Thomas Trenczek

Grundzüge des Rechts


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Verteilungsgerechtigkeit beizutragen (BMGS 2005, 3).

      2.2.1 Geschichtliches – begriffliche Einordnung

      Grundrechte und Menschenrechte

      Die Idee der Grundrechte wird häufig aus naturrechtlichen Vorstellungen abgeleitet. „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür)“, so lesen wir bei Immanuel Kant, sei das „einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“ (1797, 345). Kant formuliert hiermit nicht mehr und nicht weniger als den Ursprungsgehalt der Menschenrechte, die uns geschichtlich etwa in Gestalt der Virginia Bill of Rights von 1776, der amerikanischen Verfassung von 1787 und vor allem der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26.08.1789 entgegentreten. Heute finden wir diese Idee in der AEMR, den beiden Menschenrechtspakten und einer Vielzahl weiterer internationaler Konventionen vor (hierzu: 1.1.2).

      Freiheit vor dem Staat

      Zum Wesen der Grundrechte gehört jedoch nicht nur ihr freiheitlicher Gehalt als solcher, sondern gleichermaßen auch ihre Gerichtetheit gegen potenzielle Bedrohungen eben dieses Freiheitsgehaltes durch staatliche Intervention. Dies wird in der naturrechtlichen Perspektive anhand der vertragstheoretischen Argumentation des englischen Staatsdenkers John Locke entwickelt.

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      Vertragstheorie

      Die Vertragstheorie macht geltend, dass der Einzelne, da ihm als vereinzeltem Individuum keine Möglichkeiten eines effektiven Schutzes seines Freiheitsrechts zu Gebote stehen, darauf angewiesen sei, mit den anderen Mitgliedern der Gesellschaft eine Übereinkunft über einen Zusammenschluss zum Zwecke der Freiheitssicherung zu treffen. Dies sei zugleich der Gründungsakt einer staatlichen Gewalt, an die dann also das Recht zu Gesetzgebung und Gesetzesausführung übertragen werde. Nun können aber nach einer derartigen Konstruktion die Einzelnen nichts auf die Staatsgewalt übertragen, worüber sie selbst nicht verfügen. Da ihnen jedoch, wie bei Kant gesehen, insb. kein Recht auf Eingriff in die Freiheitsrechte des anderen zustehe, könne demzufolge auch der Staat ein derartiges Recht nicht für sich beanspruchen (Locke 1689, 264 ff., 289 ff.).

      Soziokulturelle Bedingtheit von Grundrechten

      Freilich ist diese Theorie, wie auch alle anderen Varianten eines Gesellschaftsvertrages, nie etwas anderes als ein idealtypisches Erklärungsangebot gewesen; sie war nirgendwo und zu keinem Zeitpunkt geschichtliche Realität. Nehmen wir daher neben der ethischen Begründung auch die konkreten geschichtlichen Veranlassungen der Grundrechtsfrage mit in den Blick, dann fällt mindestens zweierlei auf. Zum einen nämlich erfolgt die Formulierung von Grundrechten in Gestalt positiven Rechts in aller Regel in engem zeitlichen Zusammenhang mit großen gesellschaftlichen Umbrüchen. Die weltgeschichtlichen Beispiele hierfür sind bereits genannt. Jürgen Habermas erinnert in diesem Zusammenhang aber auch noch einmal an den Verfassungsentwurf des Runden Tisches der DDR vom April 1990, dessen sehr ausführlichen Grundrechtsteil er als eine „implizite Zeitdiagnose“ versteht (Habermas 1992, 468). Bereits dies spricht für eine jeweils konkrete soziokulturelle Ausformung des universellen freiheitlichen Gehalts der Grundrechte. Hinzu kommt jedoch, dass sich auch der universelle Grundgehalt selbst durchaus jenseits metaphysischer Grundannahmen genauer erklären lässt. Bereits John Locke (1689, 283) formulierte nämlich in dankenswerter Klarheit: „Das große und hauptsächliche Ziel, weshalb Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist also die Erhaltung ihres Eigentums.“

      Nun ist einerseits das Eigentum die Grundlage der privaten bürgerlichen Existenz schlechthin und damit insofern nur ein besonderer Ausdruck für Freiheit. Andererseits kann diese Grundlage des Privaten eben, wie gesehen, einzig durch das Öffentliche, den Staat, abgesichert werden. Öffentliches und Privates sind demnach keinesfalls einfach nur zwei „Sphären“, die innerhalb der Gesellschaft irgendwie nebeneinander bestehen, wie dies so häufig verkürzt, und damit unzutreffend, dargestellt wird. Sie existieren in Wirklichkeit vielmehr innerhalb eines sehr spannungsvollen inneren Verhältnisses zueinander. Die Grundrechte sind Ausdruck genau dieser Spannung. Sie sind daher im Ergebnis trotz ihrer nicht zu bezweifelnden universellen ethischen Begründbarkeit jedenfalls nicht abschließend als vor- oder überrechtlich vorgegeben, sondern immer nur in einer geschichtlichen Ausprägung innerhalb einer jeweiligen Gesellschaft erklärbar.Als positiv gesetztes Recht unterliegen sie somit permanenten inhaltlichen und funktionalen Entwicklungen. Auf paradigmatische Weise wird dies u. a. in aktuellen politischen und verfassungsrechtlichen Diskursen zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit abgebildet (2.2.5).

      2.2.2 Überblick

      Grundrechtskatalog

      Grundrechtsberechtigung

      Hieran schließt sich die Frage an, welcher Personenkreis durch diese Grundrechte berechtigt wird. Die weitreichendste Antwort könnte lauten: Alle im Geltungsbereich des GG lebenden Menschen. Jedoch gilt dies nicht ohne Einschränkungen. Zunächst unterteilt das GG die Grundrechte in sog. Jedermanns- oder Menschenrechte und sog. Deutschen- oder Bürgerrechte. Jedermannsrechte gelten, wie der Name bereits sagt, tatsächlich für alle Menschen, die dem Geltungsbereich des GG unterliegen, Deutschenrechte hingegen nur für deutsche Staatsangehörige i. S. v.Art. 116 Abs. 1 GG. Wer nun aber durch ein bestimmtes Recht berechtigt wird, kann dessen jeweiliger Formulierung entnommen werden. Es heißt dann: „Jeder hat das Recht …“ (Art. 2 Abs. 1 GG) oder „Niemand darf …“ (Art. 4 Abs. 3 GG) o. Ä. bzw. „Alle Deutschen haben das Recht …“ (Art. 8 Abs. 1 GG). Diese Unterscheidung kann durchaus auch kritisch gesehen werden, da jedes Grundrecht zugleich einen Menschenrechtsgehalt aufweist, der zunächst unverfügbar und nicht relativierbar ist. Nach Auffassung eines Teils der Literatur verlangt daher eine Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern, wenn sie unter menschenrechtlichem Aspekt Bestand haben soll, eine Rechtfertigung, die allein mit dem Hinweis auf unterschiedliche Schutzbereiche noch nicht erbracht ist (hierzu Pieroth et al. 2015, 38 m. w. N.). Zur Lösung des Problems bietet es sich zwar an, Art. 2 Abs. 1 GG als ein Auffanggrundrecht (hierzu 2.2.4) zu verstehen, das Ausländer auch dann schützt, wenn spezielle Schutzbereiche von Deutschenrechten insoweit für sie nicht gelten. Zudem ließe sich auf Art. 1 Abs. 1 GG sowie auf den Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG verweisen. Hierbei muss jedoch gesehen werden, dass dieser Schutz hinter einem vollen Schutz, wie er von den entsprechenden Deutschenrechten ausgeht, regelmäßig zurückbleibt (Pieroth et al. 2015, 38). Bei genauerer Betrachtung liegt dem freilich ein viel tiefer gehendes Problem zugrunde. Denn geschichtlich betrachtet richten sich Grundrechte funktional zunächst auf die Überwindung absolutistischer Herrschaft und die Herausbildung und Absicherung nationalstaatlicher Souveränität (vgl. hierzu Agamben 2001). Mit der Entwicklung der europäischen Nationalstaaten im 19. und 20. Jahrhundert verbunden aber war ein gleichzeitig verlaufender Prozess der ethnischen Homogenisierung und des Ausschlusses von Minderheiten, der im Übrigen teilweise