4.1.2 Verstehensgrundlagen beim Rechnenlernen
4.2 Diagnostik im Mathematikunterricht: Beobachten und Verstehen mathematischer Lernprozesse
4.2.1 Merkmale handlungsleitender Diagnostik
4.2.2 Von der Diagnose- zur Lernaufgabe
4.2.3 Diagnostische Gespräche zu ausgewählten arithmetischen Inhalten
4.3 Beispiele diagnosebasierten Mathematikunterrichts
4.3.1 Lernen im inklusiven Mathematikunterricht – individuell und gemeinsam
4.3.2 Kooperative mathematische Lernumgebungen
5 Diagnosebasiert unterrichten: Perspektiven über die Fächer hinaus
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Die Antworten zu den Lernfragen gibt es unter
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Vorwort
Das vorliegende Buch stellt den Versuch dar, unterschiedliche fachliche Perspektiven – erziehungswissenschaftliche, deutsch- und mathematikdidaktische – auf das Themenfeld inklusiven Unterrichts darzulegen. Damit sind wissenschaftliche Perspektiven und Disziplinen einbezogen, die von Lehrpersonen in ihrer alltäglichen unterrichtlichen Praxis wie selbstverständlich miteinander verbunden werden resp. aus denen Ideen und Vorstellungen geschöpft werden. Eine vergleichbare Verbindung der fachdisziplinären Zugänge gibt es bisher auf wissenschaftlicher Ebene nur in Ansätzen. Wenngleich die Termini Inklusion, Diagnostik, Didaktik und auch Unterricht in allen drei hier genannten Diskursen bedeutsame und viel diskutierte Begriffe darstellen, sind sie allerdings zugleich in die Fachdiskurse der jeweiligen Disziplin, mit ihren je eigenen Traditionslinien, Begriffsverständnissen und Diskursen eingebunden.
Entsprechend herausfordernd ist es, die verschiedenen Diskurslinien in einer gemeinsamen Publikation – die sich von einer kooperativen Herausgeberschaft unterscheidet – zusammenzuführen. Trotz des Anspruchs, gemeinsam eine Monografie zu verfassen, wurden die drei zentralen Kapitel federführend von jener bzw. jenem von uns verfasst, die / der fachlich in diesem Bereich ausgewiesen ist: Tanja Sturm für das Kapitel zu pädagogischer Diagnostik, Christoph Schiefele für den inklusiven Deutsch- und Christine Streit für den inklusiven Mathematikunterricht.
In der Zusammenführung haben wir neben Gemeinsamkeiten, wie der zentralen Idee, Schule und Unterricht als Orte und Räume zu gestalten, die allen SchülerInnen fachliche Lern-, Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten eröffnen ebenso wie die Erfahrungen einer solidarischen und anerkennenden Gemeinschaft, auch Spannungen und Widersprüche erlebt. Letztere zeigen sich v.a. auf der Ebene der fachdisziplinären Verwendung von Begriffen. So werden die Kinder und Jugendlichen in Schule und Unterricht in den fachdidaktischen Diskursen meist als Lernende bezeichnet, während im schulpädagogischen Diskurs eher die Bezeichnung SchülerInnen üblich ist. In diesem Buch verwenden wir beide Begriffe synonym. Eine weitere Diskrepanz stellen die zentralen Gegenstände der wissenschaftlichen Disziplinen dar, die in diesem Buch aufeinander bezogen und miteinander verbunden werden: Sind es die einzelnen SchülerInnen in der jeweiligen sozialen Situation der Klassengemeinschaft und des Unterrichts oder sind es fachbezogene Lehr-Lernprozesse?
Das Buch dokumentiert in der Verbindung der unterschiedlichen Aspekte auch das Betreten eines diskursiven Neulands, in dem die Diskussionslinien stärker aufeinander Bezug nehmen als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Dabei wurden Gemeinsamkeiten ebenso erkennbar wie Unterschiede, die – dort, wo sie uns aufgefallen sind – als solche markiert werden.
Ludwigsburg, Münster und Muttenz im Mai 2019,
Christoph Schiefele, Christine Streit, Tanja Sturm
1 Einleitung
Inklusion ist im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zu einem zentralen Thema in Schule und Unterricht avanciert. Unter Verweis auf die Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, kurz UN-BRK, (United Nations 2006; 2008) werden von bildungspolitischer Seite Reformprozesse angestoßen, die Schule und Unterricht nachhaltig verändern können und sollen. Die Neuerungen zeichnen sich wesentlich dadurch aus, dass separative schulische Settings, die je nach Bundesland als Sonder- und / oder Förderschulen bezeichnet und nachfolgend synonym verwendet werden, ab- und inklusive Settings aufgebaut werden. Inklusion steht dabei für einen Bruch mit der Vorstellung einer (leistungs-)homogenen Schülerschaft. Ein Bezugspunkt, der in der Schulpädagogik bereits seit vielen Jahren als „Fiktion“ (Tillmann 2008, 172) verhandelt wird, aber bisher insofern keine bildungspolitische Mehrheit gefunden hat, als nach wie vor Formen der äußeren Differenzierung die schulische Struktur im deutschsprachigen Raum prägen. Trotz innerer ebenso wie von außen angemahnter Kritik (Muñoz 2006; United Nations 2015) an der (frühen) Selektivität, die mit der Mehrgliedrigkeit einhergeht und die Diskriminierungen befördert, wird an dem System bildungspolitisch weiterhin festgehalten. Wenngleich im Zuge der Gestaltung inklusiver Schulen die Zahl von Sonder- und Förderschulen rückläufig ist, bleibt die prinzipielle Separation nach Bildungsgängen und Schulformen im System erhalten; mehrere Bundesländer sichern dies durch sogenannte Schulfrieden (z. B. NRW: CDU et al., 2011). Die Mehrgliedrigkeit erfordert einen kontinuierlichen Vergleich von SchülerInnen mit- und untereinander sowie gegenüber curricularen, sozialen und empirischen Normen, um zu prüfen und zu legitimieren, ob sie noch im ‚richtigen‘ Bildungsgang bzw. Schultyp sind. Während der bildungspolitische Fokus von Inklusion auf der gemeinsamen Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf resp. besonderen Bildungsbedarf – insbesondere in den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung – liegt, wird in den schul- und sonderpädagogischen Diskursen ein grundsätzlicheres Verständnis von Inklusion verhandelt. Dieses ist sozialwissenschaftlich fundiert und damit anschlussfähig an die menschenrechtlichen Prämissen der UN-BRK (Bielefeldt 2010). Es versteht Inklusion v.a. als Abbau jener Strukturen und Praxen, die Behinderungen und Benachteiligungen in schulischen Lern- und Bildungsprozessen hervorbringen und setzt Inklusion dabei in Relation zu Exklusion, sodass eine analytische Beschreibung sowie eine reflexive Auseinandersetzung möglich sind (Sturm 2016a, 133ff.).
Trotz des einseitigen bildungspolitischen Verständnisses von Inklusion, das im Titel der KMK-Empfehlungen (2011) „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ insofern zum Ausdruck kommt, als Inklusion in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Gruppe von SchülerInnen verstanden wird, stellt das Dokument vonseiten der Bildungspolitik das erste dar, in dem die allgemeinbildende Schule ohne Ressourcenvorbehalt als Beschulungsort für SchülerInnen mit attestiertem Förderbedarf vorgesehen wird. Dies kann als Anerkennung unterschiedlicher sozialer und biografischer Lernausgangslagen der SchülerInnen einer Lerngruppe verstanden werden. So unterscheiden sich die SchülerInnen darin voneinander, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang sie in ihrer (vorschulischen) Lebenswelt mit (gesamtgesellschaftlich) relevanten und kulturell bedeutsamen