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sowie diese flankierende Maßnahmen, z.B. in Bezug auf die Rechte von Familienangehörigen des Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat oder auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit (Art. 48 AEUV), um die praktische Wirksamkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu fördern.

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      Von Bedeutung im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind etwa die Regelungen der Freizügigkeitsverordnung (VO [EU] Nr. 492/2011) sowie der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; EuGH, Urt. v. 15.12.2016, C-401/15 – Depesme –, Rn. 33 ff.). Der Erlass der Richtlinie über Arbeitnehmer-Freizügigkeitsrechte (RL 2014/54/EU) dient dem Ziel, eine wirksamere Durchsetzung der Rechte aus Art. 45 AEUV sowie der Freizügigkeitsverordnung zu erreichen.

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      Damit sich ein Berechtigter auf die Gewährleistungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen kann, muss der Schutzbereich in persönlicher und sachlicher Hinsicht eröffnet sein und ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegen.

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      Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 45 Abs. 2 AEUV entnehmen lässt („Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten“), werden vom persönlichen Schutzbereich unmittelbar nur Unionsbürger erfasst. Der Arbeitnehmer muss also die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates aufweisen.

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      Neben dem Arbeitnehmer selbst umfasst der persönliche Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch dessen Familienangehörige unabhängig von deren Wohnsitz und Staatsangehörigkeit. Diesen steht etwa aus Art. 45 AEUV ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zu, sofern der Arbeitnehmer andernfalls daran gehindert wäre, von der Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch zu machen (EuGH, Urt. v. 12.3.2014, C-457/12 – Minister voor Immigratie –, Rn. 44).

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      Arbeitnehmer aus Drittstaaten können sich nicht unmittelbar auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 45 AEUV berufen. Für Arbeitnehmer aus Island, Norwegen und Liechtenstein bestehen gem. Art. 28 EWR-Abkommen (→ Europäischer Wirtschaftsraum [EWR]) allerdings praktisch dieselben Rechte (EuGH, Urt. v. 16.9.2004, C-452/01 – Ospelt –, Rn. 28 f.). Mit der Schweiz, die dem EWR-Abkommen nicht beigetreten ist, wurde ein gesondertes Abkommen über die Personenfreizügigkeit geschlossen, in dem die Rechte des AEU-Vertrags geringfügig modifiziert wurden. Besondere Regelungen gelten zudem für Drittstaatsangehörige, deren Heimatstaaten Assoziations- oder Kooperationsabkommen mit der EU geschlossen haben, wie z.B. die Türkei.

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      Nach der Rechtsprechung des EuGH kann sich auch der Arbeitgeber auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber seinem Heimatstaat berufen (EuGH, Urt. v. 7.5.1998, C-350/96 – Clean Car Autoservice –, Rn. 19 ff.; bestätigt in EuGH, Urt. v. 13.12.2012, C-379/11 – Caves Krier –, Rn. 28 f.). In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war dem Arbeitgeber die Gewerbeerlaubnis versagt worden, weil er einen Geschäftsführer mit einem Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat eingestellt hatte. Der EuGH begründete seine Entscheidung mit dem Argument, die Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts der Arbeitnehmer könnte unterlaufen werden, wenn die Mitgliedstaaten Arbeitgebern die Einstellung von Arbeitnehmern unter Bedingungen untersagen könnten, die einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellen würden. In diesen Fällen wird oftmals auch eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit des Arbeitgebers in Betracht kommen.

      aa) Begriff Arbeitnehmer

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      Entscheidend für die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereiches der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist der Begriff des Arbeitnehmers, der allerdings im AEU-Vertrag nicht definiert wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH muss der Begriff wegen der grundlegenden Bedeutung der Arbeitnehmerfreizügigkeit weit und im Einklang mit den Zielen der Unionsrechtsordnung ausgelegt werden. Arbeitnehmer ist danach jeder, „der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält“ (EuGH, Urt. v. 3.7.1986, 66/85 – Lawrie-Blum –, Rn. 16 f.; Urt. v. 8.6.1999, C-337/97 – Meeusen –, Rn. 13 ff.).

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      Rechtsgrundlage des Arbeitsverhältnisses ist regelmäßig ein privatrechtlicher Arbeitsvertrag. Die rechtliche Natur des Beschäftigungsverhältnisses ist für die Anwendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit allerdings nicht entscheidend. Dem Schutzbereich unterfallen auch Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, selbst wenn sie in einem Beamtenverhältnis stehen oder das Beschäftigungsverhältnis nicht dem Privatrecht, sondern dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (EuGH, Urt. v. 26.4.2007, C-392/06 – Alevizos –, Rn. 68; Urt. v. 22.6.2017, C-20/16 – Bechtel –, Rn. 33). Für die Arbeitnehmereigenschaft i.S.d. Unionsrechts ist weiterhin ohne Bedeutung, ob die in Rede stehende Tätigkeit nach der nationalen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten als Arbeitsverhältnis eingestuft wird. Andernfalls hätten es die Mitgliedstaaten selbst in der Hand, den Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit beliebig einzuschränken (EuGH, Urt. v. 23.3.1982, 53/81 – Levin –, Rn. 10 f.; Urt. v. 11.11.2010, C-232/09 – Danosa –, Rn. 39).

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      Dem Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit unterliegen mithin sämtliche dem Wirtschaftsleben im Binnenmarkt zuzuordnende Leistungen, die für einen Auftraggeber nach dessen Weisung gegen Entgelt erbracht werden. Unerheblich ist dagegen, ob der Arbeitgeber als Unternehmer direkt am Wirtschaftsleben teilnimmt. Es können daher auch Tätigkeiten künstlerischer, sportlicher und sozialer Art vom Schutzbereich erfasst sein (EuGH, Urt. v. 16.3.2010, C-325/08 – Olympique Lyonnais –, Rn. 27 f.). Lediglich verbotene Tätigkeiten, wie der Verkauf von Betäubungsmitteln, sind vom Schutzbereich ausgenommen (EuGH, Urt. v. 16.12.2010, C-137/09 – Josemans –, Rn. 42). Die Prostitution ist vom Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit dagegen erfasst, da sie in den meisten Mitgliedstaaten zumindest geduldet und oft sogar reglementiert wird (EuGH, Urt. v. 20.11.2001, C-268/99 – Jany –, Rn. 49).

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      Allerdings muss es sich um eine „tatsächliche und echte“ Tätigkeit handeln (EuGH, Urt. v. 20.11.2001, C-268/99 – Jany –, Rn. 33). Der EuGH versteht hierunter, dass aufgrund ihres geringen Umfangs völlig untergeordnete und unwesentliche Beschäftigungen vom Schutzbereich ausgenommen sind. Insofern ist bei Teilzeitbeschäftigungen oder Gelegenheitsarbeiten aufgrund einer Gesamtbewertung im Einzelfall zu prüfen, ob die tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden bzw. die Dauer des Arbeitsverhältnisses die Anwendbarkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit noch rechtfertigen (EuGH, Urt. v. 26.2.1992, C-357/89 – Raulin –, Rn. 15). Eine Untergrenze hat der EuGH bislang allerdings nicht festgelegt. Selbst bei einer weniger als einen Monat dauernden Beschäftigung ist die Qualifizierung als Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen (EuGH, Urt. v. 4.6.2009, C-22/08 – ARGE Nürnberg –, Rn. 29 f.).

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      Der Arbeitnehmer muss zudem als Gegenleistung eine Vergütung für seine Tätigkeit erhalten. Als Vergütung in diesem Sinne sind nicht nur Entgeltzahlungen anzusehen, sondern auch Naturalleistungen, wie z.B. Unterkunft und Verpflegung (EuGH, Urt. v. 7.9.2004, C-456/02 – Trojani –, Rn. 22). Die Höhe der Vergütung ist dabei unerheblich und kann unterhalb des Mindesteinkommens im jeweiligen Mitgliedstaat liegen. Es ist insbesondere