nicht nur als erneuertes Paradigma in den Gender und Queer Studies wahrzunehmen. Konsequent gedacht, ermöglicht er vielmehr gerade für die Praxis Sozialer Arbeit einen differenzierteren Blick auf individuelle Lebenslagen und Problemkonstellationen – ohne diese dabei zu individualisieren. Denn durch die analytische Verwobenheit sozialer Kategorien mit gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen enthält das Konzept immer auch ein gesellschaftskritisches Moment. Zudem bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, in interdisziplinären Zusammenhängen zu denken. Durch das Begreifen der Verwobenheiten unterschiedlicher Strukturen und Kategorien kann so der Blickwinkel auf gesellschaftliche Lebensverhältnisse geschärft werden. Denn ein eindimensionaler Fokus auf nur eine Kategorie wie z.B. Herkunft oder körperliche Beeinträchtigung bedeutet einen begrenzten Zugriff auf gesellschaftliche [13]Bedeutungen sowie Denkformen. Damit wird die Lebenswirklichkeit der Subjekte reduziert, die sich in ihrer sozialen Praxis auf die in den gesellschaftlichen Bedeutungen enthaltenen Handlungsmöglichkeiten beziehen. Einfach gesagt, bedeutet dies: Durch die Minimierung von Alternativen bereits in der Analyse wird auch die (sozialarbeiterische) Handlungsfähigkeit eingeschränkt.
Vor diesem Hintergrund werden in diesem Lehrbuch verschiedene inhaltliche Schwerpunkte gesetzt, die sich im Aufbau zunächst in zwei Teilen widerspiegeln: Im 1. Teil wird in den Kapiteln 1 und 2 die Grundlage gelegt für das Begreifen und Analysieren sozialer Ungleichheit. Dieser Teil bildet den notwendigen theoretischen Hintergrund für das Verstehen von gesellschaftlichen (Herrschafts-)Verhältnissen, Strukturen und Mechanismen.
Im 2. Teil wird, darauf aufbauend, in den Kapiteln 3–5 das „Handwerkszeug“ intersektionaler Analysen diskutiert, stets auf Fragen der Praxis Sozialer Arbeit bezogen.
Zur Einführung in den theoretischen Rahmen von Intersektionalität wird in Kapitel 2 der Begriff soziale Ungleichheit eingeführt, definiert und eingegrenzt. In diesem Kontext wird auf das Thema Intersektionalität als weiterführendes Analysekonzept sozialer Ungleichheit eingegangen. Daran anschließend wird das intersektionale Analysekonzept nach Ebenen und Kategorien sozialer Ungleichheit weiter ausdifferenziert.
In Kapitel 3 wird zum Verstehen des Konzepts Intersektionalität die historische Entwicklung im deutschsprachigen Raum dargestellt. Dadurch wird deutlich, wie sich innerhalb der Frauen-, Geschlechter-, Gender- und Queerforschung die Debatten um Ungleichheit entwickelt haben und was schließlich das Weiterführende des Intersektionalitätskonzepts ist. Fragen nach dessen Nutzen für das professionelle Handeln werden dabei stets mitdiskutiert.
In Kapitel 4 wird eine ausführliche methodische Darstellung intersektionaler Vorgehensweisen zur Analyse von sozialen Ungleichheiten unternommen. Hier geht es ganz konkret um die Frage, wie das Konzept im professionellen Handeln fruchtbar gemacht werden kann und welche Herausforderungen und Fragen sich dabei ergeben.
Schließlich wird in Kapitel 5 diskutiert, welche Anforderungen und Herausforderungen sich bezüglich eines intersektionalen Analyseblicks ergeben, und zwar sowohl aus Sicht der Forschung als auch aus Sicht der Praxis. Hierbei wird deutlich werden, dass das Weiterführende des Konzepts in einer Sensibilisierung von Praktiker_innen liegt, indem deren professionelle Analysekompetenzen geschärft werden sich und die professionelle Bearbeitung sozialer Ungleichheiten differenziert.
[14]Praxisbezogene Reflexionen in Kapitel 6 konkretisieren diese Ausführungen und runden den Band ab. Anna Bouwmeester und Fabienne Friedli geben in ihrem Beitrag Antworten auf die Frage, warum die Auseinandersetzung mit dem Intersektionalitätskonzept im Studium der Sozialen Arbeit relevant ist und weshalb in der Folge Intersektionalität selbstverständlicher Bestandteil professionellen Handelns sein sollte. Ming Steinhauer beschreibt in ihrem Artikel die Umsetzung von Intersektionalität in der Arbeit von i-PÄD (Initiative intersektionale Pädagogik Berlin).
Danksagung
Unser Dank gilt den Verantwortlichen im Fachbereich Soziale Arbeit der Fachhochschule St. Gallen. Durch die Förderung des Themas Intersektionalität und durch die zur Verfügung gestellten Ressourcen haben sie dazu beigetragen, dass dieses Buchprojekt verwirklicht werden konnte. Weiterer Dank gilt den Dozierenden des Moduls „Modernisierung und soziale Ungleichheit als Bedingungen der Sozialen Arbeit“, welche die Verankerung des Themas Intersektionalität in der Lehre unterstützt haben. Insbesondere danken wir Herbert Meier und Nadia Baghdadi für die kritische Durchsicht des Manuskripts und ihre konstruktiven Rückmeldungen. Tino Plümecke danken wir für das Verfassen wesentlicher Teile des Unterkapitels „Rasse“ und für seine fachliche Beratung. Bettina Grubenmann und Steve Stiehler sei für ihre moralische Unterstützung in den kniffligen Phasen des Projekts gedankt. Das Schaubild in Kapitel 3.6 ist das Ergebnis studentischen Mit- und Weiterdenkens aus einer Lehrveranstaltung zu Intersektionalität heraus – danke Walter Graf. Schließlich danken wir den Studierenden unserer Lehrveranstaltungen, die durch ihre Fragen, Kommentare und Diskussionen dazu beitragen, dass unsere Auseinandersetzung mit dem Intersektionalitätskonzept lebendig bleibt und sich weiterentwickelt. In diesem Sinne möchten wir auch mit einem studentischen Zitat aus einer Diskussion schließen:
„Intersektionalität hilft, ein komplexes Problem zu entwirren. Gleichzeitig zeigt es die Komplexität des Problems.“
1 Wir verwenden den Begriff „Rasse“ nur mir Anführungszeichen, um zu verdeutlichen, dass dieser Begriff auf Theorien und Ideologien verweist, die Personen aufgrund scheinbar biologischer und sozialer Merkmale diskriminieren. 1996 veröffentlichte die „American Association of Physical Anthropologists“ eine Erklärung, dass Rassentheorien wissenschaftlich überholt und nicht mehr haltbar seien (vgl. AAPA 1996: 569f.). Das heißt, dass die Kategorie „Rasse“ eine Konstruktion ist, bei der soziale und kulturelle Unterschiede in angeblich biologisch bedingte Wesenseigenschaften übersetzt werden. „Biologisch-genetisch sind übrigens die Unterschiede zwischen Weißen genauso zahlreich und groß wie zwischen Schwarzen und Weißen und wie zwischen Schwarzen. Allen Rassismen gemeinsam ist, dass den Opfern ein Platz auf der Werteskala unterhalb des eigenen zugewiesen wird, und sie dort als ‚von Natur aus Minderwertige‘ bleiben sollen. […]. Real ist nicht die Existenz von ‚Rassen‘, sondern die Existenz von Rassismen“ (Viehmann 1993: 33). Der Begriff „Rasse“ ist historisch belastet und hat die Kategorisierung von Menschen zu Folge. Im Nationalsozialismus steht Begriff „Rasse“ im Zentrum der nationalsozialistischen Ideologie. Wir verwenden diesen Begriff auch deshalb, da gegenwärtig Betroffene rassistischer Diskriminierungen diese nur geltend machen können, wenn sie belegen können, dass sie aufgrund ihrer „Rasse“ diskriminiert worden sind. Das heißt, sie müssen sich selbst einer bestimmten „Rasse“ zuordnen, um Diskriminierungen anzuzeigen. Dies verdeutlicht weiter die Problematik dieses Begriffs: Opfer von rassistischer Diskriminierung müssen sich den Sprachgebrauch der Diskriminierenden zu eigen machen. Mit den Anführungszeichen verweisen wir darauf, Sprach- und Denkgewohnheiten zu hinterfragen und aufzubrechen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.