Gottfried Willems

Geschichte der deutschen Literatur. Band 2


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„Naturzustand“ und „Goldenes Alter“

       3.3.3 Das „Goldene Alter“ bei Voltaire und bei Goethe

       4 Aufklärung in der deutschen Literatur Lessings „Nathan“ und Wielands „Musarion“

       4.1 Lessing und Wieland als Aufklärer

       4.2 Lessings „Nathan der Weise“

       4.2.1 Die Ring-Parabel

       4.2.2 Sympathie, Religion, Vernunft und Dichtung

       4.2.3 Die Literatur der Aufklärung – eine Tugendpredigt?

       4.3 Wielands „Musarion“

       4.3.1 Die Eingangsszene

       4.3.2 Zur Form der „Musarion“

       4.3.3 Die Antike in der Literatur der Aufklärung

       4.3.4 Humanistisches Bildungsgut bei Wieland

       4.3.5 Zur Handlung der „Musarion“

       4.3.6 Skeptischer Pragmatismus

       4.3.7 Ironie und Psychologie

       4.3.8 Menschlichkeit

       5 Zur Entwicklung der Literatur im 18. Jahrhundert

       5.1 Wandlungen im System der literarischen Gattungen

       5.2 Annäherung von Tragödie und Komödie im „bürgerlichen Trauerspiel“ und im „rührenden Lustspiel“

       5.3 Jenseits der Gattungsgrenzen: die Libretti da Pontes für Mozart

       5.4 Das Beispiel „Così fan tutte“

       Anhang

       Siglen

      

       Literaturhinweise

       Personenregister

       Rückumschlag

      1.1 Das Studium des 18. Jahrhunderts als Zugang zur Moderne

      Das 18. Jahrhundert als „Sattelzeit“

      Das 18. Jahrhundert gilt als Zeit eines tiefgreifenden Wandels, als eine „Sattelzeit“, wie eine oft zitierte Wendung des Historikers Reinhart Koselleck lautet. Denn hier kam vieles von dem an sein Ende, was seit dem Mittelalter das Leben in Europa bestimmte, und zugleich nahmen die Verhältnisse Kontur an, unter denen wir heute leben. Hier wurden entscheidende Schritte in Richtung Moderne getan, hat sich das meiste von dem herangebildet, was wir mit dem Prädikat modern versehen und damit als charakteristisch für die heutige Welt kennzeichnen: die moderne Gesellschaft, der moderne Staat, die moderne Ökonomie, das moderne Leben, das moderne Denken, die moderne Öffentlichkeit, die moderne Wissenschaft und, last not least, das moderne literarisch-ästhetische Leben mit den entsprechenden Formen von Kunst und Literatur, Ästhetik, Literaturtheorie und Literaturkritik. All dies zeigt sich im 18. Jahrhundert zum ersten Mal in den uns vertrauten Formen.

      So können wir hier die Moderne unter ihren Entstehungsbedingungen studieren, können wir uns hier vieles von dem, was unser heutiges Leben prägt, daraufhin ansehen, wie es ursprünglich gemeint war und wie es auf den Weg gebracht worden ist, nicht zuletzt um uns klarzumachen, was seither daraus geworden ist. In diesem Sinne kann man kaum irgendwo mehr über die moderne Welt erfahren als im Studium des 18. Jahrhunderts. Jedenfalls kann man hier mehr darüber lernen, als wenn man sich ausschließlich mit der Gegenwart beschäftigt. Denn die Gegenwart ist uns viel zu nahe, wir sind viel zu sehr in sie verstrickt, als daß wir sie auch nur annähernd überblicken und durchschauen könnten. Es fehlt uns die Distanz, die uns die Verhältnisse kenntlich werden läßt. Wir müssen eine solche Distanz erst herstellen, und dies

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      können wir nur, indem wir das Gegenwärtige mit dem Vergangenen konfrontieren. Insofern können diejenigen, die sich ausschließlich mit der Literatur der Gegenwart beschäftigen, vielfach am wenigsten über sie Auskunft geben. Wer um die Geschichte einen Bogen macht, bleibt immer ein Idiot der Aktualität. Das macht zumal in der Wissen­schaft wenig Sinn, denn für den Idiotismus der Aktualität hat die moderne Gesellschaft schon die Medien, den Journalismus und die Kritik; dafür braucht sie keine Wissenschaft.

      Die Literatur des 18. Jahrhunderts im kulturellen Gedächtnis

      Das 18. Jahrhundert als „Sattelzeit“, als die Zeit, in der sich die modernen Verhältnisse heranbilden, in der die moderne Welt Kontur annimmt. Was diese These besagt, kann man schon allein daran erkennen, daß einem heutigen Leser das Ende des 18. Jahrhunderts unendlich viel näher ist als sein Anfang. Im Prinzip gilt das natürlich für jede Epoche, aber es gilt beim 18. Jahrhundert doch in besonderem Maße. Die Literatur aus den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts hat sich sehr viel besser im kulturellen Gedächtnis erhalten als die aus seinen ersten Jahrzehnten. Die namhaften deutschen Autoren aus der ersten Jahrhunderthälfte, die zwischen 1680 und 1710 geborenen, sind fast alle vergessen, werden heute kaum mehr freiwillig, um des puren Lesevergnügens willen gelesen; die bedeutenden Autoren aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts hingegen, die um 1730 geborenen, und zumal die aus der Zeit um die Wende zum 19. Jahrhundert, die nach 1750 geborenen, sind allgemein bekannt, sind im kulturellen Gedächtnis präsent.

      Welcher Zeitgenosse hat wohl schon einmal etwas von Barthold ­Hinrich Brockes (1680 –1747), Johann Jakob Bodmer (1698 –1783), Johann Christoph Gottsched (1700 –1766) und dessen Frau Luise ­Adelgunde Victorie Gottsched (1713 –1762), der „Gottschedin“, von Friedrich von Hagedorn (1708 –1754) und Albrecht von Haller (1708 –1777) gehört? Da befinden wir uns noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Und mit den Erfolgsautoren der Jahrhundertmitte, mit Christian Fürchtegott Gellert (1715 –1769), Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 –1803) und Salomon Geßner (1730 –1788) wird die Sache noch kaum besser. Gotthold Ephraim Lessing (1729 –1781) hingegen, Christoph Martin Wieland (1733 –1813) und Georg Christoph Lichtenberg (1742 –1799) kennen die meisten, kennen sie zumindest vom Hörensagen, und noch mehr haben schon einmal etwas von Goethe (1749 –1832) und

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       Schiller (1759 –1805), Hölderlin (1770 –1843), Novalis (1772 –1801)