zwischen dem Briançon-Mikrokontinent und dem europäischen Kontinentalrand. Die Betrachtung der komplizierten Paläogeografie in Abb. 1-7 lässt erahnen, dass der Subduktions- und der Kollisionsprozess zu einer noch komplexeren Geometrie des entstehenden Gebirges führen musste.
Die alpinen Gebirgsketten entstanden in der Kreide und im Känozoikum. Zu diesen Ketten zählen etwa die „jungen“ europäischen Hochgebirge (Betische Kordilleren, Pyrenäen, Alpen, Apennin, Karpaten, Dinariden). Auffallend sind die gewundenen Bogenformen der Gebirgsketten. Um einen Einblick in die plattentektonischen Vorgänge bei der Bildung dieser Gebirge zu geben, sind in Abb. 1-8 die heute andauernden Relativbewegungen zusammengefasst (nach Kahle et al. 1995). Afrika bewegt sich um vier Millimeter und mehr pro Jahr Richtung Norden. Die Bewegung ist im Westen etwas langsamer, d. h., Afrika macht eine leichte Rotation im Gegenuhrzeigersinn. Arabia bewegt sich viel schneller, mit 25 Millimetern pro Jahr, Richtung Norden. Der Sprung in der Geschwindigkeit findet an einer Seitenverschiebung statt, die, von der Spreizungszone im Roten Meer ausgehend, durch den Golf von Aqaba über das Tote Meer und den Genezarethsee nach Norden zieht. Der türkische Block bewegt sich mit 25 Millimetern pro Jahr in westlicher Richtung. Die Plattengrenze im Norden dieses Blocks ist in der Nordanatolischen Bruchzone zu suchen, einer seismisch aktiven dextralen Seitenverschiebung. Diese Westdrift ändert in der Ägäis ihre Richtung nach SSW. Ihre Geschwindigkeit nimmt zu, da sich die Ägäis in derselben Richtung dehnt. Allein schon zwischen Afrika, Arabien und dem türkischen Block zeigen sich die Plattenbewegungen als recht kompliziert. Noch schwieriger verständlich wird es weiter im Norden. In den Ostkarpaten ist heute eine nach Westen einfallende Subduktionszone aktiv. Die abtauchende eurasische Platte rollt sich gleichzeitig zurück (slab retreat bzw. roll back), d. h., die Plattengrenze |Seite 26| an dieser Subduktionszone bewegt sich nach Osten. Im Gefolge davon wird das Pannonische Becken auf der oberen Platte in Ost-West-Richtung gestreckt. Der Tiza-Block im Untergrund des Pannonischen Beckens wird durch die Zangenbewegung zwischen Europa und Afrika (bzw. Apulia) seitlich nach Osten herausgequetscht.
Gleichzeitig bewegen sich aber auch der Apennin und die Dinariden aufeinander zu. Im Hinterland des aktiven Apennins stellt man in der Tyrrhenis Dehnung und Neubildung von ozeanischer Kruste fest (Facenna et al. 2002). Dieser Prozess begann vor etwa fünf Millionen Jahren. Etwas früher, im Miozän, erfolgte die Öffnung des ligurischen Beckens unter ähnlichen Umständen. Damals trennte sich der Mikrokontinent Korsika-Sardinien von Europa, und beim anschließenden Wegrotieren bildete sich im Ligurischen Meer neue ozeanische Kruste. Auch hier also erfolgten kleinsträumige Blockbewegungen zwischen den beiden kollidierenden Kontinentalplatten.
In den Alpen selbst können heute aktive horizontale Verschiebungen gemessen werden (Tesauro et al. 2005, Brockmann in Pfiffner & Deichmann 2014). Das nördliche Alpenvorland bewegt sich nach SSE, und in den Alpen selbst sind Bewegungen Richtung SW wie auch Richtung ENE zu messen. Das komplizierte Bild zeigt aber, dass sich die Alpen mit ungefähr 0,5 Millimetern pro Jahr in NNW-SSE-Richtung verkürzen.
Das heutige komplizierte Bewegungsbild gibt einen Eindruck, wie man sich die bei der Alpenbildung abgelaufenen Bewegungen vorzustellen hat. Die Größe der beteiligten Ozeanbecken und Kontinente bzw. Mikrokontinente war bescheiden im Vergleich zu den Dimensionen in den klassischen Subduktionsgebirgen der Anden oder der nordamerikanischen Kordilleren oder in den Kollisionsgebirgen Himalaja und Appalachen. Aber die Konvergenzbewegungen waren qualitativ vergleichbar und machten die Alpen zu einem derart heterogen zusammengesetzten Gebirge.
1-8 Die heutige Konfiguration der tektonischen Platten im Alpinen System. Die offenen Pfeile mit Geschwindigkeitsangaben (mm/Jahr) zeigen die Richtung der Plattenbewegungen, die einfachen Pfeile die Überschiebungsrichtungen an. Mit Doppelpfeilen sind Dehnung und Öffnung von Meeresbecken angegeben.
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1.4 Geologische Gliederung der Alpen
Der Gebirgskörper der Alpen erstreckt sich in weitem Bogen von Nizza nach Wien. Im Innern des Bogens liegt das Po-Becken. Morphologisch hebt es sich ab durch die tiefe Lage und das geringe Relief, wie aus dem digitalen Höhenmodell von Abb. 1-9 klar ersichtlich. Außerhalb des Alpenbogens sind lange schmale Becken ohne Relief zu erkennen: der Rhone-Bresse-Graben ganz im Südwesten, der Rhein-Graben im Norden. Ganz im Osten verschwinden die Alpen unter dem Becken von Wien.
Längs der Gebirgskette gliedern sich die Alpen in Westalpen, Zentralalpen und Ostalpen. Die Ostalpen verlaufen mehr oder weniger Ost-West und ihre westliche Grenze liegt etwa auf der Linie St. Margrethen–Chur–Sondrio. In den Zentralalpen ändert sich der Verlauf der Kette von Ost-West zu nahezu Nord-Süd. Die Westalpen verlaufen Nord-Süd, bilden aber einen engen Bogen um das Westende des Po-Beckens. Die Grenze zwischen Zentral- und Westalpen ist unscharf. Gewisse Autoren unterteilen deshalb die Alpen lediglich in Westalpen und Ostalpen. Wenn hier die Dreiteilung bevorzugt wird, so erfolgt dies aufgrund der Internstrukturen, die sich dadurch in einer verständlichen Art gliedern lassen.
Quer zur Gebirgskette unterteilt man die Alpen in tektonische Einheiten, die zu bestimmten paläogeografischen Domänen zu zählen sind. Die paläogeografische Zugehörigkeit wird dabei durch den Ablagerungsbereich der mesozoischen Sedimente dieser Einheiten definiert. Aufgrund dieser Gliederung erhält man einen Gürtel von Einheiten, die dem europäischen Kontinentalrand zugehören |Seite 28| und in einem externen Bereich der Alpen, d. h. ganz im Westen bzw. Norden, aufgeschlossen sind. Man bezeichnet diese Gesteinsserien als „Dauphinois“ und „Helvetikum“. Ein zweiter Gürtel von Gesteinseinheiten, der unter dem Begriff „Penninikum“ zusammengefasst wird, folgt in einer mehr internen Position, d. h., er liegt weiter östlich bzw. südlich. Die damit verknüpften mesozoischen Sedimente wurden in den Meeresbecken zwischen dem europäischen und adriatischen Kontinentalrand abgelagert. Ein dritter Gürtel von Gesteinseinheiten ist vorwiegend auf der innersten Seite, gegen das Po-Becken hin, zu finden. Diese Einheiten werden als „Ostalpin“ und Südalpin“ bezeichnet und sind dem adriatischen Kontinentalrand zuzuordnen. Generell gesehen, liegt das Penninikum auf dem Helvetikum und das Ostalpin auf dem Penninikum. Es handelt sich bei diesen Einheiten um eigentliche Deckenkomplexe, die als relativ dünne Gesteinspakete bezüglich ihrer Unterlage über Hunderte von Kilometern transportiert wurden. Die Verteilung dieser Einheiten in den Alpen ist aus Abb. 1-10 ersichtlich.
1-9 Digitales Höhenmodell der Alpen und angrenzender Gebiete. Deutlich erkennbar sind die größeren Quertäler und Längstäler innerhalb der Alpen. Im Vorland der Alpen manifestieren sich die Tiefebenen des Rhein-Grabens im Norden und des Rhone-Bresse-Grabens im Westen, das Po-Becken im Süden und das Pannonische Becken im Osten als größere Flächen ohne Relief.
Das Ostalpin macht nahezu den gesamten Teil der Ostalpen aus. Nur am äußeren Rand im Norden und Osten sind im Liegenden des Ostalpins noch penninische und helvetische Decken zu erkennen. Im Innern der Ostalpen, im sogenannten Tauern-Fenster, ist das Ostalpin erodiert, und man gewinnt dadurch einen spektakulären Blick in die darunterliegenden penninischen und helvetischen Einheiten. Ein kleineres, aber ansonsten äquivalentes Fenster findet sich etwas westlich, im Unterengadin. Noch weiter im Westen, in den Zentralalpen, ist das Ostalpin fast vollständig abgetragen. Kleinere Erosionsreste, sogenannte Klippen, zeugen aber von der ursprünglichen Verbreitung. Die westliche dieser Klippen ist in der Zentralschweiz am Roggenstock zu finden.
Das Südalpin und die östlich angrenzenden Dolomiten sind vom Ostalpin durch eine größere Störung, das periadriatische Bruchsystem, abgetrennt. Diese setzt sich ostwärts in die Karawanken fort und trennt dort die Dinariden von den Ostalpen. In den westlichen Zenttralalpen sind südalpine Einheiten auf das Penninikum überschoben worden, wie dies die große Klippe der Dent Blanche bezeugt. Südalpin, Dolomiten und Dinariden waren tektonisch unabhängig vom Ostalpin. Lediglich die Affinität der mesozoischen Sedimente