der Computer das Pronomen „sie“ beziehen? Auf die Tischdecke oder die Zeitung, denn beide kann man falten. Die Zuordnung des Pronomens ist nur möglich, wenn das Computerprogramm den Kontext analysiert: Ging es thematisch um die morgentliche Zeitungslektüre von Britta, dann ist die Zeitung der wahrscheinlichere Kandidat. Zum „Verstehen“ muss also ein Kontextbereich ausgewertet werden.
Computer verstehen zwar Sprache nicht wie wir Menschen, aber sie können sprachlichen Input verarbeiten, z.B. wenn Siri oder Alexa uns eine Auskunft auf eine Frage geben oder auf einen Sprachbefehl die gewünschte Musik abspielen (Kremer, 2013). Weitere Anwendungen sind die Sprachsteuerung von Geräten (Navi, Smartphone), das Vorlesen von Texten für sehbehinderte Menschen, das Diktieren von Texten, die maschinelle Übersetzung und Auskunftssysteme.
Ist schon die Wort- und Satzverarbeitung schwierig zu simulieren, bleibt die Textverarbeitung eine bisher kaum lösbare Aufgabe (Jacobs, 2003). Trotzdem ruhen auf simulativen Methodensimulative Methode viele Hoffnungen, dass sie zusammen mit den traditionellen und neuen neuropsychologischen Methoden dazu beitragen, Licht in das Dunkel des verstehenden Gehirns zu bringen.
In Kooperation der Universitäten Stuttgart und Tübingen sowie des Deutschen Literaturarchivs (DLA) Marbach und des Leibniz-Instituts für Wissensmedien Tübingen (IWM) wird ein Projekt „Understanding Understanding“ gestartet. Es soll geisteswissenschaftliche und computerlinguistische Ansätze zusammenführen.
5.2 Indikatoren des VerständnissesIndikatorenVerständnis
Das Verständnis ist das Produkt des Verstehens und kann nach dem Verstehen über Leistungen erfasst werden, die ein Verständnis des Textes voraussetzen. Dabei bleibt ein Schluss von einer Leistung auf die dahinterliegenden Prozesse und Strukturen allerdings immer gewagt, also auch hier muss die jeweilige Validität hinterfragt werden.
FragenFrage beantworten
Die Beantwortung von offenen FragenFrage nach der Textlektüre ist die älteste Methode zur Erfassung des Verstehens, die bis heute in pädagogischen Situationen (mündliche Prüfungen, Tests) verbreitet ist (Anderson, 1972; Graesser & Black, 2017). Es gibt verschiedene Typen von Fragen, die ganz unterschiedliche Anforderungen an den Adressaten stellen:
Wissensfragen sind durch den direkten Abruf von Wissen im semantischen LangzeitgedächtnisGedächtnisLangzeit- zu beantworten: Bezeichnungen, Definitionen, Daten, Fakten. Die richtige Beantwortung einfacher Faktenfragen sagt aber wenig über das Verstehen aus, das geht auch über schlichtes Behalten.
Verständnisfragen sind anspruchsvoller, denn sie erfordern Inferenzen, Kombinationen, Verallgemeinerungen über den Text hinaus. Dass Verständnisfragen Verstehen erfassen, ist unstrittig, allerdings ist es schwierig, den jeweiligen Aufwand einzuschätzen, den ihre Beantwortung erfordert.
Anwendungsfragen sind am anspruchsvollsten, denn sie verlangen die Übertragung des Gelernten in neue Bereiche.
Auf offene FragenFrage kann die Person frei antworten, die verbalen Daten sind aber nicht einfach auszuwerten, dazu sind AuswahlfragenAuswahlfrage (Multiple Choice [MC]) besser geeignet.
AuswahlfragenMultiple ChoiceAuswahlfrage (Multiple Choice [MC]), Multiple Choice (MC)
MC-Fragen zu einem Text geben Antwortmöglichkeiten vor, von denen die zutreffenden angekreuzt werden müssen. In der Pädagogik gelten sie als wenig geeignet zur Überprüfung von Verstehen, da man auch mit Raten einen guten Wert erreichen kann. MC-Aufgaben können aber durchaus valide sein, wenn die falschen Antworten (sogenannte Distraktoren) sorgfältig konstruiert werden. Zudem gibt es Varianten, bei denen man mit Raten nicht weit kommt, z.B. beim Aufgabentyp „n aus 5“. Dabei werden fünf Antworten vorgegeben, von denen eine, zwei oder drei zutreffend sein können (Friedrich, Klemt & Schubring, 1980). Derartig komplexe MC-Aufgaben haben sich im Testwesen durchaus bewährt. Testen Sie Ihr Wissen aus dem vorangegangenen Kapitel:
Welche Aussage/Aussagen über die MaximenMaximen von Grice sind zutreffend (ein, zwei oder drei Ankreuzungen sind möglich):
☐ 1. Die Maxime der Aufrichtigkeit fordert die Wahrheit der Aussagen.
☐ 2. Die Maxime der Relation wird auch Maxime der Relevanz genannt.
☐ 3. Konversationelle Implikationen sind die Ursache von Missverständnissen.
☐ 4. Das Kooperationsprinzip setzt rationale Kommunikationspartner voraus.
☐ 5. Verständlichkeit wird in der Maxime der Qualität gefordert.1
Inhalte behalten
In der kognitionspsychologischen Gedächtnisforschung werden verschiedene Maße des Behaltens verwendet. Sie sind einfach zu erheben, aber als Indikatoren des Textverstehens nicht unproblematisch.
Freies Wiedergeben (Free ReRecallcallWiedergabe (Recall)). Nach der Lektüre wird eine Reproduktion des Inhalts bzw. eine Paraphrasierung verlangt.2 Diese verbalen Daten haben nur eine begrenzte Validität, denn ein Verständnis wird nicht unbedingt erfasst. Wie schon die Alltagserfahrung zeigt, gibt es Inhalte, die wir beim Lesen verstehen und doch wieder vergessen und es gibt Inhalte, die wir nicht verstehen, die aber haften bleiben.
Gelenktes Wiedergeben (Cued RecallWiedergabe (Recall)). Es wird eine Hilfestellung zum Abruf gegeben, z.B. ein Stichwort, das dem Gedächtnis Aussagen entlocken soll.3 Dieses Maß hat noch weniger mit dem Verstehen zu tun, denn auch unverstandene Aussagen können mit geeigneten Cues rekonstruiert werden. Zudem ist es nur für kurze Texte geeignet. Bei längeren Texten kann ein formales Raster vorgegeben werden, das von der Vp ausgefüllt werden muss, um die Erinnerung an den Text voll auszuschöpfen: Hauptaussagen, Beispiele, Anwendungen, Vertreter usw. (Christmann, 1989).
WiedererkennenWiedererkennen (Recognition) (RecognitionRecognition). Ein Wort oder Satz wird vorgelegt und die Vp muss entscheiden, ob sie im Ausgangstext vorkamen. Auch dieses Maß ist ein schlechter Indikator des Verstehens, denn Wiedererkennen kann man auch ohne jedes Verständnis.
Jan Kercher (2013) schließt die Maße des Behaltens aus seiner Liste von Verstehensindikatoren aus, da sie weniger das Verstehen, sondern das Lernen betreffen. Dies ist allerdings radikal, denn auch wenn Behalten nicht gleich Verstehen ist, sind beide doch nicht völlig unabhängig voneinander: Was man versteht, integriert man in seine Wissensstrukturen und kann es wahrscheinlich auch besser abrufen. Verstehen ist zwar keine notwendige, aber sicher eine förderliche Bedingung für das Behalten (Schwarz, 1981). Ein zweites kritisches Argument in Hinblick auf die Validität: Es bleibt unklar, welche Verstehensprozesse mit dem Behalten erfasst werden: Prozesse zum Zeitpunkt der Verarbeitung oder Prozesse zum Zeitpunkt der Wiedergabe oder beides (Rickheit, Sichelschmidt & Strohner, 2002).
Zusammenfassen
Hier wird das Behalten des Wesentlichen aus einem Text verlangt. Die Konstruktion einer ZusammenfassungZusammenfassung ist eine anspruchsvollere Aufgabe als das bloße Wiedergeben. Wer die Inhalte eines Textes prägnant und kohärent zusammenfasst, der muss ihn wohl verstanden haben. Die reduktive Verarbeitung mittels spezieller Inferenzen ist recht gut erforscht (Ballstaedt, 2006).
Schnotz, Ballstaedt & Mandl (1981) legten Vpn einen schwierigen soziologischen Text mit der Instruktion vor, zunächst eine mündliche ZusammenfassungZusammenfassung der wichtigsten Inhalte zu erstellen. Später wurde unerwartet eine freie WiedergabeWiedergabe (Recall) des Textes verlangt. Ausgangstext, Zusammenfassung und Wiedergabe wurden in Bedeutungseinheiten zerlegt und inhaltlich miteinander verglichen. So konnten zahlreiche Verarbeitungsprozesse wie Tilgungen, Elaborationen, Verallgemeinerungen, Bündelungen nachgewiesen werden, die den Ausgangstext in eine Zusammenfassung überführen.
Die Validität der Methode ist gut, allerdings fallen keine zwei ZusammenfassungenZusammenfassung eines Textes gleich aus, denn was als wesentlich angesehen wird, hängt auch von den Intentionen und Interessen der Lesenden ab.
Textlücken ausfüllen
Der LückentestLückentest (Cloze Procedure) (Cloze Procedure) ist besonders