Winfried Hassemer

Beweisantragsrecht


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(ohne weitergehende einengende Voraussetzungen) „nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme“ eine Frist zur Stellung weiterer Beweisanträge setzen. Nach Fristablauf gestellte Anträge müssen erst im Urteil beschieden werden (s. dazu im Einzelnen unten Rn. 234 ff. und Rn. 305 ff.). Nach ihrem Wortlaut kann diese Regelung auch Hilfsbeweisanträge erfassen: War vor den Schlussvorträgen eine Frist i.S.v. § 244 Abs. 6 S. 2 StPO gesetzt und wurde der Antrag erst nach Fristablauf gestellt, dann muss über ihn schon im Hinblick auf § 244 Abs. 6 S. 3 StPO erst im Urteil entschieden werden, sofern nicht i.S.v. § 244 Abs. 6 S. 4 StPO konkrete Tatsachen benannt werden, aus denen sich ergibt, dass der Antrag nicht früher gestellt werden konnte. Die Bestimmung bedarf jedoch einer einschränkenden Auslegung (s. dazu im Einzelnen unten Rn. 234 und Rn. 306).

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      Wurde keine Frist gesetzt, so verbleibt es demgegenüber bei der bisherigen Rechtslage: Der Hilfsbeweisantrag darf schon dann im Urteil beschieden werden, wenn über den Eintritt der Bedingung erst im Rahmen der Schlussberatung zu entscheiden war.

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      Durch die Neuregelung in § 244 Abs. 6 S. 2 StPO und die Rechtsprechung des 1. Strafsenats zum Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht hat sich dabei verfestigt, was schon bisher galt: Hilfsbeweisanträge bieten in prozesstaktischer Hinsicht kaum noch Vorteile, wohl aber eine Reihe von Nachteilen im Vergleich zu Anträgen, die unabhängig vom Hauptantrag in der Hauptverhandlung gestellt werden. Ein Grund für die Formulierung eines Hilfsbeweisantrages sollte jedenfalls nicht die Hoffnung sein, das Gericht werde es tunlichst vermeiden, den „Hilfsfall“ eintreten zu lassen. Die praktische Erfahrung stützt eher die gegenteilige Annahme. Ist ein Gericht nach einer längeren Hauptverhandlung zur Verurteilung entschlossen, so lässt es sich hiervon auch durch einen „in letzter Minute“ gestellten Hilfsbeweisantrag nur selten abbringen. Überdies ist das Gericht bei der Ablehnung des im Schlussvortrag gestellten Hilfsbeweisantrages schon deshalb freier, weil es die Ablehnungsgründe leichter in das Gesamtgefüge seiner Beweiswürdigung einordnen kann.

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      Durch die zitierte Rechtsprechung des BGH und die neue Regelung in § 244 Abs. 6 S. 2–4 StPO kann dieses Risiko nunmehr in einer noch größeren Zahl von Fällen eintreten als bisher. In Fällen, in denen eine Frist gesetzt wurde, diese abgelaufen ist und keine hinreichenden Gründe für die Antragstellung nach Fristablauf vorgebracht werden können, ist jetzt nach der Gesetzeslage eine Bescheidung im Urteil ausdrücklich zulässig, so dass der Antragsteller – unabhängig von allen Kontroversen um die „Bescheidungsklausel“ – schon aus diesem Grund nicht mehr davon ausgehen kann, dass er durch Zusätze zu seinem Antrag die Bekanntgabe der Ablehnungsgründe noch vor Verkündung des Urteils erzwingen kann. Eine der wesentlichen Funktionen des Beweisantrages, die rechtzeitige Erkennung der Überzeugungsbildung des Gerichts aus dem Inhalt ablehnender Beschlüsse, geht bei einer solchen Konstellation damit verloren.

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      Auf Hilfsbeweisanträge kann aber gleichwohl nicht gänzlich verzichtet werden. Sie haben etwa dann eine wesentliche Funktion, wenn ein bestimmter entlastender Aspekt in der Hauptverhandlung bereits zur Sprache gekommen ist, die Verteidigung aber nicht sicher sein kann, dass das Gericht diesen Umstand bereits als erwiesen ansieht. Sofern hier nicht bereits während der Beweisaufnahme ein „affirmativer“ Beweisantrag gestellt wird, kann sich im Einzelfall ein Hilfsbeweisantrag im Schlussvortrag als geeignetes Mittel anbieten, um das Gericht nochmals darauf hinzuweisen, dass es das Verteidigungsvorbringen nicht als widerlegt ansehen darf, ohne das zusätzliche Beweismittel zum Gegenstand der Verhandlung gemacht zu haben.

      Anmerkungen

       [1]

      Vgl. u.a. BGH Beschl. v. 5.12.2007 – 5 StR 451/07 = StV 2008, 121, 122 (Beweisantrag für den Fall, „dass das Gericht davon ausgehen sollte, die beim Raubüberfall vom 14.11.2005 in… Pakisten abgenommenen 18.000 € gehörten nicht dem Zeugen G.“).

       [2]

      Vgl. hierzu Schlothauer StV 1988, 542, 543; Michalke StV 1990, 184.

       [3]

      BGH NStZ 1982, 477.

       [4]

      Vgl. BGH NStZ 1991, 547.

       [5]

      Vgl. hierzu Schlothauer StV 1988, 542, 543.

       [6]

      BGH NStZ-RR 1996, 362, 363 = BGHR StPO § 244 Abs. 6 Hilfsbeweisantrag 8.

       [7]

      KK-Krehl § 244 Rn. 90.

       [8]

      KK-Krehl § 244 Rn. 88 ff. unter Hinweis auf Schlothauer StV 1988, 542, 546 und 548 sowie Widmaier in: FS für Salger, S. 421, 422; vgl. ferner Michalke StV 1990, 184.

       [9]

      Vgl. Hamm Revision in Strafsachen, Rn. 645.

       [10]

      Vgl. BGH Beschl. v. 16.6.2004 – 1 StR 214/04 = NStZ 2005, 45 = JR 2005, 297 m. Anm. Sander; BGHSt 40, 287 = NJW 1995, 603; sowie BGH NStZ 1995, 246; BGH Beschl. v. 7.9.2017 – 3 StR 325/17 und BGH Beschl. v. 28.3.2017 – 4 StR 52/17 = BeckRS 2017, 107435 = NStZ-RR 2017, 182 (LS):

       [11]

      BGH StV 1998, 175 = NStZ 1998, 209 = BGHR StPO § 244 Abs. 6 Hilfsbeweisantrag 10; vgl. auch BGH Beschl. v. 9.8.2001 – 4 StR 308/01 = BeckRS 2001, 30198503 (Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens für den Fall, dass auf eine Strafe erkannt wird, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird). S. aber BGH Beschl. v. 7.9.2017 – 3 StR 325/17 und BGH Beschl. v. 28.3.2017 – 4 StR 52/17 = BeckRS 2017, 107435 = NStZ-RR 2017, 182 (LS): Wird für den Fall, dass das LG die Angeklagte zu einer nicht mehr bewährungsfähigen Freiheitsstrafe verurteilt, die Einholung eines Gutachtens beantragt, ist dies unzulässig, wenn hiermit der Nachweis der Schuldunfähigkeit erbracht werden soll.

       [12]

      Vgl. Hamm in: Festgabe für Peters, 1984, 169 ff.

       [13]

      Vgl.