Eva-Maria Bast

Tatort Bodensee


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der Telefonanlage neben dem Schreibtisch lauernden Schlotterbeck einen Wink gab: »Wir können also!«

      Der drückte grinsend auf einen Knopf an der Anlage und legte den Hörer auf. »Sie sind da, meine Herren!«

      Aha, schoss es Horst durch den Kopf, offensichtlich hatte man eine Telefonkonferenz geschaltet! Bevor er jedoch über die möglichen Teilnehmer hatte spekulieren können, war das Gewitter via Telefon auch schon losgebrochen. Steiner und Krauter, die beiden Chefs der Polizeidirektionen, in denen Horst und Protnik beschäftigt waren, meldeten sich in einer anscheinend vorher bereits festgelegten Reihenfolge nacheinander zu Wort und brachten ihr Missfallen über die Vorgänge der letzten Woche derart unmissverständlich zum Ausdruck, dass Horst sich fragte, ob man sich nicht die Telefongebühren hätte sparen können. Bei der Lautstärke müsste jetzt eigentlich halb Baden-Württemberg darüber Bescheid wissen, dass Horst und Protnik in diesem Augenblick nach allen Regeln der Kunst von ihren Chefs abgewatscht wurden!

      Die beiden an den Pranger gestellten Kommissare blieben während der gesamten Prozedur erstaunlich gelassen, was sicherlich mit der Tatsache zusammenhing, dass sie durch den hastig anberaumten Freitagabend-Termin im Prinzip ja schon auf die Abreibung vorbereitet waren. Und ändern konnte man an den Tatsachen sowieso nichts! Außerdem war klar: Jeder Versuch einer Verteidigung würde beim jetzigen Stand der Dinge als Meutereiversuch gewertet und dementsprechend abgestraft werden! Also bewahrte man besser die Ruhe und stellte die Ohren auf Durchzug, soweit das angesichts der enormen Phonzahl, die da durch den Lautsprecher der Telefonanlage dröhnte, überhaupt möglich war. Das waren die Momente, in denen sich Horst zum wiederholten Mal fragte, welcher Teufel ihn denn damals geritten hatte, die Polizisten- beziehungsweise damit auch die Beamtenlaufbahn einzuschlagen! Irgendwann, das schwor er sich in solchen Augenblicken, irgendwann würde er den Bettel hinwerfen und seinen Lebenstraum verwirklichen: Bergsteiger auf den Malediven werden. Unwillkürlich musste er bei dem Gedanken daran, wie hoch der höchste Berg der Inselgruppe wohl sein mochte, fünf Meter, zehn Meter oder womöglich gar 20 Meter, lächeln. Die Reaktion darauf folgte auf dem Fuß: »Sie brauchen gar nicht so zu grinsen, Meyer!«, hatte ihm der Chef der Konstanzer Direktion mit hochrotem Kopf ins Gesicht geschleudert, »Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen!«

      In der Tat war der Eintrag in die Personalakte und die damit verbundene Abmahnung ein gravierender Tatbestand. Und die beiden Kollegen wussten: Jetzt genügte der geringste Anlass, dann folgte die nächste Abmahnung und das konnte bedeuten, dass Horst seinem Lebenstraum schneller näher rückte, als er das eigentlich vermutet hätte. Es war sicherlich kein Fehler, erst einmal den Personalrat einzuschalten, wenn er wieder in Heilbronn zurück war. Und Protnik wäre gut beraten, dasselbe zu tun. Außerdem musste der bei der Polizeigewerkschaft nachfragen, ob die das überhaupt so einfach …

      »So, alter Knabe«, Protnik war zu ihm an die Reling getreten und hatte ihm mit seiner Pranke einen aufmunternden Klaps auf die Schulter versetzt, »dann wollen wir mal den Tag zu Ende bringen!« Und damit deutete er auf die direkt vor ihnen auftauchenden Lichter der Hafeneinfahrt des Meersburger Fährhafens. »Kommt!«, wandte er sich auch an die neben ihnen stehende Claudia. »Wir müssen wieder ins Auto zurück, die legen gleich an! Würde mich übrigens nicht wundern, wenn wir bei der Ausfahrt gleich von der Polizei in Empfang genommen werden«, setzte er mit einem frustrierten Blick auf die zerbeulten Reste dessen, was einmal seinen blitzblank gewienerten und gepflegten Wagen dargestellt hatte, hinzu. »Habt ihr gesehen, wie die anderen uns angeglotzt haben, als wir ausgestiegen sind? Die haben sicher gleich die Polizei angerufen und gesagt, da sind ein paar Typen auf dem Schiff, die haben grade einen Crash gebaut!«

      Horst rollte die Augen. »Also ehrlich gesagt habe ich für heute und für die ganze Woche Polizei genug genossen! Ich glaube, das war mehr als eine Überdosis! Mir reicht’s jetzt wirklich!«

      Damit setzte sich der Wagen in Bewegung und rumpelte langsam über den stählernen Bug der Fähre auf die Straße.

      »Sag mal«, Claudia sah ihren Mann fragend an und deutete mit dem ausgestreckten Arm auf die Meersburger Unterstadt direkt neben dem Fährhafen. »Hat der Thomas nicht da drüben gewohnt?«

      Horst durchlief ein eisiger Schauder. Thomas! Schon bei der bloßen Erwähnung des Namens zuckte er zusammen. Traurig nickte er mit dem Kopf. »Stimmt! Da drüben, in der Wohnung neben dem Torbogen. Da, wo das Licht noch brennt!« Er spähte hinüber zu dem Fenster, hinter dem noch vor ein paar Tagen sein Freund Thomas Grundler gewohnt hatte.

      »Arme Susanne!«, murmelte Claudia. »Was sie wohl gerade macht? Anscheinend kann sie nicht schlafen! Du«, damit drehte sie sich wieder zu Horst hinüber. »Sollten wir sie nicht morgen einmal besuchen? Was meinst du?«

      Horst streckte abwehrend die Hände von sich. »Lieber nicht! Ehrlich gesagt habe ich immer nur Kontakt zu Thomas gehabt. Mit Susanne bin ich nie so richtig warm geworden. Und seitdem die ihre Ehekrise hatten, habe ich sie sowieso nicht mehr gesehen. Im Nachhinein ist mir schon klar, weshalb sie nie zu Hause war, wenn ich Thomas mal besucht habe. Aber der ist erst bei unserem letzten Treffen mit der Sprache rausgerückt und jetzt«, er schüttelte betrübt den Kopf, »jetzt ist es ja sowieso zu spät!«

      »Na ja, dann lassen wir’s eben!« Claudia nickte. »So angenehm sind Kondolenzbesuche auch wieder nicht! Ich habe nur gedacht, falls du sie näher gekannt hättest … Ich selber habe sie ja nur ein einziges Mal getroffen …«

      Horst nahm Claudias Hand und drückte sie sanft. »Ist schon recht! Ist ja nett von dir! Aber mir wird’s, ehrlich gesagt, ganz anders im Magen, wenn ich nur an die Beerdigung denke …«

      Claudia erwiderte den Händedruck leicht. »Klar! Das verstehe ich! Steht denn schon ein Termin fest?«

      Horst wiegte den Kopf. »Also gelesen habe ich noch nichts. Ich denke aber, das müsste am Dienstag oder am Mittwoch sein! Jetzt, wo sie die Leiche freigegeben haben, wie man uns heute erzählt hat. Nachdem es offiziell ein Selbstmord war …«, fügte er bitter hinzu.

      Protnik musterte ihn fragend aus dem Rückspiegel. »Sag mal, Horst! Hat der Thomas eigentlich Kinder gehabt?«

      »Nein! Er wollte zwar immer Kinder, aber Susanne war offenbar dagegen. Im Nachhinein: Gott sei Dank! Nicht das auch noch!«

      Der Wagen verlangsamte seine Fahrt und stoppte kurz darauf vor dem Eingang des Parkhotels. Überrascht sah Horst auf. »Wir sind ja schon da! Das ist aber schnell gegangen!«

      »Na ja«, Protnik machte eine abschätzende Handbewegung. »Für mich ist der Abend noch nicht ganz vorbei. Ich muss noch ein gutes halbes Stündchen weiterfahren – zurück zum Wildenstein!«

      »Blödsinn!«, widersprach Horst. »Du kommst jetzt mit und wir schauen, ob die noch ein Zimmer für dich haben. Und wenn nicht, dann schmuggeln wir dich zu uns mit rein und legen dich halt bei uns aufs Sofa! Du fährst mir nach dem Tag jetzt nicht mehr!« Energisch winkte er Protnik mitzukommen.

      Doch der schüttelte entschieden den Kopf. »Kommt gar nicht infrage! Die paar Kilometer schaffe ich schon noch und Millionär bin ich auch keiner«, lächelte er mit einem vielsagenden Blick auf die mit dickem rotem Teppich ausgelegte Eingangshalle des Parkhotels. »Und als Bettwurst bin ich wahrscheinlich auch nicht unbedingt zu gebrauchen! Nein, danke fürs Angebot, aber das schaffe ich schon noch!« Wie zur Unterstützung seiner Worte ließ er den Motor kurz aufheulen.

      Claudia, die bei dem Gedanken an eine Nacht zu dritt, mit Protnik in einem Zimmer, leicht zusammengezuckt war, schien erleichtert. »Na gut, dann eben nicht!«, erwiderte sie. »Wann sehen wir dich dann wieder?«

      Protnik wiegte den Kopf. »Wie wär’s mit morgen am späten Nachmittag? Dann könnte ich nämlich vorher mal richtig ausschlafen – sofern das auf einer Jugendherberge wie dem Wildenstein überhaupt möglich ist«, setzte er hinzu. Nach Horsts Meinung durchaus zu Recht: in Sachen Ausschlafen wäre er vorsichtshalber skeptisch! Prot­nik schien zu überlegen. »Aber wie gesagt: so gegen Nachmittag, sagen wir 16 Uhr? Wie wär’s da mit einem Eis auf der Meersburger Promenade?«

      »Einverstanden!« Claudia fand den Vorschlag akzeptabel. »Aber lass es uns um eine Stunde nach hinten verschieben, dann können der Horst und ich vorher noch schön ins Ostbad gehen. Da