Großbritannien, Frankreich, Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland (Preußen).
Balancing
Bandwagoning
Hegemone und/oder Großmächte zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst für ihre Sicherheit und ihr Überleben sorgen können. Dazu verfügen sie über ausreichend Ressourcen. Kleinere Staaten – und das ist die ganz überwiegende Zahl – sind auch bei allergrößter Anstrengung nicht in der Lage, ihr Überleben ohne fremde Unterstützung sicherzustellen. Selbsthilfe ist für diese Staaten keine erfolgversprechende Strategie, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Sie müssen deshalb zu einer der Selbsthilfe nachgeordneten Strategie — einer zweiten Präferenz — greifen. Hierzu bieten sich ihnen zwei Möglichkeiten: Erstens können sich viele kleinere Staaten zu einer Allianz zusammenschließen, denn mit dem gemeinsamen Machtpotential aller zusammen sind sie viel eher als jeder einzelne in der Lage, die Macht einer Großmacht/eines Hegemons auszubalancieren. Dieses Verhalten bezeichnet man mit dem englischen Wort balancing. Indem sich viele kleine Staaten zu einem Bündnis zusammenschließen, bilden sie einen eigenen machtpolitischen Pol im internationalen System gegen eine oder mehrere Großmächte. Zweitens können sich kleinere Staaten einer Großmacht anschließen und/oder unterordnen, die dann die Sicherheit der Kleinen garantiert. Dieses Verhalten bezeichnet man mit dem englischen Wort als bandwagoning.10 Bei dieser Möglichkeit versprechen sich die kleineren Staaten nicht nur den Schutz durch den Hegemon, sondern sie hoffen auch, dass sie an den Gewinnen des Hegemons in internationalen Beziehungen angemessen beteiligt werden.
Es ist vergleichsweise einfach, das Machtpotential von Staaten grob zu schätzen, um Unterschiede zwischen Hegemonen, Großmächten und kleinen Staaten zu bestimmen. Bei solchen groben Schätzungen spielen üblicherweise die Größe der Bevölkerung, das Bruttoinlandsprodukt und die Größe des staatlichen Territoriums eine wichtige Rolle. Der herausragende Faktor sind aber vor allem die militärischen Fähigkeiten. Um diese zu bestimmen, prüft man zum einen, ob es sich um Kernwaffenstaaten handelt oder nicht. Zum anderen gilt es, die Höhe der Verteidigungsausgaben sowie die Mannschaftsstärke der Streitkräfte zu ermitteln (Pastor 1999). Diese Kennzahlen kann man entweder auf ihren Anteil an den weltweiten Potentialen beziehen oder zwei oder mehr Staaten einander gegenüberstellen.
Messung von Macht
Das Machtpotential von Staaten genauer zu bestimmen als nur grob zu schätzen (Sullivan 1990), ist dagegen schwierig. Dazu müssten viele verschiedene Faktoren von den militärischen Fähigkeiten über wirtschaftliche Kapazitäten bis hin zur Innovationsfähigkeit erfasst und auf einheitliche Maßstäbe gebracht werden, mit denen man verschiedene Staaten beurteilen und vergleichen kann. Noch schwieriger erweist sich die Messung von »weicher Macht« (Nye 2004). Darunter versteht man die Fähigkeit von Staaten, beispielhaft zu wirken, und zwar in dem Sinne, dass andere Staaten dieses Beispiel nachahmen. Dieser von Konstruktivisten bevorzugte Machtbegriff bezieht auch immaterielle Faktoren (s. u.) ein. Neorealisten lehnen ihn eher ab.
Latente vs. tatsächliche Macht
Mearsheimer (2001: Kap. 3) oder Beckley (2011/12) haben sich zumindest bemüht, die Machtpotentiale von Staaten mit Hilfe von materiellen Maßstäben näher zu bestimmen.11 Mearsheimer unterschied dabei zwischen latenter Macht (Wohlstand) und tatsächlicher Macht (militärischen Fähigkeiten). Er legte dar, dass die Messung von Wohlstand unterschiedlich ausfallen müsse, je nachdem, in welcher Geschichtsperiode man sich befinde. Für die Bestimmung von Wohlstand seien also periodenspezifische Faktoren ausschlaggebend. Für die Zeit von 1816 bis 1960 zog er den Anteil jedes Staates an der weltweiten Eisen- und Stahlproduktion ebenso heran wie den Anteil am Energieverbrauch. Für die Machtmessung von 1960 bis heute benutzte er den Anteil der Staaten am Weltbruttosozialprodukt.
Zur Messung und den Vergleich der militärischen Stärke von Staaten schlug Mearsheimer drei Schritte vor (Mearsheimer 2001: 135–137). Er räumte jedoch ein, dass dies ebenfalls eine schwierige Unternehmung sei. Daher gäbe es keine Untersuchung, in der die militärische Stärke von Staaten systematisch und über längere Zeiträume gemessen worden wäre. Erstens müssten Größe und Qualität von Landstreitkräften bestimmt werden. Jedoch sei die Bestimmung von Qualität nicht einfach. Zweitens müsste untersucht werden, wie sehr Luftstreitkräfte die Bodentruppen unterstützen könnten. Drittens müsste geprüft werden, in welchem Maß große Distanzen zu Wasser oder in der Luft überwunden werden können, damit Streitkräfte am richtigen Ort zum Einsatz gebracht werden könnten. Dieser letzte Schritt erfasst also die Fähigkeit zur Machtprojektion.
Machtverschiebung über Zeit
Wenn es gelingt, diese Schwierigkeiten bei der Bestimmung von Macht zu überwinden; so kann man die relative Macht von Staaten gegenüber anderen Staaten zu einem bestimmten Zeitpunkt feststellen. Aus der Sicht des Neorealismus ist aber fast noch wichtiger, wie sich diese Machtverhältnisse zwischen Staaten über Zeit verändern. Denn der Aufstieg oder Fall von Großmächten sind jeweils kriegsträchtige Entwicklungen. Es zeigt sich, dass die wissenschaftlichen Debatten über Machtverschiebungen, die z. B. Kennedy (1989) mit seinem Werk über den Aufstieg und Fall von Großmächten zwischen 1500 und 2000 ausgelöst hat, vorwiegend entlang der Frage geführt werden, wie man Macht und Machtveränderung eigentlich bestimmen kann (Nye 1990).
Zusammenfassung
Neorealismus
Staaten sind primäre und einheitliche Akteure Internationaler Beziehungen. Ihr vorrangiges Interesse ist Sicherheit, d. h. das eigene Überleben als Staat. Internationale Beziehungen sind von Anarchie gekennzeichnet. Sie zwingt nach Sicherheit strebende Staaten zur Selbsthilfe. Das Streben nach Sicherheit im anarchischen Selbsthilfesystem führt zum Sicherheitsdilemma. Konflikte sind deshalb die häufigsten Politikergebnisse. Kooperation in internationalen Beziehungen ist selten. Sie ist an die Bedingung relativer Gewinne geknüpft: Nur wenn jeder der beteiligten Staaten denselben Gewinn aus der Kooperation zieht wie alle anderen, werden sie sich darauf einlassen.
Machtausstattung von Staaten und Machtverteilung im internationalen System bestimmen, welche Strategien Staaten zur Herstellung von Sicherheit wählen können. Konflikte aufgrund von Machtverschiebungen zwischen Hegemonen und Aufsteigern werden häufig gewaltsam ausgetragen. Kleinere und weniger mächtige Staaten müssen sich entweder für balancing oder bandwagoning entscheiden.
2.2 | Institutionalismus
Ideengeschichtlich knüpft der Institutionalismus an die klassische liberale Volkswirtschaftstheorie an. Adam Smith (1723–1790) und John Stuart Mill (1806–1873) können als Vordenker gelten. Der Institutionalismus reicht jedoch über die Teildisziplin Internationaler Beziehungen hinaus, weil auch in anderen politikwissenschaftlichen Teildisziplinen die Wirksamkeit von Institutionen erforscht wird (Hall/Taylor 1996; March/Olsen 1989; North 1990; Steinmo/Thelen/Longstreth 1992). In den modernen Internationalen Beziehungen sind insbesondere Robert O. Keohane, Joseph S. Nye Jr., Lisa Martin, Kenneth Oye und Arthur A. Stein die wichtigsten Vertreter. In Deutschland wird diese Theorie vor allem von der Tübinger Schule um Volker Rittberger, Andreas Hasenclever, Michael Zürn und Bernhard Zangl sowie von Otto Keck vertreten.
Übereinstimmung der Grundannahmen
Interessenmix
Institutionalisten12 stimmen mit den Neorealisten darin überein, dass Staaten die wichtigsten Akteure in Internationalen Beziehungen sind und dass Anarchie ein wesentliches Merkmal des internationalen Systems ist. Sie teilen jedoch keineswegs die von Neorealisten daraus gezogenen Schlussfolgerungen, dass Staaten vorrangig nach Sicherheit und Überleben streben müssen und dass sie deshalb in einen unauflöslichen Konflikt miteinander geraten. Neben dem Streben nach Sicherheit vereint Staaten aus der Sicht der Institutionalisten auch das Interesse an Wohlstandsmehrung. Es kann vor allem dann erreicht werden, wenn sie miteinander kooperieren. Internationale Beziehungen werden also nicht vorrangig von Konflikten beherrscht, wie Neorealisten behaupten, sondern von einer Mischung aus gemeinsamen und trennenden Interessen. Größerer Wohlstand für alle Staaten ist dann