Sie stimmen ihre nichtsprachlichen und sprachlichen Handlungen aufeinander ab, um ein gemeinsames Ziel jenseits der Kommunikation zu erreichen, zum Beispiel in einem Projekt. Bei der Verständigung ist Kooperation jedoch allein darauf angelegt zu verstehen, was mit mündlichen oder schriftlichen Äußerungen in einer kommunikativen SituationSituationkommunikative gemeint ist, sie betrifft die Kommunikation selbst, kein Ziel außerhalb der Kommunikation. Als Basis dieser Kooperation dient ein wechselseitiges VertrauenVertrauen der Kommunikanten.
Der Absender äußert sich im Vertrauen darauf, dass der Adressat seine Äußerungen ernst nimmt und sich um ein Verstehen bemüht.
Der Adressat vertraut darauf, dass der Absender etwas für ihn Relevantes zu sagen hat, ihn nicht belügt und sich verständlich auszudrücken versucht.
Vertrauen ist eine wichtige Kategorie in der zwischenmenschlichen Kommunikation, darauf hat vor allem Johann Juchem (1988) aufmerksam gemacht. Vertrauen bleibt immer ein riskantes Gefühl, es kann enttäuscht und missbraucht werden, vor allem da es gerade in Situationen notwendig ist, in denen nur ein fragmentarisches Wissen über das Gegenüber besteht (Wertheimer & Birbaumer, 2016). Vertrauen in den Partner reduziert gerade bei Unsicherheit zunächst die Komplexität möglicher Interpretation. In der mündlichen Kommunikation zeigt sich kooperative Kommunikation am Einsatz verschiedener Methoden der VerständnissicherungVerständnissicherung wie Rückfragen, Wiederholen, Paraphrasieren (ausführlich Kap. 3.2). Vertrauen wird im Verlauf der Kommunikation durch positive oder negative Hinweisreize im Verhalten bestätigt oder widerlegt.
Wem „VertrauenVertrauen“ ein zu gefühliges Wort ist, der kann nüchterner von wechselseitigen HintergrunderwartungenHintergrunderwartung oder stillschweigenden Annahmen sprechen, die jede Kommunikation begleiten und erst thematisiert werden, wenn eine Person nicht kooperativ kommuniziert, wenn sie sich keine Mühe gibt, adressatenorientiert zu formulieren und absenderorientiert zu verstehen.
Es bleibt die interessante Frage, wie lange Kooperation und Vertrauen aufrechterhalten werden, wenn der Adressat zahlreiche unverständliche, schwer verständliche und widersprüchliche Aussagen liest. In der Linguistik wird die abwartende Haltung des Adressaten als Akzeptabilität bezeichnet (de Beaugrande & Dressler, 1981). Sie ist von der Frustrationstoleranz und der Motivation des jeweiligen Adressaten abhängig.
Fallibilität
Grundsätzlich ist ein letztgültiges oder vollständiges Verstehen einer Mitteilung nicht erreichbar oder überprüfbar. Der Adressat ist sich nie sicher, ob er auch das versteht, was der Absender meint. Umgekehrt kann sich auch der Absender nie sicher sein, ob seine Mitteilung verstanden wurde. Kommunikation ist deshalb prinzipiell fehlbar, Gerold Ungeheuer (2017) spricht von FallibilitätFallibilität. Der amerikanische Kognitionspychologe David Rumelhart (1981, S. 30) beschreibt die Situation so: „… the problem facing a comprehender is analogous to the problem that a detective faces when trying to solve a crime. In both cases there are a set of clues. The listener’s (or reader’s) job is to find a consistent interpretation of these clues.“ – „The speaker’s (or writer’s) problem is to leave a trail of clues which, in the opinion of the speaker, will lead the reader to make the inferences that the speaker wishes to communicate“.
Es gibt einige Denker, die von einem starken Misstrauen in die sprachliche Kommunikation geprägt sind. Sie verneinen eine sprachliche Verständigung zwischen Menschen grundsätzlich:
„Ein Hauptmittel des Nichtverstehens ist die Sprache. Wir wissen voneinander bei den einfachsten Begriffen nicht, ob wir bei einem gleichen Worte die gleiche Vorstellung haben. […] Durch die Sprache haben es sich die Menschen für immer unmöglich gemacht, einander kennen zu lernen“ (Mauthner, 1982a, S. 56).
„Ich begriff, dass Menschen zwar zueinander sprechen, aber sich nicht verstehen, dass ihre Worte Stöße sind, die an den Worten der anderen abprallen, dass es keine größere Illusion gibt als die Meinung, Sprache sei ein Mittel der Kommunikation zwischen Menschen. Man spricht zum anderen, aber so dass er einen nicht versteht. Man spricht weiter, und er versteht noch weniger. […] Selten dringt etwas in den anderen ein, und wenn es doch geschieht, dann etwas Verkehrtes.“ (Canetti, 1981, S. 48)
Für den Soziologen Niklas Luhmann (1981) ist nicht die gelingende Kommunikation der Normalfall, sondern eine Unwahrscheinlichkeit: „Die Sprache ist […] darauf spezialisiert, den Eindruck des übereinstimmenden Verstehens als Basis weiteren Kommunizierens verfügbar zu machen – wie brüchig immer dieser Eindruck zustandegekommen sein mag.“ (Luhmann, 1981, S. 32)
Zum Schluss ist auch Karl Valentin zu nennen, in dessen Gesprächen mit Liesl Karlstadt die Verständigung mit Sprache regelmäßig scheitert und sich die Beteiligten in Mehrdeutigkeiten, unscharfen Begriffen, Metaphern, Wortspielen verheddern (Valentin, 1990).
Kommunikative KompetenzenKompetenz
Adressatenorientierung und Relevanzannahme können als Bestandteile einer kommunikativen KompetenzKompetenz gesehen werden, die sowohl Absender als auch Adressat für eine angemessene und effektive Kommunikation einbringen müssen (Rickheit, Strohner & Vorwerg, 2008).
Formulierungskompetenz. Vom Absender wird die Fähigkeit verlangt, sich auf die jeweiligen Adressaten auszurichten. Diese AdressatenorientierungAdressatenorientierung ist nicht selbstverständlich, einige Autoren gehen davon aus, dass wir zunächst egozentrisch formulieren und egozentrisch verstehen (Keysar, Barr & Horton, 1998). Erst bei Störungen der Kommunikation setzten Bemühungen um adressatengerechtes Formulieren ein.
Verstehenskompetenz. Vom Adressaten wird die Fähigkeit verlangt, sich auf den Absender einzustellen und seine Äußerungen als grundsätzlich relevant aufzufassen. Auch wenn er Äußerungen spontan nicht gleich versteht, muss er sich unter Einsatz mentaler Ressourcen um eine Interpretation bemühen. Dazu gehört auch der bewusste Einsatz von Lerntechniken, die ein aktives Erschließen des Textes ermöglichen (Schnotz & Ballstaedt, 1995; Mandl & Friedrich, 2006).
Das kooperative Schaffen von Verständlichkeit nennen wir Verständigung! Sie gelingt in der mündlichen Kommunikation leichter (Kap. 3) als in der schriftlichen Kommunikation (Kap. 4).
Zusammenfassung
1. Verstehen, Verständnis und Verständlichkeit sind in eine kommunikative Situation eingebettet, in der ein Absender eine sprachliche Mitteilung für einen Adressaten produziert.
2. Kommunikation setzt Motive und Intentionen der Beteiligten voraus, die aber nicht übereinstimmen müssen. Auch mit unterschiedlichen oder widersprechenden Intentionen kann man kommunizieren.
3. Kommunikation setzt geteiltes Wissen über die Wirklichkeit, die Sprache und soziale Konventionen voraus. Dieses Vorverständnis beider Kommunikanten stimmt nie vollständig überein.
4. Jeder Absender hat eine Vorstellung, ein Image, von seinem Adressaten, an dem er die Gestaltung seiner Mitteilung ausrichtet. – Jeder Adressat hat eine Vorstellung, ein Image, des Absenders, das sein Verstehen beeinflusst.
5. In der Kommunikation werden keine Inhalte, Informationen oder Bedeutungen vom Absender zum Adressaten transportiert, sondern der Absender formuliert eine Mitteilung, die der Adressat zu verstehen versucht. Der Absender gibt dem Adressaten etwas zu verstehen. Der Adressat konstruiert aus der Mitteilung ein Verständnis.
6. Meinen und Verstehen betreffen drei Funktionen der Sprache: Darstellung, Appell und Ausdruck. Eine Mitteilung hat inhaltliche, intentionale und expressive Bedeutung. Das Verstehen umfasst analog inhaltliches, intentionales und expressives Verstehen.
7. Verständigung ist ein kooperatives Unternehmen: Auf Seiten des Absenders besteht die Kooperation in einer adressatenorientierten Formulierung, die das Vorverständnis und die Intentionen des Adressaten berücksichtigt. – Auf Seiten des Adressaten besteht die Kooperation in der Annahme, dass der Absender etwas Relevantes und Sinnvolles meint. Diese Annahme führt zum Einsatz von Ressourcen, auch wenn die Mitteilung nicht spontan verstanden wird.
8. Diese Kooperation basiert auf einem Vertrauen darauf,