/ Münder 2009; Münder et al. 2013b, § 74 Rz. 4 –17).
https://europa.eu/european-union/index_de
1.1.5.2 Völkerrecht
Völkerrecht
Haager Abkommen
Im Unterschied zum supranationalen EU-Recht gehen völkerrechtliche Abkommen als sog. internationales Recht dem nationalen Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht unbedingt vor. Vielmehr handelt es sich um Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, die in der Regel innerstaatlich mittels eines Parlamentsgesetzes (Zustimmungsgesetz) ratifiziert und somit Bestandteil des innerstaatlichen Rechts werden. Einerseits handelt es sich um bi- oder multilaterale Abkommen, die dann nur im Verhältnis der entsprechenden Staaten zueinander (und damit auch etwa nur für deren jeweilige Staatsangehörige) Anwendung finden (z. B. das europäische Fürsorgeschutzabkommen). Andererseits gibt es Übereinkommen, die innerstaatlich unmittelbare Rechte und gegebenenfalls auch Pflichten für einzelne Personen begründen können. So wurde etwa das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH-Statut), das Straftaten gegen das Völkerrecht normiert, mit Gesetz vom 26.06.2002 in Deutschland ratifiziert (vgl. IV-2.1). Ein weiteres Beispiel ist auch das in Deutschland am 01.01.2011 in Kraft getretene Haager Kinderschutzübereinkommen 1996 (KSÜ; hierzu Schwarz 2011), welches nicht nur das anzuwendende Recht und die Zuständigkeit regelt, sondern die Bundesrepublik Deutschland zum Schutz aller unter 18 Jahre alten „Kinder“ verpflichtet, unabhängig davon, ob in den Vertragsstaaten ein anderes Alter der Volljährigkeit gilt (für über 18 Jahre alte Menschen, die wegen einer Beeinträchtigung oder psychischen Störung einer gesetzlichen Vertretung bedürfen, gilt das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen – ErwSÜ vom 13.01.2000) und unabhängig davon, ob die Kinder aus einem Vertragsland kommen oder nicht. Schutzmaßnahmen im Sinne des KSÜ sind neben familiengerichtlichen Maßnahmen (z. B. Bestellung eines Vormunds) alle Leistungen und Aufgaben insb. des SGB VIII (hierzu III-3), die im Interesse des Minderjährigen erforderlich sind (vgl. BGHZ 60, 68 ff.; Münder et al. 2013b, § 6 Rz. 13 ff.).
Weitere für die Soziale Arbeit wichtige Haager Übereinkommen, die die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert hat, sind die Abkommen über
■ das auf Unterhaltsverpflichtungen anzuwendende Recht vom 02.03.1973,
■ die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.04.1958,
■ die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 02.10.1973,
■ die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (KiEntfÜ) vom 25.10.1980 (verpflichtet die Vertragsstaaten zur Rückführung eines Kindes bei Verletzung des Sorgerechts) sowie
■ den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (AsÜ) vom 29.05.1993.
Europäisches Fürsorgeschutzabkommen
Demgegenüber gilt die deutsch-schweizerische Fürsorgevereinbarung (vom 04.07.1952) bzw. das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EG vom 21.06.1999 (in Kraft seit 01.06.2002) nur für Schweizer Staatsangehörige. Das deutsch-österreichische Fürsorgeabkommen (vom 17.01.1966) gilt entsprechend nur für österreichische Bürger in Deutschland. Einen weiteren Anwendungsbereich hat das 1956 ratifizierte Europäische Fürsorgeschutzabkommen (EFA), das die Bundesrepublik Deutschland zu sog. Fürsorgemaßnahmen nur gegenüber Personen aus denjenigen Staaten verpflichtet, die ihrerseits diesem Abkommen beigetreten sind (Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Schweden, Spanien, Türkei), sofern sich diese Personen in erlaubter Weise in Deutschland aufhalten (so BVerwG 14.03.1985 – 5 C 145.83 – E 71, 139 ff.; zur Kritik daran Peter 2001, 180 f.).
Europäische Menschenrechtskonvention
Von Bedeutung ist vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die zunächst „nur“ einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt, über dessen Einhaltung der Europäische Gerichtshof für Menschrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg wacht. Die EMRK ist in Deutschland im Jahr 1953 im Rang eines Bundesgesetzes (BVerfG 2 BvR 2365 / 09 – 04.05.2011) in Kraft getreten (verfahrensrechtliche Komponenten wurden neu geregelt durch das 11. Zusatzprotokoll v. 11.05.1994; ratifiziert am 24.07.1995, in Kraft seit 01.11.1998). Sie garantiert wesentliche zur Menschenwürde gehörende Grundrechte (u. a. Allgemeines Freiheitsrecht, Gewissens- und Religionsfreiheit, Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Diskriminierungsverbot; s. u. 2.1.2.4). Wichtig ist vor allem die Sicherung wesentlicher Rechte im Strafverfahren (rechtliches Gehör und Verbot rückwirkender Strafdrohungen, Folterverbot), insb. prominent die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK (hierzu IV-3.1), die untrennbar mit der Menschenwürde verbunden sind. Für die Soziale Arbeit im Bereich der Jugend- und Familienhilfe (III-3) sowie im Hinblick auf den Datenschutz im gesamten Sozialrecht (hierzu III-1.2.3) ist auch Art. 8 EMRK mit dem dort garantierten Schutz des Privat- und Familienlebens von besonderer Bedeutung. So wurde etwa im Jahr 2004 in der Görgülü-Entscheidung des EGMR festgestellt, dass die Nichtgewährung des Umgangsrechts für den nichtehelichen Vater mit seinem Sohn einen Verstoß gegen Art. 8 ERMK darstellt. Das BVerfG hat als Reaktion hierauf betont, dass alle deutschen Behörden und Gerichte die Gewährleistungen der EMRK und die Entscheidungen des EGMR bei der Gesetzesanwendung zu berücksichtigen haben (BVerfG 14.10.2004 – 2 BvR 1481 / 04).
UN-Menschenrechtsabkommen
Zum Völkerrecht gehören auch eine Reihe von Menschenrechtsabkommen, insb. die beiden Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 (ICESCR, beide in Kraft seit 1976) sowie die diese Pakte ergänzenden (sog. Fakultativ-)Protokolle (von 1976 und 1989). Der Inhalt der Pakte knüpft im Wesentlichen an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) an, die am 10.12.1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen formuliert wurde. Die darin verankerten Rechte sind nicht zuletzt durch die Tätigkeit von Amnesty International in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt worden.
UN-Kinderrechtskonvention
Das UN-Übereinkommen über die Rechte der Kinder (UN-KRK vom 20.11. 1989, in Deutschland in Kraft getreten am 05.04.1992; vgl. hierzu Schorlemer / Schulte-Herbrüggen 2010) ist zunächst ebenfalls „nur“ ein völkerrechtlicher Vertrag. Die frühere Vorbehaltserklärung wurde durch die Bundesregierung am 15.07.2010 gegenüber der UN zurückgenommen, womit die Bundesrepublik Deutschland sich nun vorbehaltlos dazu verpflichtet hat, den in der UN-KRK niedergelegten Regelungen in Deutschland Geltung zu verschaffen. Die UN-KRK und die in ihr niedergelegten Prinzipien und Kinder-Grundrechte (insb. Schutz, Förderung und Entwicklung, Nichtdiskriminierung und Beteiligung) müssen nicht nur in der Kinder- und Jugendhilfe beachtet werden, sondern darüber hinaus ist nach Art. 3 Abs. 1 UN-KRK „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, … das Wohl des Kindes,… vorrangig zu berücksichtigen“. In diesem Art. 3 UN-KRK schlummert ein gewaltiges und bislang noch weitgehend unberücksichtigtes Potenzial für die innerstaatliche Rechtsanwendung, sowohl in materiell- wie auch prozessrechtlicher Hinsicht (Cremer 2011; Lorz 2010). Es ist Pflicht und Aufgabe aller deutschen Behörden und Gerichte, dem Kindeswohlvorrang Geltung zu verschaffen, indem sie ihre Entscheidungspraxis an den Abwägungs- und Begründungserfordernissen der UNKRK ausrichten. Besonders relevant wird dies im Hinblick auf die Friktionen in der Rechtsstellung von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen im Sozial- und Asylverfahrensrecht (Cremer 2006, s. III-3.4 u. III-7.3.2). Am 28.02.2013 hat Deutschland auch das Zusatzprotokoll zur UN-KRK vom 29.12.2011 ratifiziert, welches ein Individualbeschwerdeverfahren