Winfried Hassemer

Beweisantragsrecht


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einer zu erwartenden Beweisaufnahme nicht aufstellen will oder kann. Sie kann in bestimmten Verfahren auch dazu dienen, näheren Aufschluss darüber zu erhalten, welche Themenbereiche für das Gericht noch von Interesse sind. Wird für einen solchen Themenbereich eine Beweisanregung formuliert, so vermeidet dies die Förmlichkeit eines Beweisantrages und verhindert damit bisweilen ungewollte Schärfen.

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      Beispiel:

      „Für die Frage, ob der Tatvorwurf zu Recht erhoben wird, ist von entscheidender Bedeutung, ob der Zeuge den Angeklagten als den Fahrer des Fahrzeugs, das den Unfall verursacht hat, wieder erkennt. Nach den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie kann ein solcher Vorgang entscheidend durch die Situation beeinflusst werden, in der sich der Zeuge und der Angeklagte gegenüberstehen. Wir regen deshalb an, den Angeklagten für die Dauer der Vernehmung des Zeugen im Zuschauerraum Platz nehmen zu lassen.“

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      Weiterhin ist der Verteidiger dann auf die Möglichkeit einer Anregung an Stelle eines Antrages angewiesen, wenn die Beweiserhebung noch von Umständen abhängt, die weder im Einflussbereich des Verteidigers noch im Einflussbereich des Gerichts liegen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Antrag auf Erstattung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens nach ausführlicher Exploration eines Zeugen. Ein solches Gutachten setzt regelmäßig voraus, dass der Zeuge bereit ist, sich den Tests und Fragen des Gutachters zu stellen. Deshalb ergeht die Anregung an das Gericht, ein Gutachten in Auftrag zu geben und zuvor den Zeugen nach seiner Mitwirkungsbereitschaft zu fragen.

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      Unabhängig von diesen Sonderfällen kann aber auch generell das Begehren auf Verwendung „klassischer“ Beweismittel in der abgeschwächten Form eines „Vorschlags“, d.h. einer Beweisanregung vorgebracht werden. Häufig sind es verfahrenspsychologische Momente, die den Verteidiger veranlassen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen und bewusst gerade keinen förmlichen Beweisantrag zu stellen:

      Als Beispiel sei die durchaus gelegentlich vorkommende Situation erwähnt, in der das Gericht während der Hauptverhandlung eine, bezogen auf das Verteidigungsziel, positive Tendenz zu erkennen gibt und daran auch ein informatives Rechtsgespräch anknüpft. Der Verteidiger, der dieses Gespräch zu argumentativer Überzeugungsarbeit ausnutzen will, gefährdet unter Umständen dieses Vorhaben, wenn er durch Stellung eines förmlichen Beweisantrags abrupt die Kommunikationsebene wechselt. Wer stattdessen das Gericht darauf hinweist, dass es erforderlichenfalls noch eine weitere Aufklärungsmöglichkeit gäbe, die vor einer für den Angeklagten negativen Entscheidung noch zu nutzen wäre, verliert weder die Gunst des Gerichts noch die Möglichkeit, in einer späteren Phase der Hauptverhandlung dasselbe Begehren auch noch einmal in einem Beweisantrag vorzutragen.

      Anmerkungen

       [1]

      Vgl. KK-Krehl § 244 Rn. 103; etwas andere Systematisierung bei Eisenberg Beweisrecht der StPO, Rn. 155–157 und bei LR-Becker § 244 Rn. 168 ff.

       [2]

      Auch wenn die Beweisanregung kein prozessualer Antrag ist, und deshalb keine förmliche Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1 besteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 244 Rn. 27; LR-Becker § 244 Rn. 178), sollte sie in das Protokoll aufgenommen werden.

       [3]

      Vgl. hierzu die Rechtsprechung zu den Beweisermittlungsanträgen: BGH Beschl. v. 10.3.2009 – 3 StR 588/08 = NStZ 2009, 401; BGH Beschl. v. 2.10.2007 – 3 StR 373/07 = NStZ 2008, 109 sowie BGHSt 6, 128, 129 = NJW 1954, 1336.

       [4]

      Vgl. hierzu LR-Becker § 244 Rn 172 und Meyer-Goßner/Schmitt § 244 Rn. 27.

       [5]

      Meyer-Goßner/Schmitt § 244 Rn. 26 m.w.N.; andere Terminologie bei LR-Becker § 244 Rn. 171 ff. („Aufklärungsantrag“).

       [6]