herrn, Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn. |
Zwar ist hier der Aspekt der Macht durch die κύριος-Bezeichnung mit Jesus Christus verbunden, jedoch hat dieser die κύριος-Würde nach frühchristlicher Vorstellung (Phil 2,9–11) von Gott übertragen bekommen und wird sie Gott nach 1 Kor 15,28 auch wieder zurückgeben bzw. sie mit Gott teilen. Das Schöpfertum Gottes wird in dem an die Vatermetapher angeschlossenen Relativsatz »aus dem alles ist« ebenfalls klar artikuliert und um den Gedanken der Schöpfungsmittlerschaft Jesu (»durch den alles ist«) ergänzt. Klar erkennbar ist auch in diesem frühen Bekenntnistext die zentrale Vorstellung Gottes als Vater; die Apposition »der Vater« entspricht hier der Stellung des Eigennamens »Jesus Christus« im zweiten Teil des Verses. Durch diese Stellung deutet sich bereits ein Übergang von einer reinen Vatermetapher in einen eigennamen-ähnlichen Gebrauch der Vater-Bezeichnung an. In diesem Bekenntnis stellt sich nun ebenso wie im Apostolikum eine grundsätzliche Frage, und zwar die der Referenz der Vater-Bezeichnung. Wessen Vater ist Gott? Und was konnotiert die Vater-Bezeichnung für die frühen Christinnen und Christen?
Im Folgenden sollen nun zunächst die verschiedenen Referenzen von »Vater« im antiken Judentum und frühen Christentum behandelt werden (1.). In einem weiteren Schritt soll die Frage beantwortet werden, welche spezifischen Konnotationen der Vaterschaft Gottes in den biblischen Schriften erkennbar sind (2.), bevor auf die weitere Institutionalisierung der Vater-Bezeichnung in den ersten christlichen Jahrhunderten kurz eingegangen werden soll (3.), um abschließend einen Blick auf die Funktion der Vater-Bezeichnung im Apostolikum zu werfen (4.).
1. Die Referenz der Vater-Metapher oder: Wessen Vater ist Gott?
»Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.« Zunächst liegt es nahe, die Vater-Anrede in dieser Glaubens-Aussage des Apostolikums auf Gott als Vater |91|des bekennenden Subjekts zu beziehen, im Sinne von »ich glaube an Gott, meinen Vater«. Dabei ist die metaphorische Dimension dieser Vater-Bezeichnung vorausgesetzt. Die Vater-Bezeichnung kann sich jedoch auch auf Gott als Vater Christi beziehen, also christologisch referieren. Dies wird durch die spätere Einspielung des Bekenntnisses zum eingeborenen Sohn Gottes im zweiten Artikel des Textes des Apostolikums nahegelegt (»ich glaube an Gott, den Vater […] und an seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn«). Schließlich könnte jedoch auch eine schöpfungstheologische Verwendung der Vater-Metapher im Blick sein, wie sie im gerade bereits zitierten Text aus 1 Kor 8,6 erkennbar wurde (»Gott, der Vater, aus dem alles ist […]«). Gott ist hier der Vater der Schöpfung, aber auch Vater im Sinne der kontinuierlichen Fokussierung der Glaubenden auf ihn als Lebensspender und -erhalter (»und wir auf ihn hin«). Die kreatorische Referenz der Vater-Bezeichnung scheint allerdings aus Gründen der Synonymik für das Apostolikum nicht primär im Blick zu sein, da die einleitende Appositionskette mit dem expliziten Bekenntnis zu Gott als Schöpfer endet, auch wenn dieses Schöpfertum mit der Vater-Bezeichnung korrelierbar ist.
1.1 Gott als Vater der Glaubenden: Die ekklesiologische[2] Referenz der Vater-Metapher
Aller Wahrscheinlichkeit nach sprach bereits Jesus von Gott als Vater: Das Vater-Gebet in der Version von Lk 11,2–4, in dem Jesus seine Nachfolger und Nachfolgerinnen lehrt, Gott als Vater anzusprechen (ὅταν προσεύχησθε λέγετε· Πάτερ, ἁγιασθήτω τὸ ὄνομά σου), spiegelt |92|vermutlich authentische Jesus-Rede wider, ebenso wie die Anrufung Gottes als »Vater« im Gebet in Gethsemani (Mk 14,36 parr.), wo sich die Vateranrede im markinischen Text auch in ihrer aramäischen Form, aber in griechischer Umschrift findet (αββα). Auch Paulus zitiert diese aramäische Form in Gal 4,6 und Röm 8,15 und memoriert damit vermutlich die authentische Gebetsanrede Gottes durch Jesus. Mit dieser abba-Anrede wendet sich der glaubende Jude Jesus als Mitglied des Gottesvolkes an seinen Gott als »Vater« und lehrt auch seine Nachfolger und Nachfolgerinnen ebensolches zu tun.
Die im vergangenen Jahrhundert von Joachim Jeremias vertretene, breit rezipierte These, dass die jesuanische Anrede Gottes als abba kindersprachlich und für das »Empfinden der Zeitgenossen Jesu unehrerbietig, ja undenkbar« erschienen sei[3] und damit das ganz besondere Verhältnis Jesu zu Gott formuliere, hat inzwischen vor allem durch die Arbeiten von Angelika Strotmann und Georg Schelbert eine gründliche Revision erfahren.[4] Jesus war nicht der erste Jude, der Gott als »Vater« ansprach. Gott wurde im Judentum zur Zeit Jesu durchaus auch sonst »Vater« genannt, wenngleich die Belege nicht besonders zahlreich sind. Auch in den Religionen des Alten Orients[5] und im griechisch-römischen Glauben war die Vater-Bezeichnung für Götter verbreitet;[6] in der Selbstdarstellung der römischen Kaiser war sie über deren Anspruch, pater patriae, Vater des Vaterlandes, respektive des römischen Weltreiches zu sein, ebenfalls präsent.[7] Der Jude Jesus rekurrierte daher mit der abba-Vater-Anrede auf eine |93|im Judentum seiner Zeit stetig populärer werdende Metapher mit großem interreligiösen Potential.
1.1.1 Gott als Vater der Glaubenden im antiken Judentum
Die atl. Schriften verwenden die Vater-Bezeichnung noch selten (ca. 17-mal): Der Gott-Vater ist hier vor allem der Vater seines Bundesvolkes, das er für sich erwählt hat.[8] Wie das Bundesvolk vom göttlichen Vater Vergebung für seine Sünden erhoffen kann, so erwartet der göttliche Vater von seinen erwählten Kindern gleichermaßen Gehorsam.
In hellenistischer Zeit gewinnt die Vater-Bezeichnung an Popularität.[9] Zwar kann der göttliche Vater auch strafen,[10] aber nun dominiert der Aspekt des väterlichen Erbarmens und von Seiten der Glaubenden das Vertrauen auf die Gebetserhörung durch den sich sorgenden, schützenden und seine Kinder rettenden Vater-Gott die Verwendung der Metaphorik.[11] Gott ist seinem Volk nah geworden, die Glaubenden können mit großer Zuversicht auf die Rettung durch den Vater in schwieriger Lage vertrauen.[12] Dies ist auch das Konnotationsspektrum, in dem die jesuanische Vater-Anrede Gottes zu verorten ist.[13]
Zugleich beinhaltet die Vater-Metapher bereits im antiken Judentum einen deutlich integrativen Aspekt: Für Proselyten, die durch ihren Glaubenswechsel möglicherweise in Konflikt mit ihren Familien kamen, konnte Gott als »neuer Vater« gelten. So versteht sich die |94|Ägypterin Aseneth durch ihre Hinwendung zum Judentum als »verwaist« und sieht Jhwh als »Vater der Verwaisten und Verfolgten«, auf dessen Rettung und Schutz sie vertrauen kann (JosAs 11,13; 12,8.13).
1.1.2 Gott als Vater der Glaubenden im frühen Christentum[14]
Im frühen Christentum erfährt die Vater-Bezeichnung im Vergleich mit ihrer Verwendung im vorausgehenden und im zeitgenössischen Judentum nun allerdings eine bemerkenswerte Entwicklung. Mehr als 260-mal sprechen die im Neuen Testament zusammengeschlossenen Texte von Gott als »Vater«. Während sich in den frühjüdischen Gottesbezeichnungen vor allem die Vorstellung von Gott als »Herr« spiegelt und die Vater-Bezeichnung im Vergleich selten erscheint, wird Gott für die ersten Jesus-Nachfolger, die frühen Christinnen und Christen, zunehmend der »Vater«, und zwar der »Vater«, an den sie sich im Gebet vertrauensvoll