Cengiz Günay

Geschichte der Türkei


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IV. Demokratie entlang gesellschaftlicher Bruchlinien

       Übergang zum Mehrparteiensystem

       Die Ära der Demokratischen Partei

       Die Armee: Wächterin über das Modernisierungsprojekt

       Die Rückkehr zur Demokratie

       Demirel, ein Ingenieurspolitiker

       Urbanisierung und wachsende Fragmentierung

       Ethnisch-religiöse Bruchlinien und politisch-ideologische Identitäten

       Rechts- und Links-Begriffe im türkischen Kontext

       Die Mitterechts: Das Bollwerk gegen den Kommunismus

       Das Auseinanderbrechen der Mitterechtskoalition

       Die islamistische Bewegung

       Die nationalistische Bewegung

       Das Militär greift erneut „korrigierend“ ein

       Links von der Mitte: Die Staatspartei erfindet sich neu

       Die Zypernkrise

       Die Nationalistische Frontregierung

       V. Der Sieg der Rechten: Marktwirtschaft und Konservativismus – Die Türkei nach 1980

       Der Coup der Generäle

       Die Ära des Özalismus

       Eine zersplitterte Parteienlandschaft entsteht

       Der Kurdenkonflikt

       Eine Frau an der Spitze

       Der Aufstieg der Islamisten

       Die Islamisten an der Macht

       Der 28. Februar: ein anti-islamistischer Putsch

       Die letzte Ära Ecevit – Das Ende des Projektes Links von der Mitte

       Die Parteienlandschaft ordnet sich neu

       Die AKP und das Projekt der „Konservativen Demokratie“

       Die Ära der AKP

       Eine lange und beschwerliche Reise nach Europa

       VI. Schlussfolgerungen

       VII. Bibliographie

       Register

       Rückumschlag

      Die neuere Geschichte der Türkei ist geprägt durch das Streben nach Modernisierung. Modernisierung stellte den Versuch dar, Antworten auf Herausforderungen der westlichen Moderne in der schrittweisen Eingliederung und Anpassung an diese zu finden. Die Moderne umfasst in diesem Zusammenhang kein präzises Konzept. Der Begriff beschreibt vielmehr eine ganze Palette an Phänomenen, die die Verbreitung des Kapitalismus und die Integration immer weiterer Weltregionen in die revolutionären Prozesse, die damit verbunden waren, begleiteten. (Vgl. Zubaida, 2011) Modernität bezeichnet aber nicht nur einen Prozess, sondern auch eine Periode, die Ende des 18. Jahrhunderts begann und sich bis zum heutigen Tag auf verschiedene Arten fortgesetzt hat. (Bayly, 2004: 26) Im Falle der Türkei ging die Modernisierung (modernleşme) von den bürokratischen Eliten im Zentrum aus. Sie betrachteten Modernisierung als einen linearen Entwicklungsprozess. In der Anpassung an westliche Normen, Konzepte, Denk- und Verhaltensweisen sahen sie eine Chance, um den schwachen Staat stärker, zentralisierter und damit widerstandsfähiger gegen die Herausforderungen der westlichen Moderne zu machen. Modernisierung wurde dadurch mehr als in anderen Ländern zu einem durch die Staatseliten vorgegebenen politischen und zivilisatorischen Reformprogramm.

      Das Aufeinandertreffen der autochthonen Wirtschaftssysteme und der traditionellen gesellschaftlichen und politischen Strukturen mit der europäischen Moderne erfolgte in den meisten Fällen nicht friedlich. Die Hegemonie der europäischen Moderne war meist mit militärischer Eroberung, zumindest aber mit massiver wirtschaftlicher und kultureller Expansion verbunden.

      Im Gegensatz zu anderen Gesellschaften der Peripherie geriet das Osmanische Reich nie unter direkte koloniale Herrschaft. Das

      [<<11] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe

      Aufeinandertreffen mit der westlichen Moderne war daher nicht, wie z. B. in Ägypten oder Indien durch Fremdherrschaft und Unterdrückung geprägt.

      Das Osmanische Reich, das an seinem Höhepunkt weite Teile Ost- und Südosteuropas sowie den gesamten Mittelmeerraum beherrschte, war ab dem 17. Jahrhundert zusehends ins Hintertreffen geraten. Seit der misslungenen Belagerung Wiens 1683 befand sich das Reich in einem Prozess des territorialen Rückzugs. Mit dem Ende der Expansion, die ein wichtiger Bestandteil des osmanischen Systems gewesen war, geriet das Reich in eine Krise. Die staatlichen Strukturen, die Wirtschaft und vor allem das Militär befanden sich im Verfall.

      Die Geschichte der Modernisierung im Sinne der Anpassung an die westliche Moderne setzte hier an. Ende des 18. Jahrhunderts rief Selim III. ein Reformprogramm mit dem programmatischen Namen „Neue Ordnung“ aus. Vorrangiges Ziel war die Wiederherstellung der geschwächten staatlichen Autorität. Es galt das Reich neu zu ordnen, der Korruption und Misswirtschaft den Garaus zu machen, die Effizienz der Administration zu steigern und die Steuereinnahmen zu erhöhen. Dabei orientierte man sich an den erfolgreichen Erfahrungen in europäischen Staaten wie Frankreich, England und Österreich. Als Vorlage dienten umfassende Berichte osmanischer Diplomaten über die militärischen, administrativen und technischen Entwicklungen