und diese Bindung dauerhaft zu knüpfen. Wir benutzen die Verkehrsmittel, die alle hier benutzen. Wir gehen zu Fuß. Wir fahren U-Bahn und Bus. Fahrräder haben wir hier nicht, und das Board kann Dimmy später im „Zentrum“ nutzen, aber nicht auf unseren ersten Touren durch Berlin. Das Zauberwort heißt Erdung.“
Sie sind aufgekratzt und Leon sieht, dass sie jetzt nicht schlafen werden, deshalb fängt er sein leichtes Gesumm an. Dimmy versucht sich anfangs dagegen zu wehren, aber gegen die Kraft von Leon kommt er nicht an. Irina weiß das schon und sie macht gar nicht erst den Versuch, sich zu sträuben. Sie schlafen auf der Wohnzimmercouch ein. Leon deckt sie zu und zieht sich mit Vera zurück.
Sie legen sich in das große Bett, angezogen, wie sie sind. Sie legen die Arme umeinander und Leon summe leicht, bis auch Vera und Leon in einen leichten Schlaf fallen.
Als Leon aufwacht, schläft Vera noch. Er verspürt Lust auf Vera und beginnt sie zu streicheln. Vera wacht davon auf und es ist das erste mal, wo sie in Deutschland zusammen kommen. Dann liegen sie keuchend nebeneinander und Veras Gesicht liegg an Leons unrasierter Wange. Es kratzt, aber es macht Vera heute nichts aus. Ach, was liebt sie diesen Mann.
Dann sieht Leon auf seine Uhr. „Wollen wir mal?“
„Ist schon Zeit“, fragt Vera und Leon nickt. „Wir müssen nicht hetzen, aber wir sollten die Kinder jetzt mal wecken.
Sie duschen alle, sie ziehen sich um, und machen sich auf den Weg. Es ist ein langes Stück Fahrt. Sie müssen mehrmals umsteigen, schließlich geht es im Bus weiter. „Zurück können wir springen“, meint Leon beruhigend, aber jetzt lernen wir erst mal ein Stück von Berlin kennen.“
Berlin ist um vieles größer als Atlanta. Irina weiß das schon, aber die Fahrt zeigt ihr, was Größe bedeutet. Atlanta hat grade mal 640.000 Einwohner, Berlin inzwischen fast sieben Millionen. Es war in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen.
Das „Zentrum“ kennt Irina bereits.
Sie laufen heute die Treppen hinauf, bis sie an diese Stahltür kommen, die das oberste Geschoß verschließt. Leon hat eine Codekarte und schließt die Tür damit auf.
Dann gibt es nur noch eine Treppe. Hier oben ist das Reich der Familie. Hier ist die Wohnung von Oma. Es gibt hier Gästewohnungen und Zimmer, die nur für die Familie reserviert sind.
Als sie dann durch die Tür von Oma Katharinas Wohnung kommen, hören sie schon Gelächter und Stimmen.
Sie sind nicht die Einzigen. Oma Katharina hat Gäste.
Als sie in die riesige Wohnküche kommen, staunt Irina nicht schlecht. Tante Helen ist da und ihr kleines Mädchen, Aysa mit ihren vier Kindern und mehreren Enkelkindern, Roman, Jochen, Lara, und ein paar Musiker, die sie schon kennt. Robert und auch Evi und Cindy. Dann sind da noch ein paar Freunde von Opa und Oma und auch Tante Conny, die Geigenvirtuosin. Auch Juanita. Ihre elfjährige Tochter Elvira und zwei weitere Kinder sind da, die Juanita jetzt von einem deutschen Filmproduzenten bekommen hat. Onkel Spek sitz da, und sogar Jens Faruk und Fatima. Irina kennt sie alle und doch wieder nicht.
Fatima ist eine der ganz Großen in der Musikbranche. Eine Legende. Ihr Sohn Jens Faruk hatte ihr nachgeeifert, aber er hatte sich irgendwann vom Gesang und Gitarre auf das Musikmanagement verlegt. Jens Faruk ist so etwas wie der Guru unter den Musikmanagern. Er tritt als Musiker (der er ja immer noch ist) selten öffentlich auf, obwohl er als Musiker ein Genie ist, aber er kennt die Gruppen fast alle. Nicht nur in Berlin. Auch in London, Amsterdam, Stockholm, Frankfurt und New York. Er managt Bands in den USA, in Frankreich, Australien und China, in Indien und - natürlich auch in Deutschland. Seine Firma hat allein in Berlin 180 Mitarbeiter, und es gibt Ableger in Bombay, New York, London, Lima, und sogar in Moskau. Viel mehr weiß Irina allerdings auch nicht, außer, dass Jens Faruk bei Videoproduktionen eng mit Irinas Tante Lara zusammenarbeitet, und die wiederum betreibt die bedeutendste Videoproduktion in Europa.
Die Küche ist wirklich riesig. Es duftet nach Braten und sie werden mit einem vielstimmigen Hallo begrüßt.
Dimmy ist baff. Alles hat er erwartet, aber das nicht. Er hat in den USA eine große Familie. Er kennt die große Familie in Peru. Das hier steht dem in nichts nach. Jetzt versteht er, warum Opa ihn eingesummt hatte. Das wird ein langer Abend werden.
Oma hat Pute gemacht. Es gibt diverse Gemüse und Sossen. Reis, Nudeln und Kartoffeln. Tante Aysa hatte sich um die Herstellung von frischen Säften gekümmert. Das ist es, was sie so besonders gut kann. Alle helfen irgendwie mit, und nach Eis und Kaffee gehen sie hinüber in das Wohnzimmer - eigentlich eine Lounge - und Evi fängt an zu singen. Sie wird bald begleitet von Robert, Cindy und Jens Faruk. Fatima beginnt zu tanzen und summt dazu. Die Kinder und Enkelkinder von Aysa tanzen mit. Es ist eine gewaltige Jamsession und ein Stück folgt dem nächsten.
Tante Helen zieht sich mehrfach zurück, um ihr Kind in Ruhe zu stillen. Sie ist bereits zum zweiten mal schwanger, aber es ist noch nicht viel zu sehen. Irina weiß schon, dass ihr leiblicher Vater Fred auch der Vater des ungeborenen Kindes von Helen ist. Sie hatte mit Opa darüber geredet und Opa hatte mit den Schultern gezuckt. „Das war der Wunsch von Helen. Sonja war einverstanden. Fred war einverstanden. Mehr muss uns nicht interessieren. Du wirst also noch einen Bruder bekommen.“
Ja, Irina hat viele leibliche Geschwister, aber sie weiß, dass alle diese Geschwister Kinder der Liebe sind. Alle diese verschiedenen „Frauen“ von Papa wissen voneinander. Sie hatten viele Jahre alle zusammen gelebt. Irina hatte das nie anders erlebt, als dass sie eine gemeinsame große Familie sind. Die andern Mütter waren auch für Vera wie eine Mutter. Als Mama dann fortgezogen war nach Detroit, um die Ausbildung der Mac Best Food Manager zu organisieren, hatte das an dem Zusammenhalt nichts geändert. Als Mama dann Papa verließ, um mit Opa Leon zusammenzuleben, hatte das auch nichts geändert an dieser wunderbaren großen Gemeinsamkeit.
Nun spürt Irina, dass sie hier in Berlin noch eine zweite Familie hat. Eine Familie aus vielen guten Freunden. Es ist ein schönes Gefühl.
Als sie müde werden, beschließt man, das Fest aufzulösen. Es hat viel schmutziges Geschirr gegeben. Leon schlägt vor, sie werden morgen helfen kommen.
Dann springt Leon mit Vera und seinen beiden Enkelkindern in ihre neue Wohnung. Irina und Dimmy sind inzwischen so müde, dass sie sofort einschlafen, und auch Vera und Leon ziehen sich zurück.
Am nächsten Morgen schlafen sie aus, dann springen sie zu Oma Katharina und helfen ihr beim Abwasch und beim Aufräumen.
Später gehen sie zu Aysa, nehmen einen Brunch und Leon schlägt vor, gemeinsam in den Stadtwald zu fahren. Unten im Sportshop mieten sie sich Elektroräder, sie nehmen den Linienbus mit dem Fahrradanhänger und verbringen den Nachmittag im Stadtwald. Es gibt da mehrere Ausflugsrestaurants. Sie essen schließlich etwas zu abend, bringen die Räder zurück und springen in die Wohnung. Irina und Dimmy sind müde. Die Zeitumstellung macht ihnen zu schaffen, und sie gehen gleich ins Bett. Leon und Vera haben den Abend für sich und genießen die Zeit mit sich alleine.
4.
Am nächsten Morgen wird Irina wach, weil es Sturm klingelt.
Sie schlüpft in den Bademantel und geht an die Tür. Sie trifft Opa Leon im Flur. Draußen steht ein Lieferant, den Aysa geschickt hat. Aysa, die eine ganze Reihe von türkischen Läden in Berlin befehligt. Sie lässt vier große Kartons bringen. Wasser, Säfte, Brot, Käse, Oliven, Butter, frische Hörnchen und türkisches Fladenbrot. Es gibt Kiwis, Orangen, Bananen, Äpfel und verschiedene Gemüsesorten, wie Tomate, Paprika und Gurke. Außerdem Kaffee und Tee.
Der Lieferant hilft, alles in die Küche zu tragen, dann verabschiedet er sich. Ein Brief liegt dabei, von Aysa und Lara. Es ist ein Willkommensgeschenk. Irina ist wirklich baff.
Leon lacht. „Dann wollen wir mal. Hilfst du mir?“
Sie kochen Kaffee. Sie decken den Tisch. Irina kann sich das nicht verkneifen und muß an den frischen Hörnchen